Der neue Klassiker aus Amsterdam by Marc Heldens | 2. November 2007 | Personalities
Piet Boon ist der neue Star unter den Designern. Gemeinsam mit seiner Frau Karin gründete er Piet Boon Oostzaan B.V. – ein internationales Büro für Innen- und Außenarchitektur – und realisiert Projekte in New York, Bonaire, Italien, Spanien und Portugal. Sein Markenzeichen: natürliche Elemente und klassische Details. Für GG öffnet er sein eigenes Haus in Oostzaan, nördlich von Amsterdam.
Der Zeitpunkt unseres Besuchs bei Piet und Karin Boon könnte holländischer nicht sein. Der Herbst hat hier scheinbar schon begonnen, und ein wolkenverhangener Himmel begleitet uns auf unserer Tour durch die menschenleere Siedlung Peet, 15 Kilometer nördlich von Amsterdam. Ein starker Wind weht über die weitläufigen Wiesen und langen Wassergräben des Naturschutzgebietes ’t Twiske, Schafe suchen unter gekappten Weiden Schutz, und ein paar Graugänse rotten sich zusammen. Am Horizont sehen wir die Windmühle ’t Twiske Molen, die in dieser typisch flachen holländischen Landschaft perfekt aussieht.
Hier wohnen Piet und Karin mit ihren beiden Kindern, Sohn Koen, 11, und Tochter Puck, 9, schon seit 20 Jahren, mittlerweile in ihrem dritten Haus, das unmittelbar neben ihren ersten beiden Häusern steht. Jeder Umzug war ein neuer Abschnitt. Jetzt leben sie in einem klassischen, aber neu gebauten Landhaus. Der Stil ist modern, die Architektur symmetrisch, mit Fassaden aus Kalkstein und einem Zinkdach. Piet Oudolf, ein befreundeter Gartenarchitekt, entwarf den Garten mit geometrisch zugeschnittenen Buchsbäumen und Buchen vor dem Haus. Hinter dem Gebäude scheint das Grundstück in die umliegende Natur zu fließen und sich der Landschaft zu öffnen, sodass man über den Pool hinweg freie Sicht auf ’t Twiske hat und einen Panoramablick von 180 Grad auf die berühmten Wolken holländischer Maler des 17. Jahrhunderts.
Das Wichtigste für Piet und Karin Boon: „Viel Raum unter freiem Himmel.“
Hinten im Garten entdecken wir Piet und Karin in warmen Wintermänteln und Gummistiefeln auf uns zukommen, das Designer-Dreamteam, inzwischen international berühmt für seinen warmen, robusten und klassischen Stil. Zwei Bücher mit ihren Innenarchitekturprojekten in New York, Bonaire, Italien, Spanien und Portugal sind bereits erschienen, für Range Rover designten sie zuletzt eine „Limited Edition“ in Holland. Außerdem führen sie ihr eigenes Geschäft in Amsterdam, „Baden Baden“. Piet deutet auf die umliegende holländische Landschaft und beginnt zu erzählen: „Am wichtigsten für uns ist der Ort, an dem das Gebäude stehen soll. Das und die Wünsche des Bauherrn sind der Ausgangspunkt für unser Design. Ein Haus soll Umgebung, Zuhause und Zufluchtsort werden. Unsere Auftraggeber müssen sich ganz genau mit ihrer Lebensweise auseinandersetzen, genauso, wie wir es tun. Natürlich bekommen sie ein Piet-Boon-Haus, aber es basiert auf ihrem persönlichen Leben. Karin und ich setzen das in einem einfachen und kraftvollen architektonischen Design um. Das ist seit Jahren unser Markenzeichen. Natürlich unterscheiden sich unsere Bauten voneinander. Eine Villa in Barcelona sieht natürlich ganz anders aus als ein exklusives Penthouse in New York oder ein Strandhaus auf Bonaire. Aber wenn man genau hinsieht, sind sie im Ansatz doch alle gleich.“ „Wir entwerfen von innen heraus, von innen nach außen, angefangen mit den Innenräumen, in denen man tagtäglich wohnt“, fügt Karin hinzu. „Denn oft werden Häuser als externe Konstruktionen mit ungenügender Kenntnis der Besitzer und Bewohner sowie ihres Alltags konzipiert. Dabei ist die Innenausstattung nicht nur zum Anschauen da, sondern zum Darinwohnen. Sie sollte passen wie angegossen.“ Piet: „Wir schenken beide architektonischen Details große Aufmerksamkeit, und wir versuchen oft, sie so weit wie möglich abzuschwächen. Sie sollten die Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen, bestimmen aber die gesamte Atmosphäre und das optische Wohlgefallen eines Hauses oder Raumes. Die Außenseite des Gebäudes schöpft Kraft aus ihrer Einfachheit, wodurch es ‚schön aus der Ferne‘ ist. Das ist eine permanente Herausforderung für uns – wir versuchen ständig, Details wegzulassen und gleichzeitig eine Persönlichkeit zu kreieren.“
Durch ihre drei eigenen Häuser sammelten Piet und Karin viel Erfahrung. Das vierte Haus, ein Strandhaus auf Bonaire, einer Insel der Niederländischen Antillen nahe Venezuela, ist eine gute Fortsetzung. Piet: „Bei unserem ersten Haus konzentrierte ich mich zu sehr auf den monumentalen und historischen Charakter. Bei dem zweiten versuchte ich, die historische Seele durch die Materialien, die ich verwendete, einzufangen und so einen geschichtlichen Bezug herzustellen. Langsam wurde mir klar, dass sich das auch mit einem Gefühl der Modernität kombinieren ließ. Dieses Haus schließlich, unser drittes in Holland, ist die Synergie aller Häuser zusammen. Am meisten wünschten wir uns schöne Plätze im Freien wie Terrassen mit Kaminen. Unser vorheriges Haus war sehr klassisch, Baujahr 1993, aber es sah aus wie ein historisches Herrenhaus. Das neue sollte moderner sein: robust, stabil und mit kraftvollem Design. Die Modernität rührt jetzt auch von dem Einsatz des Tageslichts her sowie von der Anordnung der Räume. Die grundlegende Vorarbeit, die Planung, die das Gefühl von Komfort und Harmonie unterstützt, ist sehr wichtig. Der klassische Touch liegt in den symmetrischen Elementen, in den Details und in der Dekoration. Dafür ist Karin zuständig. Sie weiß, wie sie Farben, verschiedene Materialien und Formen verwenden muss, um dem historischen Flair eine persönliche Note zu geben. Die Zeit vergeht schnell, deshalb sollte eine Innenausstattung nicht schnell veralten.“ Karin: „Vielleicht, weil bei unseren Projekten die Emotion, die im Design liegt, das Allerwichtigste ist. Dieses spezielle persönliche Gefühl. Und dieses Gefühl sollte über 10 bis 20 Jahre erhalten bleiben. Es sollte nicht von Trends abhängig sein. Man muss auf sein Herz hören!“