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Der Meister des leichten Betons by Uta Abendroth | 8. Dezember 2014 | Personalities

Marcio Kogan mag kubische, kantige Formen. Dabei versteht es der brasilianische Architekt jedoch, seine Häuser so licht und luftig zu bauen, dass sie trotz ihrer Erdung, ihrer ausladenden Maße und viel, viel Beton eine überraschende Leichtigkeit ausstrahlen. Und manche von ihnen scheinen geradezu in der Landschaft zu schweben…

In der Mode würde man Marcio Kogans Werke wohl zur Haute Couture zählen. Aber der Mann ist Architekt und da gibt es keinen vergleichbaren Begriff. Die Entwürfe des Brasilianers sind jedoch nicht weniger aufwendig gestaltet, ebenfalls maßgeschneidert und von größter Raffinesse. „Mit meiner Form von Architektur versuche ich immer wieder aufs Neue überraschende Räume zu kreieren und Emotionen hervorzurufen“, sagt der gebürtige Paulistano.

Gut möglich, dass das ein Resultat seiner ersten Karriere ist: 1976 graduierte Kogan zwar an der Fakultät für Architektur und Städtebau der Mackenzie-Universität in São Paulo, drehte dann aber bis zu seinem 30. Lebensjahr lieber Filme. Da ging es auch darum, szenisch zu denken, Dinge ins rechte Licht zu rücken, auf optische Wirkung zu setzen. Es folgte der Schwenk zurück zur Baukunst: Gleich mit seinem ersten Entwurf, dem Privathaus „V4“, ging Marcio Kogan 1980 siegreich aus einem Wettbewerb hervor und gründete sein Studio mk27, das heute 28 Mitarbeiter zählt.

„Die Architektur hier in Brasilien umarmt die Natur oder schließt sie zumindest in den Entwurf ein.“ Marcio Kogan

In Brasilien ist Architektur eine vergleichsweise junge Disziplin, die nichtsdestoweniger sogar international große Aufmerksamkeit erfährt. Das mag zumindest teilweise an den großen Namen der Vergangenheit liegen: Oscar Niemeyer, Lúcio Costa und Lina Bo Bardi. Die Erfindung einer neuen Architektur lässt sich auf 1922 datieren, als in São Paulo die Pseudostile der Kolonialzeit durch ein Manifest der Modernisten verabschiedet wurden. Zwei Jahrzehnte später, 1943, fand die von Philip Goodwin kuratierte Ausstellung „Brazil Builds“ im New Yorker MoMA statt, die den brasilianischen Boom feierte. Die Phase des kreativen Aufbruchs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde durch Emigranten befeuert, die davon träumten, eine neue Heimat zu finden und diese mitzugestalten. Und das unter anderem durch Architektur, der vor allem eine Bedeutung als Treffpunkt zugesprochen wurde, wo Menschen, egal aus welcher Schicht sie stammen, zusammenkommen. Lina Bo Bardis Museum of Art in São Paulo (MASP), das zwischen 1947 und 1968 entstand, ist ein perfektes Beispiel dafür: Bei dem Bau schwebt eine gewaltige Box aus Glas und Beton, gehalten von zwei roten Betonbügeln, acht Meter über dem Boden und schafft so einen riesigen freien Platz unter dem Museum.

„Ich habe viel vom Film auf meine Architektur übertragen: Immer geht es um Proportionen und um Licht.“ Marcio Kogan

Der unangefochtene Inbegriff brasilianischer Architektur ist bis heute die Hauptstadt Brasília, die der Stadtplaner Lúcio Costa und der Architekt Oscar Niemeyer gemeinsam auf dem Reißbrett entwarfen. Mit ihren geschwungenen Formen und klaren Linien in Beton wurde sie als Prototyp und Vollendung der architektonischen Moderne gefeiert. Dabei sprach selbst Niemeyer später von einem „nicht erfolgreichen Experiment“. Gleichwohl haben die aufgeständerten Bauten, die auf Stützen schweben, die weit auskragenden Dächer, die raffinierten Sonnenschutzsysteme und die Verwendung von Beton einen entscheidenden Einfluss auf nachfolgende Jahrgänge ausgeübt. Und nachdem bis in die Siebzigerjahre vor allem öffentliche Bauten entstanden waren, werden heute, dank des wirtschaftlichen Aufschwungs in Brasilien, meist private Objekte realisiert.
Marcio Kogan kann man mit seinen 62 Jahren nicht mehr zu den jungen Architekten seines Landes zählen. Er ist irgendwo zwischen die Generationen gerutscht, verknüpft stilistisch die Vergangenheit mit dem Jetzt. In seinen Entwürfen, oft Privathäuser von beeindruckenden Ausmaßen, ist das Erbe seiner Heimat unverkennbar: In vielen Fällen erheben sich Pfeiler, sogenannte Pilotis, auf einer Bodenplatte. Um die Säulen formen große Glasflächen, die sich im Fall des „V4“-Hauses sogar komplett zu beiden Seiten des Gartens öffnen lassen und somit für eine perfekte Durchlüftung sorgen, den Wohnbereich des stets lichten Erdgeschosses. Beim „Toblerone House“ überspannt eine Betondecke mit den gleichen Maßen wie die Bodenplatte das Parterre. Da Glasfronten nur einen Teil darunter einnehmen, ergibt sich eine überdachte Terrasse mit einem hängenden Kamin, zwei Bäume dürfen durch Ausschnitte im Beton weiter ungebremst in den Himmel wachsen. Es ist die perfekte Symbiose aus Natur und Baukunst.

„Mir geht es vor allem darum, überraschende Räume zu kreieren und damit Emotionen zu wecken.“ Marcio Kogan

Wenn Marcio Kogan zweistöckig bauen darf, dann unterscheidet sich die erste Etage in der Regel drastisch vom darunterliegenden Stockwerk. Der Lichteinfall ist oben intensiver und es gilt bei der Planung zu berücksichtigen, dass sich dort vor allem die Schlafräume bzw. die eher privaten Rückzugsorte befinden. Weniger Offenheit ist gewünscht, sodass sich eine gewisse Abgeschiedenheit mit Sonnenschutz vereinen lassen muss. Im Fall des „Toblerone House“ bilden schmale, vertikal angebrachte Holzleisten die Komplettverkleidung des Obergeschosses. Bei Tageslicht schimmern die Latten in einem warmen Honigton und verschmelzen mit der Natur drumherum. Erst bei Nacht, wenn im Inneren
das Licht angeht, erkennt man bodentiefe Fenster in dieser filigranen Fassade.

Der Reiz von Kogans Entwürfen liegt wohl zu gleichen Teilen in der scheinbaren Leichtigkeit seiner Bauten, die wirken, als würden sie in der Luft hängen, sowie in seinem versierten Spiel mit Materialien, die alle ihre speziellen Effekte erzielen. Er verwendet viel Glas, das die Gebäude offen und transparent erscheinen lässt, warmes Holz, das den Naturaspekt ins Spiel bringt, und dann grauen Beton, mal grob und strukturiert, mal fein und glatt geschliffen. Nie ist dieser Werkstoff bloß das notwendige, tragende Element, egal ob als Bodenplatte, als Zwischendecke oder als Dach. Stets wirkt der Beton stilbildend oder dient einem bestimmten Zweck: Er betont, ähnlich einem umlaufenden Band, die horizontale Ausrichtung von Kogans quaderförmigen Häusern. Aus den Abständen zwischen zwei Betonplatten ergeben sich Zwischenräume, etwa für überdachte Terrassen. Und durch seine Überstände spendet der Beton Schatten, ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der klimatischen Bedingungen.
Marcio Kogan sieht sich in der Tradition der brasilianischen Modernisten. Seine Auffassung von formaler Einfachheit gepaart mit dem Blick fürs Detail hat er kürzlich mit der Badewanne „DR“ für Agape bewiesen. Überraschend organisch wölbt sich die Wanne für zwei, außen mit Okumé-Schichtholz verkleidet, innen aus Mineralstoff. Kogan sagt: „Ich wollte ein ebenso freundliches wie charismatisches Objekt schaffen, das dem Nutzer ,Willkommen‘ signalisiert.“ Ganz so wie seine offenen Glas-Beton-Bauten in Brasilien. ua

IssueGG Magazine 01/15
City/CountryBrazil
PhotographyPress Images Studio mk27