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BIG – Der Spielmacher by Uta Abendroth | 2. September 2016 | Personalities

Eigentlich wollte Bjarke Ingels Comic-Zeichner werden, stattdessen ist er heute einer der gefragtesten Architekten der Welt. Geblieben ist das Unkonventionelle, sichtbar in all seinen Entwürfen. Für den Dänen, dessen Studio BIG in Kopenhagen, New York und London Büros hat, bedeutet ökologisches Bauen nicht den Verzicht auf Komfort und Lebensfreude. Im Gegenteil. Seine Bauten vereinen das Beste aus europäischer Bautradition und visionärer Fantasterei.

Auf der Müllverbrennungsanlage, die 2017 in Kopenhagen eröffnen soll, können Besucher künftig Skilaufen; in einen Wehrmachtsbunker im dänischen Blåvand über eine lichte, scheinbar schwebende Wendeltreppe hinabsteigen und im „Spiral Tower“ in Manhattan sollen sich die Büroangestellten dank umlaufender Terrassen wie in hängenden Gärten fühlen. Es sind die scheinbar unvereinbaren Gegensätze, die aus einem BIG-Gebäude eine besondere Erfahrung machen. Hier das Notwendige, Umweltbewusste, Technische, dort das Leichte, Spielerische und Überraschende. Bjarke Ingels, Gründer der Architektengruppe, formuliert es so: „Wir sammeln Ideen und denken uns verrückte Dinge aus – und dann versuchen wir, Lösungen zu finden.“

Mit dieser Einstellung hat er wieder und wieder ins Schwarze getroffen. Der Visionär selbst betont immer, Teil eines Ganzen zu sein – daher auch der Name BIG: „Bjarke Ingels Group“. Ingels hat mit seinen 42 Jahren eine einzigartige Karriere hingelegt. Nach seinem Architekturstudium in Kopenhagen und Barcelona arbeitete er drei Jahre lang bei Rem Koolhaas in Rotterdam. 2001 gründete er ein Architektur­büro mit seinem belgischen Kollegen Julien de Smedt. Nach fünf Jahren trennten sich die beiden, Bjarke Ingels rief in Kopenhagen BIG ins Leben. Der gebürtige Deutsche Kai-Uwe Bergmann gehört schon seit zehn Jahren dazu. Er ist Teilhaber des Büros und einer von zwölf Partnern. Er sagt: „Bjarke würde im Hinblick auf alles, was mit dem Studio zu tun hat, nie in der ersten Person reden. Er spricht stets von ‚BIG‘ und bezieht alle mit ein.“ Vielleicht ein typisch skandinavisches Erfolgsrezept, wo Hie­rarchien flach sind und die Gemeinschaft zählt. Rund 350 Mitarbeiter aus fast zwei Dutzend Ländern gehören zum globalen Team, die meisten, so auch Bergmann, sitzen in New York. Bjarke Ingels ist in jedes Projekt involviert, auf beiden Seiten des Atlantiks. Er verbringt etwa ein Drittel des Jahres in New York, eins in Kopenhagen, die restliche Zeit ist er für Bauvorhaben auf Reisen. In den letzten 15 Jahren ist pro Jahr ein BIG-Gebäude fertig geworden. Pragmatisch und utopisch gleichermaßen.

Dabei hat sich der Job des Architekten in den vergangenen Jahren extrem gewandelt. Längst geht es nicht mehr nur um Gebäude, welcher Größenordnung auch immer. Nein, allein der Klimawandel birgt ganz neue Herausforderungen für die Berufsgruppe. „Der Anspruch an Architekten heute ist, dass sie Verantwortung übernehmen und auch langfristige Problemlösungen finden“, sagt Bergmann. „Dieser Wandel war schon immer ein zentraler Punkt unserer Arbeit, davor sind wir nie zurückgeschreckt.“ So hat BIG vor rund zwölf Jahren einen gigantischen Hafen in der Nordsee erdacht, der die dänischen Küsten von der Schifffahrtsindustrie befreien sollte. Da musste sich das Studio mit Energie- und Transportsystemen sowie mit Nahrungs- und Wassermanagement auseinandersetzen. Der „Super Harbour“ blieb eine Vision, aber das Thema Wassermanagement beschäftigt BIG bis heute: Die Südspitze von Manhattan soll durch das „Dryline“-Projekt eine Art Deich erhalten, wie man ihn aus Holland kennt. Nach dem Hurrikan Sandy, der 2012 für erhebliche Verwüstungen in New York und Umgebung gesorgt hatte, war klar, dass der Hochwasserschutz der Metropole verbessert werden muss. Wie ein riesiges U soll die „Dry­line“ – das größte öffentliche Raumprojekt seit der Anlage des Central Parks – die von zwei Flüssen umspülte Spitze Manhattans einfassen. Aber das Projekt wäre kein BIG-würdiges, vereinte es nicht nachhaltigen Flutschutz mit Grünflächen, Skateboard-Rampen und Pavillons. Und einem 16 Kilometer langen Fahrradweg, dem einzigen in Manhattan, bei dem man keine Straße kreuzen muss. Ingels geht eben als eine Art kreativer Analyst an jedes Projekt: „Wir fragen uns, was ist das größte Problem – und was ist sein Potenzial?“, beschreibt es Bergmann.

„Im Kern ist Architektur die Kunst, Fiktionen in Wirklichkeit zu verwandeln.“ Bjarke Ingels

In Midtown ist mit „W57“ gerade das erste Projekt von BIG in New York fertig geworden. Das 142 Meter hohe Haus mit seinen 750 Wohnungen gleicht einer verzerrten Pyramide mit steil geneigter Fassade und einem europäischen Innenhof. Dabei wurde viel Grün gepflanzt, ebenso wie beim „Spiral Tower“, der noch im Bau ist. Praktisch angewandte Ökologie, sagt Bergmann: „Das Begrünen bringt einen doppelten Nutzen, denn Regenwasser muss nicht in die Kanalisation abgeleitet werden und durch die Verdunstung erreichen wir eine Kühlung um ein bis zwei Grad Celsius.“ Mit Blick auf nur einen einzigen Bau könne das wenig erscheinen. „Aber wenn man das auf 100 oder 1.000 Bauten bezieht und dann über ein Jahrzehnt des Bauens, begreift man die Auswirkungen.“

Mit dieser Art neuen Denkens hat BIG auch den Internetkonzern Google für sich einnehmen können. Seit drei Jahren zeichnet die Gruppe deshalb gemeinsam mit dem britischen Architekten Thomas Heatherwick an kühnen Plänen für den neuen Google Campus im kalifornischen Mountain View. Eine Art Superdach soll sich über mehrere Gebäude spannen und da­runter ein Mikroklima erzeugen, viel Licht und Luft hereinlassen. Mit Bäumen, Wiesen, Cafés und Radwegen quer durch diese Strukturen werden sich die Grenzen zwischen Bauten und Natur verwischen. Offenbar waren die ersten Entwürfe so vielversprechend, dass Google – ein Unternehmen, das aktuell in rund 20  verschiedenen Ländern für sich bauen lässt – seinen neuen Sitz am Kings Cross in London ebenfalls an BIG vergab. BIG entschied daher, nun auch einen Standort an der Themse zu eröffnen.

Schon im Sommer war London ein ganz besonderer Spielplatz für Bjarke Ingels gewesen, er durfte den diesjährigen Pavillon der Serpentine Galerie entwerfen. Und seine temporäre Architektur überzeugte mit viel verstecktem Witz: Aus verschiedenen Perspektiven sah der Bau komplett unterschiedlich aus. Von vorn drängte sich der Vergleich mit einem sich öffnenden Reißverschluss auf, dann waren da Kurven und Winkel, alles auf- und gleichzeitig absteigend, am Boden verbreiterte sich das Gebäude, zum Dach hin verengte es sich extrem. Ein Spiel mit optischen Täuschungen. Die 1.802 grauen Kisten, aus denen der Bau bestand, waren an den Schmalseiten offen, aus dem Innenraum fiel der Blick durch die Boxen auf den umgebenden Park, dann wieder schienen sie eine ebenmäßige Wand zu bilden. Ein raffinierter Ausflug ins zweckfreie Bauen, für Ingels eine willkommene Abwechslung zu all seinen Mega-Projekten. Seinen Erfolg nimmt er übrigens, wie alles andere auch, mit skandinavischer Lässigkeit. „Ich glaube, es setzt mächtigere Kräfte frei, das, was man tut, zutiefst zu lieben, als sich dabei vor Angst in die Hose zu machen.“

IssueGG Magazine 04/16
City/CountryCopenhagen/ Denmark
PhotographyBjarke Ingels Group