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Sinfonie der Farben by Eva Karcher | 2. März 2018 | Personalities

Mit riesigen geometrisch-ornamentalen Gemälden wurde Beatriz Milhazes international bekannt. Der Taschen Verlag zelebriert die Werke der brasilianischen Künstlerin in seinen Shops und nun auch in einer neuen Monografie im XXL-Format in zwei limitierten Ausgaben. Für Milhazes ist Malerei „eine ewige Herausforderung“. Ihr Stilmix aus globalen und brasilianischen Motiven, Formen und Farben ist unverwechselbar.

Wir sitzen auf der Terrasse des Hotels „Como Metropolitan“, es ist die Woche der Art Basel Miami Beach. Beatriz Milhazes trägt ein cremefarbenes Sommerkleid mit kleinen Puffärmeln. Dazu Goldkreolen, mehrere Goldketten mit Anhängern und Ringe an fast jedem Finger. „Das Üppige mag ich nicht nur in meiner Malerei“, sagt sie. Über unseren Köpfen rattern Helikopter, doch Brasiliens Starkünstlerin bleibt hochkonzentriert.

 

Frau Milhazes, Sie leben in Rio de Janeiro statt im Kulturzentrum São Paulo. Warum? Einzigartig an Rio ist die Mischung aus Metropole und tropischer Natur mit Meer und Strand, Bergen und Wäldern. Außerdem ist Rio meine Geburtsstadt. Mein Atelier liegt neben dem Botanischen Garten nah am Atlantischen Regenwald. Malerei mochte ich schon als Kind, sie war bei uns zu Hause allgegenwärtig, denn meine Mutter war Professorin für Kunstgeschichte. Aber auch mein Vater, ein Rechtsanwalt, liebt Kultur. Trotzdem habe ich erst Publizistik studiert, sogar mit Abschluss. Als Journalistin sah ich mich dennoch nicht. Damals schlug meine Mutter vor, ich solle auf die Kunstakademie gehen, ich hätte ein gutes Farbgefühl. Für ihre Intuition bin ich ihr bis heute dankbar.

Also studierten Sie Malerei? Ja, das stand von Anfang an fest. 1985 sah ich zum ersten Mal ein Gemälde von Henri Matisse. Es berührte mich zutiefst. Als ich seine Pinselstriche analysierte, wurde mir klar, dass man auch Fehler machen darf. Wie schwierig dieses Medium jedoch ist, merkte ich erst allmählich. Denn vor der leeren Leinwand muss man alles vergessen, was man über Komposition und Techniken gelernt hat. Malen ist eine ewige Herausforderung. Sie ist nicht, sie entsteht. Ich suche die Sinfonie der Farben. Wenn sie nicht erklingt, kann ein Bild nicht verführen.

Soll es das? Es muss es sogar. Ich habe mich intensiv mit dem kulturellen Erbe meiner Heimat beschäftigt. Mit den Trachten und dem Schmuck der Kolonialzeit, den Stoffen, Bändern, Rüschen, Ketten und Perlen, mit traditioneller Handwerkskunst, indigener Stammeskunst, der Folklore des Karnevals und dem brasilianischen Barock. Das Schwelgen in Gold und Prunk, die überbordende Ornamentik aus Kreisen, Arabesken, Girlanden und Rosetten und die überladene Architektur haben mich immer fasziniert. Diese schwelgerische Kultur, aber auch das Licht und die tropische Pflanzenwelt meines Landes wollte ich mit meiner Malerei verbinden.

Also viele höchst unterschiedliche Formen, Farben und Elemente? Genau das ist Brasilien! Eine Kultur extrem gegensätzlicher Einflüsse, die miteinander verschmolzen sind. Ich glaube, das Brasilianische an meiner Kunst ist die Freiheit, mit der ich eigentlich unvereinbare Elemente in immer neuen Variationen kombiniere.

Zum Beispiel, wenn Sie wie seit der Jahrtausendwende Bonbon- und Schokoladenpapier auf Leinwände kleben, die Sie vorher bemalt haben? Mein Gott, für diese Papiere habe ich jahrelang Schokolade gegessen und auch meine Freunde dazu verdammt! (lacht) An diesem Punkt müssen wir unbedingt über meine Technik sprechen. Die Arbeitsprozesse selbst sind entscheidend für die Ergebnisse.

Sie haben eine eigene Methode der Collage entwickelt? Ja. Es ging um die Verbindung von Zwei- und Dreidimensionalität. Mit den Collagen begann ich 1989. Einerseits habe ich Stoffe und Papierstückchen auf die Leinwand geklebt und einzelne Stellen von Hand gemalt. Andererseits fing ich an, Motive auf Plastikfolien zu malen, sie trocknen zu lassen und dann auf die Leinwand zu kleben. Wenn ich dann die Folie abzog, blieb das gemalte Motiv auf der Leinwand zurück. So konnte ich auch die Intensität der Farben bewahren, ihren metallischen Glanz, ihre fluoreszierende Leuchtkraft. Und sehr wichtig: Ich konnte jede Farbnuance präzise bestimmen. Außerdem wurde es so möglich, meine Motive in immer neuen transparenten Schichten zu kombinieren, ähnlich der Metamorphose von Pflanzen.

Vegetabilische Formen und Blüten sind so zentral in Ihrem Motivvokabular wie die Herzchen und Häkelmuster der Volkskunst, Mikroorganismen der Biologie, Sterne und Spiralen der Astronomie und Symbole der Geometrie. Was verbindet all diese Elemente? Meine Imagination. Ich kopiere niemals, sondern übersetze die Atmosphäre eines Motivs in meine eigene Bildsprache. Das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb meine Werke Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen faszinieren. Sie finden etwas in ihnen, das auch mit ihrer Kultur zu tun hat.

Sie entwickelten also eine globale Bildsprache mit brasilianischen Ingredienzen? Nicht nur. Es gibt viele Bezüge auch zur europäischen Kultur und der amerikanischen Pop Art. Ich kam ja 1994 nach New York. Dort regierte der Feminismus, und zunächst bot man mir ausschließlich Ausstellungen an, an denen entweder nur Frauen teilnahmen oder Lateinamerikaner. Ich verweigerte die Teilnahme, was eine gute Entscheidung war. Denn so nahm man mich von Anfang an als Malerin wahr und nicht als feministische lateinamerikanische Künstlerin. Die Bedeutung brasilianischer Künstlerinnen wird im Westen erst allmählich erkannt, ich denke an Lygia Clark, Mira Schendel oder Tarsila do Amaral. Tarsila ist eines meiner größten Vorbilder! Sie und ihr Lebensgefährte, der Schriftsteller Oswald de Andrade, waren in den Zwanzigerjahren die Stars der Kunstszene São Paolos. Andrade propagierte in einer Schrift das Konzept eines kulturellen Kannibalismus, den rigorosen Mix fremder und einheimischer Stile. Das ist, was ich mache.

Aber geht es nicht um den Mix an sich? Oh nein, das würde in Beliebigkeit enden. Alle Referenzen, die ich einfließen lasse, die tropischen Farben, die Rhythmen der Formen, haben mit meiner Suche danach zu tun, was unsere Menschlichkeit ausmacht. Was ist unser tiefstes menschliches Sehnen? Ich glaube, es ist Spiritualität.

Und unser Verlangen nach Schönheit? Beides gehört zusammen. Schönheit hat mit Spiritualität zu tun, sie bedeutet Fantasie, Intimität und Vertrautheit. Für mich sind Blüten das Ur-Symbol für die Vielfalt von Schönheit und das Verhältnis von Natur und Kultur. Blumen symbolisieren Glück und Schmerz, wir schenken sie zur Geburt und schmücken mit ihnen unsere Gräber. In meinem Haus sind sie überall, vor allem Orchideen. Auch in ihrer Vergänglichkeit sehe ich Schönheit.

IssueGG Magazine 02/18
City/CountryRio de Janeiro/ Brazil
Photography
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