Hüttenzauber in den Bergen by Margit Kohl | 30. Januar 2015 | Travel
Abschalten, absolute Stille, einfach nur die Skier anschnallen und losfahren. Immer mehr Menschen lockt die Einsamkeit der Berge. Ferien in einem gemieteten Chalet waren noch nie so in wie jetzt. Reisejournalistin Margit Kohl über einen neuen Reisetrend, wie sich die Hütten in Österreich gewandelt haben und welche man jetzt unbedingt mieten sollte.
Durch eine verschneite Winterlandschaft bahnen sich zwei Landrover den Weg in die Berge. Ein Dutzend junger Menschen bezieht dort ein stilvolles Chalet als Urlaubsdomizil. Frisch gehacktes Holz wird hereingetragen und bald darauf lodert auch schon das Feuer im offenen Kamin. Dann schmücken die Freunde gemeinsam den Christbaum. Spätestens, wenn man die Musik zu diesem Videoclip hört, bekommt man den populären Weihnachtsklassiker „Last Christmas“ nicht mehr aus dem Ohr. Damit schrieb George Michael 1984 nicht nur Musikgeschichte, sondern dokumentierte auch einen Trend, der bis heute anhält. Denn genau wie im Clip, der in einem Chalet in den Walliser Alpen gedreht wurde, stellt man sich bis heute den idealen Hüttenurlaub vor: urig zwar, aber mit allen Annehmlichkeiten eines Fünf-Sterne-Hotels.
Dabei begann die Geschichte der Almhütte eher einfach und beschaulich. Das Wort Chalet stammt ursprünglich aus der französischsprachigen Schweiz und bedeutet Sennhütte. In der hielten sich früher die Viehhirten auf, um sich im Sommer auf den Hochplateaus der Bergweiden um die Tiere zu kümmern. Die einfachen Hütten waren daher recht spartanisch ausgestattet, sollten sie doch lediglich Schutz bieten. In der Schweiz, wo das Chalet im alpinen Raum noch immer zum weit verbreiteten Haustyp gehört, gibt es bis heute Gemeinden wie Lenk, Grindelwald, Saanen oder Zermatt, in denen ausschließlich Chalets gebaut werden dürfen, um Bausünden erst gar nicht entstehen zu lassen. Auch die bautypologischen Kriterien sind schnell zusammengefasst: Ein Chalet ist vornehmlich aus Holz, hat ein flaches Dach mit breitem Überstand und steht für sich allein.
Erst im 19. Jahrhundert, als in der Romantik die Natur zur Seelenlandschaft stilisiert wurde, entwickelten vor allem der europäische Adel und das Bürgertum plötzlich ein Interesse für das traditionelle Holzhaus und ein Leben in den Bergen. Selbst die Gärten ihrer aristokratischen Residenzen schmückten viele plötzlich mit Chalets. Mit dem aufkommenden Tourismus in jener Zeit fand das Chalet alsbald als Ferienhaus weite Verbreitung im ganzen Alpenraum. Doch mit der Zeit stiegen auch die Ansprüche an die Unterkunft. Denn all die spartanisch ausgestatteten Jagd-, Alm- und Sennhütten ließen sich nur schlecht als richtige Wohnsitze betreiben. Schließlich war kaum jemand bereit, dauerhaft in einem Haus mit niedrigen Decken, kleinen Fenster und steilen Treppen zu leben. Allenfalls im Urlaub fanden das viele originell, weshalb sich das Chalet optimal zum Feriendomizil entwickelte. Geschätzt wird es von Gästen, denen Privatsphäre besonders wichtig ist und die wenig angetan sind von anonymen Bettenburgen und trubeligen Hotel-Lobbys. Das deckt sich mit der generellen Entwicklung im Tourismus, wonach vermehrt kleinere, individuelle Unterkünfte auf dem Vormarsch sind.
Noch dazu ist es recht komfortabel, ein eigenes Haus zu haben, möglichst direkt an der Skipiste, mit unverstelltem Blick auf das Bergpanorama, und das so, dass man selbst nicht beobachtet werden kann. Andererseits verlangt der Gast heute nach einem hotelähnlichen Service. Schließlich wollen die meisten ihr Auto in der Tiefgarage abstellen, nach dem Skifahren eine wohltuende Massage genießen oder im Pool entspannen. Keine fixen Essenszeiten. Keine Kleidervorschriften. Keine Störungen. Das Chalet ist längst viel mehr als ein architektonischer Begriff, es benennt ein neues Lebensgefühl.
So haben in den letzen Jahren viele Besitzer ihre alten Hütten zeitgemäß umbauen lassen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das erst vor einem Jahr in den Kitzbüheler Alpen eröffnete „Kitz Boutique Chalet“. Maßgeblich waren natürliche Materialien: Bodendielen aus Eiche, massive Natursteinböden, Steinwaschbecken, Altholzwände, mit naturpigmentiertem Sumpfkalk gespachtelte Wände, hochwertigste Textilien, exklusive Lederbezüge und Felle. Beim Umbau wurde auch eine geschickte Doppelfunktion der Unterkunft realisiert. So kann der Gast zwischen der Buchung des gesamten Komplexes mit Platz für 14 Freunde oder der Buchung einzelner Apartments wählen.
Neu gebaute Chalets werden hingegen gleich heutigen Bedürfnissen entsprechend gestaltet. So ist das „Chalet N“ zur Zeit Österreichs exklusivste Hütte. Was bekommen Oligarchen oder Show- und Sportgrößen, die anonym bleiben wollen, hier für einen Wochenpreis in der Hochsaison von 490.000 Euro? Hinter schusssicheren Fenstern gibt es acht Suiten, die größte 400 Quadratmeter, insgesamt 22 Betten, 1.000 Quadratmeter Spa, 20 Bedienstete, 24-Stunden-Butler- und Limousinen-Service, Weinkeller, Büro, Kino und zwei Restaurants. René Benko, einer der reichsten österreichischen Unternehmer, hat das nach seiner Frau Nathalie benannte „Chalet N“ vor zwei Jahren für fast 40 Millionen Euro bauen lassen. Mieten kann man es nur ganz oder gar nicht.
Nur gut, dass nicht jeder schusssichere Fenster braucht, um sich geborgen zu fühlen. Denn entscheidend bei all dem Hüttenzauber ist die Atmosphäre, um mit Freunden eine gute Zeit zu verbringen. Das weiß keiner besser als der Ur-Urenkel von Kaiserin Sissi und Kaiser Franz Joseph. Christian Graf zu Stolberg-Stolberg betreibt das Jagdschloss seiner Vorfahren in Kühtai heute als eines der höchstgelegenen Schlosshotels in Europa auf über 2.000 Metern in den Stubaier Alpen. Weil es auch sein Elternhaus ist, führt der Graf es wie ein Privathaus. Die Familiengeschichte vieler Gäste kennt er so gut wie die seiner eigenen Habsburger Ahnen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Stammgäste das Rustikale, das Nicht-Perfekte schätzen und sich dafür gern mal die Köpfe an den niedrigen Holztürstöcken anstoßen. Hauptsache, sie können im Winter im schneesicheren Kühtai raus aus dem Alltag und rein in ihr persönliches Refugium mit viel Platz. Und um abends zu schlemmen: Die Jagdschloss-Küche liegt nur knapp unter Sterne-Niveau und hat schon wegen ihrer Historie den besten Kaiserschmarrn weit und breit. Heiligabend singt man gemeinsam vor dem Christbaum – familiärer geht’s kaum. Deshalb ist das Jagdschloss an Weihnachten und Silvester seit Jahrzehnten ausgebucht. Auf der Gästeliste nachrücken kann man zu diesen Terminen quasi nur über die Erbfolge. MK