Filter View All InterviewPlaygroundPersonalitiesTravelOfficesPrime Properties
Allgemeine GeschäftsbedingungenWiderrufsbelehrungE-MagazineGG AbonnementAboutMediadaten

A plastic Ocean by Michaela Cordes | 3. März 2017 | Personalities

Sie ist eine moderne Meerjungfrau, die Weltrekorde brach. Mit 24 Jahren tauchte Tanya Streeter mit einem einzigen Atemzug 160 Meter tief auf den Meeresboden und kehrte ohne Sauerstoffflasche an die Wasseroberfläche zurück. Eine Sensation in der Männerdomäne Apnoetauchen. Ihre Liebe zum Meer inspiriert die Extremsportlerin auch für ihr neuestes Projekt: die Rettung unserer mit Plastik verseuchten Ozeane.

„Das Meer ist für mich seit frühester Kindheit mein Rückzugsort, mein Spielplatz, meine Wohlfühlzone.“ Tanya Streeter

Fast poetisch sieht es aus, wenn Tanya Streeter wie ein eleganter Fisch durchs Wasser gleitet. Ihr hautenger Anzug schimmert silbern, ihre Füße stecken in einer Monoflosse. Scheinbar ohne Anstregung zieht sie an einem Buckelwal und seinem Jungen vorbei. Die schöne Athletin tauchte schon für diverse BBC-Dokumentarfilme – etwa unter das Eis der Arktis –, sie ließ ihre Flossen von gefährlichen Riffhaien anknabbern und verbrachte für die TV-Show „Celebrities in the Wild“ eine Woche allein im afrikanischen Busch in Botswana. Angst scheint sie nicht zu kennen, jedenfalls nicht vor wilden Tieren: „Viel mehr sorge ich mich um die Tonnen von Plastik, die unsere Weltmeere zerstören!“

Jährlich werden davon 300 Millionen hergestellt, die Hälfte nur zum einmaligen Gebrauch. Über acht Millionen Tonnen gelangen über unsere Flüsse und Meeresströme ins Meer und verwandeln sich jedes Jahr durch Witterung, Salzwasser und Sonne in gefährliches Mikroplastik, das wie kleine Schwämme Toxine aufsaugt. Meerestiere verwechseln diesen sogenannten Plastic Smog mit Plankton und so gerät das gefährliche Gift auch in unsere Nahrungskette. Das ist eine der Kernaussagen des neuen Dokumentarfilms „A Plastic Ocean“, den die Britin Jo Ruxton über acht Jahre lang produzierte und für den sich Tanya Streeter als Schutzpatronin einsetzt. Die Freitaucherin ist im Film auch selbst zu sehen. Mithilfe eines Roboter-U-Boots untersucht sie z. B. mit einem Meeresbiologen, wie viel Plastikmüll auf dem Meeresgrund liegt. Einige Bilder des Films sind schwer zu ertragen: Seevögel, die qualvoll verenden, weil sie nicht zwischen Futter und Plastikteilchen unterscheiden können, ein toter Wal, dem überdimensionale Plastikplanen aus dem Bauch geschnitten werden. „Aber es ist eine traurige Wahrheit, dass der Mensch zwar bei solchen Szenen mitleidet, aber erst sein Verhalten ändert, wenn seine eigene Gesundheit bedroht ist. Und das ist sie!“, sagt Streeter, als wir beim Tee in der Küche ihres Hauses in Austin sitzen. Hier in der bunten texanischen Hauptstadt lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern. Geboren und aufgewachsen ist die US-Britin auf den Cayman Islands, wo wir sie einige Wochen später noch einmal zum Fotoshooting treffen.

„Ich habe während der Dreharbeiten viel gelernt und meine Gewohnheiten geändert.“ Tanya Streeter

Welche Fakten aus dem Film „A Plastic Ocean“ haben Sie persönlich am meisten schockiert? Die Statistik, dass in den letzten zehn Jahren mehr Plastik produziert worden ist als in den vergangenen 50 Jahren. Dass das „Container Recycling Institute“ angibt, 2014 seien in den USA 100,7 Milliarden Flaschen aus Plastik verkauft worden: 315 Stück pro Person. Oder dass es Plätze auf der Welt gibt wie den polynesischen Inselstaat Tuvalu: bis 1978 ein tropisches Paradies, heute ein Alptraum, weil alle importierten Güter in Plastik verpackt ankommen und es keinen Weg gibt, das Plastik wieder loszuwerden. Die Hälfte der Hauptinsel ist heute eine Plastikmüllhalde. Und die Menschen sterben an Krebs, weil sie das Plastik als Brennmaterial zum Kochen verwenden.

Was hat Sie überzeugt, Teil des Filmprojekts zu werden? Als ich die Produzentin Jo Ruxton traf und sie mich bat, ihr Projekt zu unterstützen, habe ich sofort zugesagt. Vielleicht war mein Talent fürs Tieftauchen am Ende dafür gut, dass ich mich heute für die Gesundheit unserer Meere einsetzen kann. Ich habe mit Leidenschaft an dem Film mitgearbeitet und selbst sehr viel gelernt.

Ist Ihnen schon während Ihrer Extremsportler-Karriere aufgefallen, wie stark unsere Meere mit Plastik verseucht sind? Ja, natürlich. Ich wuchs ja am Strand der Cayman Islands auf und kann mich nicht erinnern, als Kind jemals am Strand einen Plastikbecher oder Strohhalme gefunden zu haben. Später habe ich oft Plastikteile aus dem Meer gefischt, den Meeresboden habe ich – so weit es ging – tauchend aufgeräumt. Meine Kindheit hat mich natürlich geprägt; das Inselleben mit seinen Herausforderungen im Kleinen hat mich gelehrt, womit unser Planet im Großen kämpfen muss.

Inwiefern haben sich Ihre Lebensgewohnheiten seit den Dreharbeiten geändert? Mein Mann Paul und ich waschen Plastikbeutel heute mehrmals aus und verwenden sie wieder. Wir kaufen anders ein, zum Beispiel Gemüse und Obst ohne Plastikfolie. Wir geben mehr Geld aus, um weniger Plastik zu benutzen. Ich füttere meinen kleinen Sohn aus Glas- statt Plastikflaschen. Aber am meisten hat der Film unsere Tochter beeinflusst. Sie passt sehr darauf auf, was wir zu Hause benutzen. Ich habe den Film in ihrer Schule gezeigt und ein paar Worte zum Thema gesprochen. Danach bekam ich einen ganzen Monat lang Anrufe und E-Mails von anderen Eltern: Ich darf meinem Sohn sein Pausenbrot nicht mehr in Plastik einwickeln, meine Tochter hat uns verboten, Plastiktüten zu benutzen – es ist erstaunlich, wie stark besonders Kinder auf unsere Botschaft reagieren.

Wie sind Sie selbst aufgewachsen? Ich hatte eine sehr idyllische Kindheit. Meine Eltern waren unabhängig voneinander auf die Caymans gezogen. Meine Mutter kam 1966 aus England und mein Vater aus den USA, 1969 haben sie geheiratet und mich und meinen älteren Bruder bekommen. Mein Vater hatte die erste Tauchschule direkt am Strand. Ich verbrachte meine gesamte freie Zeit draußen. Mein Spielplatz war das Meer, bis ich als Neunjährige auf ein Internat nach England kam. Ich erinnere mich noch daran, dass ich nie weinen musste, wenn ich meiner Mutter Auf Wiedersehen sagte, aber wenn ich dann im Flugzeug saß und aus dem Fenster schaute und das Meer verschwinden sah, dann liefen die Tränen.

Erst mit Anfang zwanzig entdeckten Sie Ihr Talent fürs Freediving – wie kam es dazu? Ich war 24, wieder zu Hause nach der Uni, und begleitete ein paar Freunde beim Speerfischen. Sie schossen und ich tauchte runter, um die Beute nach oben zu bringen. Nicht schlecht für ein Mädchen, lachten sie. Sie waren alle selbst Freediver, was ja zu den ältesten Extremsportarten gehört und ursprünglich vom Speerfischen kommt. Da ich tiefer tauchen konnte als alle anderen, rieten sie mir, einen der Freediver-Kurse zu besuchen, die gerade von dem legendären Pip.n Ferreras anboten wurden. Ich ging hin und war die einzige Frau. Man gab mir einen Gewichtegürtel und einen Computer. Als ich wieder auftauchte, hieß es, ich hätte 30 Meter geschafft – was schon eine kleine Sensation war, denn alle anderen Teilnehmer kamen gerade mal auf 20 Meter. An dem Abend rief Pip.n Ferreras an und fragte, ob er mich trainieren dürfte, um den US-Rekord – 50 Meter – zu brechen. Erst wollte ich nicht, aber dann wurde ich süchtig nach der Herausfoderung und lernte, dass ich immer tiefer tauchen konnte, je härter ich zuvor im Fitnessstudio trainert hatte.

Man sagt, Freediver setzen jegliche mathematischen und biologischen Grenzen außer Kraft. Ja, der Geist muss es wollen, der mentale Anteil ist bei diesem Sport nicht zu unterschätzen. Es ist wie eine Stimme in deinem Kopf, die dir sagt: Versuch es tiefer, du schaffst das, versuch es weiter. Der harte Teil war die Arbeit im Fitnessstudio. Der Lohn: das Abtauchen ins Meer. Ich verwandelte mich in eine Maschine. Ich machte alles – Cardio, Aerobics, Anaerobics. Ich stieg 80 Kilometer auf Level 10 auf dem Stairmaster hinauf! Ich war wirklich super-super-super fit. Und wenn ich sechs Tage hart im Gym trainiert hatte, tauchte ich am siebten Tag ein ganzes Stück tiefer.

„Freediving ist für mich vor allem ein emotionales Erlebnis. Aber auch ein sehr riskantes, das ich aufgab, als ich Mutter wurde.“ Tanya Streeter

Freediving ist nicht ungefährlich. Der erste Teil ist das Abtauchen. Es gewinnt – so verlangen es die Regeln –, wer bei vollem Bewusstsein wieder an die Oberfläche kommt. Wie fühlt sich das an – auf dem Meeresboden in 160 Metern Tiefe? Es ist sehr, sehr dunkel, sehr friedlich, alles, was du hörst, ist dein eigener, sehr langsamer Herzschlag. Aber vor allem ist es ein emotionales Erlebnis, weil es das Ergebnis eines langen und harten Arbeitsprozesses ist. Du bist mit dir allein und der Stimme, die dir sagt: Tanya – du schaffst das, du schaffst das …!

Warum, meinen Sie, hatten Sie mehr mentale Power als andere, diesen Sieg zu erreichen? Wegen meiner ungewöhnlich starken Beziehung zum Meer. Der Ozean war für mich schon als kleines Kind mein Rückzugsort, meine Wohlfühlzone. Wieder hochzukommen und dabei nicht ohnmächtig zu werden, ist der schwerste Teil. Heute, mit Anfang 40, weiß ich, wer ich bin, aber damals hat mir dieser Sieg geholfen, mir selbst zu zeigen, was in mir steckt.

Sie waren die erste Frau, die den Weltrekord im Apnoetauchen gewann – wie reagierten die Männer um Sie herum auf Ihren Erfolg? Na, schauen Sie mich an – die nahmen mich nicht ernst. Nein – es wurde behauptet, ich hätte geschummelt und dass eine Frau mit einem Körper wie meinem zu zierlich sei, um einen solchen Rekord zu leisten. Heute sind diese Männer gute Freunde geworden. Aber richtig akzeptieren sie mich erst seit der Zeit nach dem Weltrekord. Als ich 1999 als Safety-Taucherin bei einem Wettbewerb in Ägypten half und drei Stunden lang alle paar Minuten tauchen musste, merkten sie, wer ich wirklich bin und was in mir steckt. Ich habe nie viel Theater um meine Fähigkeiten gemacht und sehe das bis heute als keine großartige Leistung an. Meine Muttrer wurde einmal gefragt, was sie stolz macht, wenn sie an ihre Tochter denkt. Ihre Antwort: „Dass sie die geblieben ist, die sie immer war.“

Mehr unter www.plasticoceans.org/film

 

IssueGG Magazine 02/17
City/CountryAustin/ U.S.
PhotographyMark Seelen