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Hudson Valley: hippes Landleben by Steffi Kammerer | 24. November 2017 | Travel

Den Anfang machten die Künstler. Inzwischen zieht es immer mehr New Yorker in die Provinz, in die Kleinstädte entlang des Hudson River. Zwei Stunden von Manhattan und doch eine Ewigkeit entfernt. Es sind Orte mit Platz für Kreativität und Gemeinschaft, in denen Wohnen wenig kostet. Umso mehr geht es hier um gutes Essen und die schönen Dinge des Lebens.

Auf kleinen Flacons kleben Namensschilder wie „Legato“ und „Adagio“, an der Ladentür der Bio-Parfümerie steht hinter den Öffnungszeiten: „Wir sind Macher und Musiker. Vielleicht spielen wir gerade irgendwo Geige oder Cello. Falls wir also geschlossen haben, versucht es bitte bald wieder oder findet uns online.“ Das Schild beschreibt in Kürze das Lebensgefühl der kleinen Stadt Hudson, zwei Stunden nördlich von New York City am gleichnamigen Fluss. Wo Rechtsanwälte Imker werden oder Galeristen und Schaufenster sich mit Vintage-Kostbarkeiten überbieten. Hudson hat sich in den letzten Jahren zum Style-Zentrum des Hudson Valleys entwickelt, die Warren Street mit ihren vielen historischen Gebäuden ist die Hauptader. Ein Spezialitätenladen reiht sich an den nächsten. Es gibt französische Patisserien, zwei Hutläden mit Ascotreifen Eigenproduktionen, den avantgardistischen Kleiderladen Kasuri, bei dem man für zwei Stücke schnell ein paar Tausend Dollar los sein kann. Alles, wirklich alles wird auf der Warren Street selbst gemacht: Sirup, Schokolade, Blaubeer-Vinaigrette, Alpaca-Mützen, Haselnusstische, gewebte Decken. Im Käseladen werden kleine Käseskulpturen präsentiert, handgeschriebene Kärtchen informieren über die Herkunft der Milch. Den Laden „Flowerkraut“ betreiben ein Gitarrist, der Sauerkraut in allen Geschmacksrichtungen herstellt, und seine Ehefrau, eine Floristin und Bloggerin. Der Bürgersteig brummt mit Windowshoppern, die Warren Street von oben nach unten abzugrasen kann ein gutes Wochenende dauern. Zum Verweilen gibt es das Restaurant „ÖR“ in einer ehemaligen Autowerkstatt, das fabelhaft rustikale „Fish and Game“, in dem ein gefeierter Koch in einer Schmiede aus dem 19. Jahrhundert für Furore sorgt, und die „Rivertown Lodge“, ein ehemaliges Kino, heute ein 27-Zimmer-Hotel mit schicker Bar und loderndem Holzofen. Überall im Ort hängen Ankündigungen für irgendeine Performance, ein Screening, Konzerte oder Lesungen; erste Adresse ist das Hudson Opera House, das älteste noch bestehende Theater im Staat New York. Und das alles ausgerechnet in Hudson. Noch vor 30 Jahren ein gefährlicher und heruntergekommener Ort, voll mit Drogendealern und Prostituierten, viele Fenster vernagelt. Dann kamen die Antiquitätenhändler, die Künstler und Designer. Knapp 7.000 Einwohner hat die Hafenstadt mit den denkmalgeschützten Gebäuden heute, die Zahl der Selbstständigen ist pro Kopf höher als irgendwo sonst in New York. Usher und Katy Perry sind gern hier, erst kürzlich aß Hillary Clinton einen Burger beim „Grazin’ Diner“. Ein paar Hundert Meter südlich sitzen die preisgekrönten Architekten BarlisWedlick, die sich einen Namen mit nachhaltigen Bauten gemacht haben. Hinter ihnen, in einem alten Backsteinbau, hat die Kreativplattform Etsy einen Standort. Auch die Redaktion des einflussreichen Magazins „Modern Farmer“ sitzt in der Warren Street, die Zielgruppe fest im Blick. Unten am Fluss die „Basilica Hudson“, ein hippes Kunst- und Kulturzentrum in einer ehemaligen Fabrik. Im Winter wird in der großen Halle schon mal eine Eislaufbahn installiert, für Partys und Hockey. Co-Gründerin ist die 90er-Jahre Kultsängerin Melissa Auf der Maur, die unter anderem Bassistin bei den Smashing Pumpkins war. Als sie genug hatte vom Touren um die ganze Welt, ließ sie sich mit ihrem Filmemacher-Freund Tony Stone in Hudson nieder und bekam eine Tochter. Auf der Maur sagte mal, Hudson erinnere sie an das alte Soho. „Es ist gut zu bewältigen hier, es ist schön. Mit einer Infrastruktur, die inspirieren kann. Und man ist Teil eines Entdeckermoments.“ Starbucks sucht man in Hudson vergeblich. Dafür gibt es „Moto Coffee Machine“ mit dem besten Espresso und himmlischen Waffeln, Motorräder und das entsprechende Zubehör werden auch verkauft. Die Malerin Charlotta Janssen und ihr Freund, der Fotograf Shannon Greer, sind oft hier. Die beiden betreiben das „Hudson Milliner“ ein paar Häuser weiter: ein Bed & Breakfast über dem Laden von Möbeldesigner Chris Lehrecke. Individuell eingerichtet, mit handverlesenen Möbeln. Sie pendeln zwischen Hudson und Brooklyn, wo Charlotta ein französisches Restaurant gehört. Kurz nachdem wir uns im Café verabschiedet haben, schreibt sie eine SMS: „Grad eben kam Malcolm Gladwell rein.“

Sie kennen sich alle hier, kaufen beieinander ein, unterstützen sich. Eine kreative Gemeinschaft Gleichgesinnter auf der Suche nach dem guten Leben. Hudson ist eine Kleinstadt voller Frequent Traveller, die Wert legen auf gutes Essen und ausgesuchtes Design. Die es satt haben, in Manhattan in dunklen Miniwohnungen zu leben für horrendes Geld. Die Brooklynisierung der Gegend ist unübersehbar, die „New York Times“ hat Upstate schon „NoBro“ getauft, „North of Brooklyn.“ Eine klare geografische Eingrenzung gibt es für das Hudson Valley nicht, es beginnt oberhalb von Manhattan in Westchester County und reicht bis über Albany hinaus. Unzählige kleine Orte sind es, die das Ganze ausmachen: Cold Spring, Kingston und Poughkeepsie, Tivoli, Red Hook und Highland Falls, New Paltz, Fishkill, Tarrytown. Oder Germantown, wo man Chloë Sevigny im Supermarkt „Otto’s“ beim Einkaufen zusehen kann, das kleine Phoenicia, wo seit einigen Jahren im August das mehrtägige Musikfestival „Festival of the Voice“ stattfindet. Die Arrivierteren findet man in Rhinebeck oder Millbrook, Alt- und Neu-Hippies zieht es eher nach Woodstock. Es ist eine lieblich hügelige Landschaft, die schon im 19. Jahrhundert die romantischen Maler der Hudson River School anzog; am Straßenrand kann man Erdbeeren kaufen oder geräucherte Forelle.

Vor allem Kunstfreunde kommen Upstate auf ihre Kosten – Kunst ist hier überall. Das Städtchen Beacon etwa beherbergt in einer alten Fabrik das Dia:Beacon Museum mit Werken von Joseph Beuys, Richard Serra und Donald Judd. Eine halbe Stunde entfernt, auf der andern Seite des Flusses, ist das Storm King Art Center, ein Landschaftspark mit Skulpturen. Wieder 20 Meilen weiter findet sich das historische Glenmere Mansion, von einem deutschen Kunstsammler in ein Hotel verwandelt, an den Wänden Robert Motherwell und Robert Rauschenberg. In Kinderhook nördlich von Hudson hat ein Galerist aus Chelsea eine ehemalige Schule in eine spektakuläre Ausstellungsfläche verwandelt. Und je rummeliger die Hamptons werden, desto attraktiver wird es hier oben. Viele kommen für ein Wochenende und wollen bleiben, die Immobilienpreise steigen, besonders im Luxusbereich. Im Örtchen Kerhonkson hat ein Architekt vor drei Jahren das Projekt „Hudson Woods“ gestartet. 26 Holzhäuser auf 53 Hektar, sie fangen bei 700.000 Dollar an, bis auf eines sind alle verkauft. Extra buchbar: persönliche Assistenten, Fitnesstrainer, Hundesitter, Köche, Chauffeure, Bienenhüter. Landleben ganz neu.

IssueGG Magazine 01/18
City/CountryHudson/ U.S.
PhotographyMax Zambelli/Livinginside