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Mein Vater, Fernando Botero… by Michaela Cordes | 2. März 2011 | Personalities

Geboren im kolumbianischen Medellín, entdeckte Botero schon als Kind seine Passion für die Malerei. Über Umwege von Amerika nach Deutschland gelang der Durchbruch. Ein GG-Gespräch mit einer lebenden Legende und seiner Tochter Lina über schöne Erinnerungen, auch in schweren Zeiten.

Die Kirchturmuhr in Pietrasanta schlägt zur Happy Hour und langsam füllt sich die Piazza des idyllischen Künstlerörtchens nicht unweit der Marmorsteinbrüche bei Carrara mit Leben. Etwa 30 Kilometer von Pisa entfernt, haben sich seit Michel­angelo hier immer wieder berühmte Stein­metze angesiedelt. In Pietrasanta („Heiliger Stein“) fanden sie nicht nur hervorragendes Material, sondern auch die besten Gießereien. Zu ihnen gehört auch Fernando Botero. Jener große lateinamerikanische Maler und Bildhauer, berühmt für seine unverwechselbaren, runden, fast an Puppen erinnernden Figuren, die er erst malte und später auch in monumentaler Größe in sinnliche Bronzestatuen goss. Heute gehört er unbestritten zu den bedeutendsten lebenden Künstlern. Und gerade in diesen Tagen, da der südamerikanische Markt boomt wie nie zuvor, erleben seine Werke eine Wertsteigerung sondergleichen. Im vergangenen November kam sein Gemälde „Family Scene“ bei den Herbstauktionen von Christie’s in New York für 1,7 Millionen Dollar unter den Hammer – Botero führte damit eine ganze Riege von gefragten lateinamerikanischen Künstlern an.

„Meine Kindheit war absolut zauberhaft. Ich wuchs inmitten der Kunstwelt auf. Bis heute liebe ich den Duft von Farben und Terpentin.“  Lina Botero

Entspannt, direkt aus seinem Atelier­ kommend, erscheint Fernando Botero zum Interview und nimmt an einem der Café-Tischchen Platz. Begleitet von seiner Tochter Lina, die wie ein Schutzengel ihren  Vater umschwirrt, ihm in fließendem Italienisch ein Glas Wasser bestellt, kleine Anekdoten einwirft und auch mal hilft, das auf Englisch geführte Interview für ihren Vater zu übersetzen.

So innig scheint diese Beziehung, dass Lina hier und da die Gefühle mitzuspüren scheint, wenn der Vater sich an frühere Zeiten erinnert. Bisher hat sie als Interior-Designerin gearbeitet, entwarf Schmuck, war zweimal verheiratet und hat ihre zwei Kinder großgezogen. „Aber mittlerweile arbeite ich am liebsten mit meinem Vater und für ihn. Ich begleite ihn auf Reisen, helfe bei Ausstellungen und halte ihm vor allem den Rücken frei, damit er mehr Zeit für seine Arbeit hat.“

Über 60 Ausstellungen in Museen rund um den Globus haben ­Botero als lebende Legende etabliert. Seine wuchtigen, monumentalen Statuen, die hier in Pietrasanta entstehen und die trotz ihrer Größe eine so attraktive Weichheit ausstrahlen, dass sie von ihren Bewunderern gern gestreichelt werden (am Flughafen von Palma de Mallorca ist das so oft passiert, dass die linke Brust seiner „Liegenden Frau“ golden glänzt!), sind von Paris über Japan bis nach New York zu sehen gewesen, als Ausstellung auf öffentlichen Plätzen, wie z. B. auf den Champs-Élysées in Paris.

Fernan­do Botero verstand sich von jeher als Rebell, der seine Arbeit immer gern für alle Menschen zugänglich machte, aber in seiner Technik und Überzeugung streng an die Traditionen und Regeln der alten Meister anknüpft. Wenn man ihm so gegenübersitzt, wirkt er für einen Künstler fast seltsam bodenständig und ungewöhnlich ausgeglichen. Er trägt eine hellgelbe Hose, ein gebügeltes Hemd und eine runde Brille auf der markanten Nase. Das sonst so übliche Stereo­typ des gequälten Künstlers, der um Anerkennung bettelt, kann man ihm nicht so einfach überstülpen.

Vielleicht hat diese Selbstsicherheit ihren Ursprung in Boteros Wissen, dass er die Kunst von Grund auf studiert hat und das mit großer Ernsthaftigkeit. Die alten Meister, vor allem die italienischen, hält er bis heute für die Größten. Sein eigener Stil? Der ergab sich dadurch natürlich, fast von selbst. Botero: „Als ich mit der Malerei begann, galt die Regel, dass man als Künstler als um so wichtiger galt, je größer die Dimensionen waren, in denen man malte. Heute glaube ich das längst nicht mehr. Im 20. Jahrhundert verschwand die Bedeutung des Volumens immer mehr und die Kunst orientierte sich plötzlich an völlig neuen Überzeugungen: Figurinenkunst – falsch! Expressionstische Kunst – falsch! Gefühle zum Ausdruck bringen – falsch! Aber mich kümmerten diese Befehle nicht und ich hielt mich an das, was die Kunstgeschichte vorgegeben hatte. Sie autorisierte mich dazu, in der Evolution fortzufahren, gegen all das, was der zeitgenössische Kunstmarkt damals predigte.“ Erinnert man sich nach so langer Zeit noch daran, wie der eigene Stil 1957 das erste Mal im Bild „Stillleben mit Mandoline“ auf die Leinwand kam? Botero: „Absolut! Eines Tages skizzierte ich die Mandoline. Und plötzlich hatte ich diese Idee, das Loch einmal viel, viel kleiner zu malen. Dadurch bekam sie ihre monumentale Form! Ich verglich dies mit Werken von Giotto, seine Jungen mit den kleinen Händen und den kleinen Füßen.“ Die knubbelige, dicke und so typische Botero-­Figur war geboren.

„Heute wird mein Vater in unserer Heimat als eine Art Gott verehrt. Aber die harten Anfangszeiten habe ich bis heute nicht vergessen.“ Lina Botero

Angesprochen auf seinen heutigen Ruhm reagiert Fernando Botero lächelnd und mit sanfter Genugtuung: „Tja, heute … heute ist das alles anders, da werde ich anerkannt, haben mir einen Namen gemacht. Aber ich hatte harte Jahre, lange, sehr schwierige Jahre. Es begann damit, dass ich in einem Land geboren wurde, in dem es keine Museen gab, keine Sammler, eine große kulturelle Leere, denn es gab keine staatliche Unterstützung. Ich frage mich heute oft, wie ich so fasziniert von der Kunst sein konnte, wo es doch so wenig Inspiration in meiner Umgebung gab. Aber ich spürte schon als Kind diesen Enthusiasmus für alles, was Kunst war, diese unbändige Leidenschaft, immer noch mehr sehen zu wollen. Mit 15 nahm ich an einem Malwettbewerb in meiner Heimatstadt teil, meine ersten professionellen Arbeiten schuf ich mit 17, meine erste Ein-Mann-Show hatte ich mit 19 in Bogotá. Und mit 20 gewann ich den nationalen Preis des Landes Kolumbien!“ Wann weiß man genau, dass man Künstler werden will? Botero: „Das hat sich über die Zeit ergeben. Ich liebte die Stierkämpfe, die Stiere, und ich begann sie zu malen. Vielleicht waren sie der Anstoß. Später sprach ich immer wieder mit Freunden über Picasso und die Impressionisten. Das war ein großes Thema in Kolumbien, die moderne Kunst drehte sich um sie. Und so begann ich, über die Malerei nachzudenken, weil man ihr eine Richtung geben muss. Als erstes braucht man den intellektuellen Ansatz, aber dann geht es darum, die technischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln, so dass man seine Gedanken ausdrücken kann.“

Als Botero später sein Land verließ, steckte er die ersten zehn Jahre harte Kritik ein. Lina Botero: „Alles, worum es damals ging, war abs­trakte Kunst, Pop-Art, zweidimensionale Kunst. Figurinenkunst war überhaupt nicht gefragt. Mein Vater tat das Gegenteil von dem, was die Masse predigte. Er ließ die alten Meister der Renaissance aufleben und hielt weiter das hoch, was in der Vergangenheit als Maßgabe galt. Die Technik, das Handwerk, die Proportionen.“

Vielleicht liegt es an dem unerbittlichen Festhalten an der eigenen Überzeugung, dass Botero nie aufgab. Geboren in arme Verhältnisse, in eine liebvolle Familie, wuchs Botero schon früh ohne Vater auf. ­Botero: „Wir hatten nicht viel Geld, mein Vater starb, als ich vier Jahre alt war, das waren die Jahre nach der Wirtschaftskrise. Ich lernte früh allein klarzukommen und war insofern schon immer ein hart arbeitender Künstler.“ Die Mutter unterstützte ihren Sohn von Beginn an in seiner ungewöhnlichen Leidenschaft und bestärkte ihn, der am liebsten Stierkämpfe besuchte, um die farbenprächtigen Matadore auf kleinen Bildern festzuhalten. Botero: „Maler zu werden gehörte nicht unbedingt zu den Berufen, die sie sich für mich gewünscht hatte. Aber sie sagte: ‚Es wird sicher nicht leicht, aber du liebst die Kunst, also solltest du es tun.‘“

Mit 17 gewann Botero einen Kunstpreis in seiner Heimat und damit 7.000 Dollar und reiste erstmals nach Europa. In Madrid studierte er Velázquez, Goya, Tizian und Tintoretto. Botero: „Ein Hotelzimmer in Madrid kostete damals einen Dollar pro Nacht! Das Geld hielt fast drei Jahre lang.“ Anschließend ging er in die Toskana nach Florenz und erlernte die Freskenmalerei. 1960 zog er, mittlerweile verheiratet, mit seiner ersten Frau nach New York. Botero: „Es hatte fast neun Jahre gedauert, bis ich eine Galerie fand, die mich ausstellen wollte.“ Es war die Zeit, in der Andy Warhol mit seiner Pop-Art gerade von Manhattan aus ein neues Zeitalter in der Kunst einläutete. Lina Botero: „Mit 200 Dollar in der Tasche, drei Kindern und dem Willen, im damaligen Kunst-Mekka der Welt zu zeigen, dass seine Kunst eine Wirkung hat. Aber so hart diese Zeiten für uns waren, erinnere ich sie doch als zauberhaft. Auch wenn wir nicht viel Geld hatten, schuf mein Vater traumhaft schöne Momente. Ich liebte den Duft von Terpentin, die Farben, und genoss es, wenn er mir hier und da einmal erlaubte, ihm in seinem Studio bei der Arbeit zuzuschauen.“

Dass der Vater insgeheim um Anerkennung kämpfte und die Enttäuschung, als die New Yorker Gres Gallery ihre Türen kurz nach seiner Ankunft schloss, bemerkte seine Tochter einmal ganz ausdrücklich. Lina: „Drei Jahre nachdem wir nach New York gegangen waren, trennten sich meine Eltern. Meine zwei Brüder und ich besuchten meinen Vater so oft wir konnten. Damit wir viel bei ihm sein konnten, hatte er für uns drei Staffeleien mit Stühlen, Pinseln und Farben in seinem Studio aufgestellt.“ 1961 kam es endlich zur ersten Botero-­Ausstellung im „The Contemporaries“ in New York, danach wurde er für seine Arbeiten heftig kritisiert. Lina Botero: „Am nächsten Tag waren unsere kleinen Staffeleien verschwunden – ich glaube, mein Vater setzte uns damit ein Zeichen, damit wir uns später nicht ein ähnlich hartes Leben aussuchten.“

Der Erfolg ließ auf sich warten. Barbara Duncan, zuständig für die jungen Künstler am Museum of Modern Art, kaufte im selben Jahr Boteros „Mona Lisa mit 12 Jahren“ – ein wichtiger Schritt, aber doch kein Durchbruch. Der kam erst, als 1970 ein deutscher Galerist in sein Studio spazierte. Fernando Botero: „Da kam eines Tages dieser wichtige Mann aus Deutschland, Professor Dietrich Mahlow. Durch Zufall hatte er eines meiner Bilder gesehen. Er war begeistert und fragte mit großem Enthusiasmus: ‚Haben Sie noch mehr Bilder?‘ – ‚Viel zu viele‘, antwortete ich. Gemeinsam mit dem damaligen Direktor vom Frankfurter Museum, Professor Klaus Gallwitz, organisierte Mahlow in Deutschland fünf Museumsaustellungen für mich – in Weil, Bielefeld, Hannover, Hamburg und Berlin.“ Angesteckt von der großen Aufmerksamkeit in Deutschland wurden schließlich auch die großen, wichtigen Galerien in London und Paris auf den südamerikanischen Künstler aufmerksam und weitere Ausstellungen folgten. Botero:­ „Marlborough, sogar Beyeler rief an. Heute fühlt es sich für mich an, als würde sich mein Leben in zwei Kapitel einteilen – eines vor den Ausstellungen in Deutschland und eines danach …“

In Kolumbien wird Botero heute als eine Art Gott verehrt. Er setzt sich seit Jahren dafür ein, dass seine Heimatstadt für mehr als den Drogenhandel bekannt ist, gründete ein Museum und schenkte seine eigene Kunstsammlung der Stadt Medellín. Im Museo de Antioquia eröffnete er 1977 einen ganzen Saal und widmete ihn seinem Sohn Pedro, den er durch einen schweren Autounfall 1974 verloren hatte. Lina Botero:­ „Meine Brüder und ich zogen danach zu unserem Vater nach Madrid. Anschließend tauchte mein Vater in seine Arbeit ab.“ In den Bildern, die nach dem Autounfall entstehen, hält Botero seinen verlorenen, erst vier Jahre alten Sohn „Pedrito“ fest.

In Kolumbien drohte man der Familie Botero­ immer wieder mit Entführungen, 1994 scheiterte ein Versuch. Nachdem seine Tochter Lina eine Entführung überlebt  hatte, verließ die Familie endgültig ihr Heimatland. Wenn Fernando Botero heute auf sein buntes und bewegtes Leben zurückschaut, waren es vielleicht gerade die Hürden und die harte Kritik, die ihn weiterkämpfen ließen? Botero: „Ganz bestimmt! Ich weiß nicht, wie es mir ginge, wenn ich keinen Widerstand gespürt hätte.“

Und heute? Spätestens seitdem Damien Hirst einen Hai in Form­aldehyd packte, scheint es keinerlei Regeln mehr zu geben, an die sich zeitgenössische Künstler zu halten haben. Wie also geht ein Fernando Botero mit dem Art-Boom der ­letzten Jahre um? „Messen oder diese Kunstsupermärkte, wie ich sie nenne, besuche ich ungern – es wird mir schnell zuviel. Ich glaube ohnehin nicht, dass dieses Jahrhundert tiefe Spuren in der Kunstgeschichte hinterlassen wird. Ich denke, wir leben in der schlimmsten Zeit.“ Gibt es denn einen zeitgenössischen Künstler, den er bewundert? „Nein, keinen einzigen! Ich schäme mich fast dafür, das zu sagen, und mache mich mit meiner kritischen Ansicht zu diesem Thema unbeliebt. Aber was man heute intellektuell nennt, ist lächerlich! Künstler wie Picasso waren noch verbunden mit einer Evolution, mit den Werken von van Gogh oder Cézanne. Dadurch hat sein Werk Substanz, ist solide und so wertvoll. Die heutige Kunst ist nur noch von flüchtigen Ideen getragen, wie Mode­erscheinungen. Aber, was will man auch erwarten von den jungen Dingern, die gerade die Kunstschulen verlassen haben? Wie kann man diese amerikanischen Kids vergleichen mit den alten Meistern, die ein Leben lang daran arbeiteten, Vollendung zu erreichen?“

IssueGG Magazine 02/11
City/CountryPietrasanta/ Italy
PhotographyMark Seelen