Kick des guten Gewissens by Lisa Schönemann | 6. März 2017 | Travel
Hoch über den Wellen des Nordatlantiks einschlafen, vielleicht den Ruf der Wale hören. Monatelang dem Mekong folgen, auf dem Rad bis Saigon. Oder bei Berbern in den abgelegenen Bergen Marokkos einkehren: Nachhaltiges Reisen ist längst mehr als eine Idee von Klimawandel-Mahnern. Hoteliers wie Reiseveranstalter haben den Erfolgstrend registriert. Immer mehr bieten genussvolle Ferien mit Verantwortung an.
Schmal, klar und reißend ist der Mekong an der chinesisch-tibetischen Grenze im Himalaya. Zwischen Schluchten und schneebedeckten Bergen entspricht der Oberlauf des Flusses so gar nicht dem Klischee eines mächtigen, von Palmen und Kolonialarchitektur gesäumten Stroms. Für die nachhaltige Reise „Mythos Mekong“ durch China und Laos, Kambodscha und Vietnam ist der Spezialanbieter „China by Bike“ mit der „Goldenen Palme“ von „GEO Saison“ ausgezeichnet worden. Die Teilnehmer folgen dem Strom drei Monate lang flussabwärts – per Fahrrad. Beschaulicher geht es auf einer nachhaltigen Yoga-Reise zu. Es duftet nach Oleander, Rosmarin und wildem Fenchel. Der Pool im Südosten Mallorcas liegt verlassen in der Vormittagssonne. Die meisten Gäste exerzieren zu dieser Stunde die „Kobra“ oder die „Kriegerin“ – Übungen für Körper und Seele. Die 300 Jahre alte, stilvoll renovierte Finca „Son Mola Vell“ zwischen Zypressen und Feldern ist ein Ort für Achtsamkeit und Meditation. Der Veranstalter „Neue Wege“, spezialisiert auf bewusstes, gesundes und natürliches Reisen, hat die Finca seit März 2017 als eigenes Yogazentrum im Programm. Spitzenkoch Siegfried Lechner verwandelt lokale Produkte in eine grandiose vegetarische Küche. Enthusiasmus und Offenheit gehören auf jeden Fall dazu, wenn es Anbietern um nachhaltiges Reisen und soziale Verantwortung geht. Im „Grandhotel Cosmopolis“ in Augsburg, einem „gesellschaftlichen Gesamtkunstwerk“, essen und tanzen Hotelgäste gemeinsam mit den nebenan wohnenden Asylbewerbern. Im kanadischen „Fogo Island Inn“, einem futuristischen Holzbau an der Küste Neufundlands, nutzen Inselbewohner ganz selbstverständlich die Lounge, das Kino und die Bibliothek des Hotels. Die jüngst auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch ausgezeichnete marokkanische Eco-Lodge „Kasbah du Toubkal“ unterstützt in dem kleinen Bergdörfchen Imlil im Hohen Atlas ein Hammam, ein Internetcafé und in der kleinen Stadt Asni eine Unterkunft für Schulkinder. Der Nachwuchs der Berber aus der Umgebung hätte sonst jeden Tag eine beschwerliche Reise zwischen Himmel und Erde vor sich.
„Nachhaltiges Reisen ist alles andere als vernunftbetont.“
Petra Thomas
Wer öko mit öde gleichsetzt, wird von den vielfältigen Ideen überrascht, mit denen Hotels und Reiseanbieter ihren „grünen“ Beitrag leisten: innovativ statt engstirnig, genussvoll statt entbehrungsreich. „Nachhaltiges Reisen ist alles andere als vernunftbetont“, sagt Petra Thomas. Sie ist Gesch.ftsführerin bei „forum anders reisen“, dessen mittlerweile mehr als 140 Mitglieder sich verpflichten, schonend mit Ressourcen umzugehen und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Einzelne Anbieter verzeichnen laut Thomas Umsatzzuwächse von 20 bis 40 Prozent. Insgesamt kamen diese 2015 auf einen Rekordwert von 221 Millionen Euro bei 133.000 Reisenden – ein Plus von sieben Prozent. Nicht schneller, höher, weiter sei angesagt, sagt die Expertin Thomas, sondern sich selbst etwas Gutes zu tun. Nachhaltig reisen bedeutet, „die Weisheit der Natur zu respektieren“ wie beim „Vigilius Mountain Resort“ in Südtirol. Das nur mit einer Seilbahn erreichbare Klimahaus A von Architekt und Designer Matteo Thun arbeitet mit erneuerbaren Ressourcen – als ein Ort der „gelebten Einfachheit, die sich im Design widerspiegelt“. Nachhaltigkeit bedeutet hier wie in anderen, ähnlichen Hotels, Verantwortung zu übernehmen. Entsprechende Gütesiegel wie „Green Globe“, „Viabono“ und „Travelife“ oder „TourCert“ helfen den Gästen vor der Buchung bei der Orientierung.
Wer wegen der CO2-Emissionen, die ein Flug verursacht, ein ungutes Gefühl hat, überweist eine entsprechende Summe an Kompensationsagenturen wie „Atmosfair“. Mit den Beträgen werden Projekte wie etwa die Umstellung von Kerosinauf Solarkocher in Indien finanziert. Dieser moderne Ablasshandel kommt vor allem bei Fernreisen ins Spiel. Etwa in Kenia in einem privaten Wildschutzgebiet auf dem Laikipia-Plateau, dem „Segera Retreat“. Hier können Husarenäffchen ganz schön frech werden. Segera ist ihr Reich – und das der Elefanten und Löwen, Leoparden und Giraffen. Zum ambitionierten Retreat gehören acht Lodges inmitten eines botanischen Gartens mit filmreifem Ausblick auf die Savanne und den Mount Kenya. Durch die Unterstützung der gemeinnützigen Zeitz Foundation des ehemaligen Puma-Vorstandsvorsitzenden Jochen Zeitz ist das Projekt zu einem Wegbereiter für die ganzheitliche Integration von Umweltschutz, Gemeinschaft, Kultur und Wirtschaftlichkeit geworden. Junge Massai aus der Umgebung haben im Wildschutzgebiet Arbeit gefunden. Was auf den Tisch kommt, bauen die Farmbewohner selbst an. Rund 40 Prozent der Deutschen ist es wichtig, dass sich Hoteliers wie Reiseveranstalter für Umwelt und Sozialverträglichkeit engagieren. Das ermittelte die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen in einer Umfrage für das Bundesumweltministerium. Nur zwölf Prozent der Befragten sind bereit, entsprechend mehr Geld auszugeben. Tatsächlich muss nachhaltige Erholung nicht unbedingt teuer sein. Eine Fahrradtour in der Region ist erschwinglich und hinterlässt einen geringen ökologischen Fußabdruck. Ähnliches gilt für Ferien im „Mattlihüs“ auf 1.200 Metern Höhe im Allgäu: Umgeben vom duftenden Holz der Zirbe finden selbst gestresste Städter in den Schlaf. Die Hoteliers Melita und Alexander Geißler haben Deutschlands erstes Holz100-Hotel geschaffen: ein Niedrigenergiehaus in hundertprozentiger Holzbauweise aus mondgeschlagenem Fichtenholz. Am anderen Ende der Republik hat sich eine ganze Insel der Nachhaltigkeit verschrieben: Das autofreie Juist im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer – hier hört man nur Möwenschreie und Pferdehufgeklapper – möchte bis 2030 das erste klimaneutrale Eiland Deutschlands werden. „Die Nordsee-Inseln Pellworm und Föhr sind ebenfalls im Bereich Klimaneutralität aktiv“, sagt Ines Carstensen, Professorin für Nachhaltigkeit und Innovations-Management an der SRH Hochschule Berlin. Sie begleitet das Projekt auf Juist mit einem Forscherteam. Ihr neuester Versuch: Mit Moosen bestückte Bänke, die CO2 neutralisieren – pro Bank so viel wie 127 Bäume im Jahr.