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Der Namensträger by Silke Bender | 6. September 2019 | Offices

Der Aufstieg des Hauses Louis Vitton begann vor 165 Jahren, mit der neuen Ära des Reisens: Die eleganten Koffer aus der Pariser Werkstatt wurden schnell zum begehrten Statussymbol. Patrick- Louis Vuitton ist Koffermacher in fünfter Generation. Wir durften ihn im Haus seines Ururgroßvaters besuchen.

Nein, ein Bohemien ist er nicht. „Ich bin Handwerker, da beginnt man um halb acht mit dem Dienst“, sagt Patrick-Louis Vuitton. Im grauen und leicht verknitterten Anzug führt er in den Salon des Familiensitzes: eine im üppigen Jugendstil dekorierte Villa im Pariser Vorort Asnières. Die Fenster verziert mit floralen Motiven, ein Kamin in Form von Blumenstängeln, goldene Lüster, Chesterfield-Sofas, bourgeoise Pracht. 34 Jahre lang ging der Herr mit dem großen Namen im Haus seines Ururgroßvaters Louis Vuitton ein und aus, er wohnte gleich nebenan. 1984 wurde die Villa zum Empfangssalon des Unternehmens umfunktioniert. Monsieur Vuitton nimmt im grauen Samtsessel Platz, zündet sich seine Pfeife an und spricht über die Zeit, als Eisenbahn und Dampfschifffahrt die Welt veränderten, die bessere Gesellschaft das Reisen entdeckte: „Louis Vuitton hat die Zeichen der Zeit erkannt, als er 1854 begann, widerstandsfähiges Reisegepäck zu fertigen“, sagt er. Riesige Truhen nämlich, mit Kompartimenten, in denen Porzellan, Schmuck oder Hüte unbeschadet transportiert werden konnten.

Viele dieser historischen Stücke sind in der „Galerie“ ausgestellt, einer Art privatem Reisemuseum. Etwa der Koffer, für den Afrika-Pionier Pierre Savorgnan de Brazza entwickelt: ein ausklappbares Feldbett, das selbst im Busch guten Schlaf garantierte. Oder der für den Dirigenten Leopold Stokowski, samt Arbeitstisch und Ablagefächern für Bücher und Partituren. Dass die Koffer ohne Inhalt bis zu 60 Kilo wiegen konnten, war den Reisenden ziemlich egal. Tragen musste man damals noch nicht selbst, dafür gab es Personal. Statt des schweren Leders erfand Louis Vuitton bald den mit Roggenmehl imprägnierten Leinenstoff als Oberflächenbezug, der zunächst grau war, dann gestreift und schließlich im Schachbrettmuster daherkam.

„Ich selbst bin in meinem Leben wohl mehr gereist als all meine Vorfahren zusammen.“ PATRICK-LOUIS VUITTON

Der Koffer-Unternehmer machte das Reisen leichter, praktischer und eleganter. Die Liste seiner Klienten, von Kaiserin Eugénie bis zum reich gewordenen Bürger, wurde sehr schnell länger. „Mein Ururgroßvater war Handwerker, er ist nie gereist, er konnte aber gut zuhören und praktisch denken“, sagt Vuitton. „Ich selbst bin in meinem Leben wahrscheinlich mehr gereist als alle Vorfahren zusammen.“ 1859 zog der Betrieb mit 20 Angestellten nach Asnières um. Louis Vuitton, der gelernte Koffermacher, wollte hinaus ins Grüne, wo er am Wochenende gern die Tanztavernen und Ruderclubs an der Seine besuchte. Asnières war damals noch ein beschauliches Dorf. Für den Firmengründer war es Ehrensache, seine Villa gleich neben der Fabrik zu bauen, um immer in der Nähe der Arbeit zu sein. „Ich sage immer noch Fabrik“, schmunzelt der Ururenkel. „Sollte aber Atelier sagen, so lautet unser neuer Sprachkodex.“ Das ehemalige Familienunternehmen ist längst in LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton aufgegangen, dem weltgrößten Luxuskonzern. Und Louis Vuitton ist die stärkste Marke im Portfolio von CEO Bernard Arnault. Im Luxus-Ranking des US-Marktforschungsinstituts Kantar liegt sie seit Jahren an der Spitze der global prestigeträchtigsten und wertvollsten Marken.

Nur noch drei Vuittons arbeiten im Unternehmen, das seine Produktion mittlerweile auf 16 Standorte in ganz Frankreich ausgeweitet hat: Patrick-Louis, der das „Atelier“ in Asnières leitet, und seine beiden Söhne Benoît-Louis und Pierre-Louis. Der eine ist Store Director in Toronto, der andere ist für eine Fertigungsstätte im Rhône-Tal zuständig. Als Patrick-Louis Vuitton Anfang der 70er-Jahre hier in Asnières die Kunst des Koffermachens erlernte, arbeiteten gerade mal 115 Angestellte im Betrieb. Heute sind es 250. Für ihn war es keine Frage, in die Fußstapfen seines Vaters Claude zu treten. „Ich bin neben der Fabrik großgeworden, den Geruch von Leder und Holz in der Nase. Aus den Produktionsresten bastelten wir fünf Geschwister uns Schwerter und Pfeile, spielten Cowboy und Indianer“, erzählt er. „Und donnerstags lud Urgroßmutter Joséphine zum Mittagessen an den Tisch dort.“ Er zeigt auf die große Tafel, die sich an den Salon anschließt. „Meine Uroma wurde 104 Jahre alt, sie erlebte den deutsch-französischen Krieg, den Ersten und Zweiten Weltkrieg –sie hatte viele Geschichten zu erzählen. Etwa die, als die Preußen aus unserem Vorgarten Kartoffeln und Karotten stahlen.“

Handwerk, das ist für ihn Hingabe an das Produkt, Disziplin und ein lebenslanger Lernprozess. Er kann noch heute jeden Handgriff selbst – vom Holzzuschnitt bis zur Arbeit an der Nähmaschine. Patrick-Louis Vuitton ist für die Unikate zuständig, die Spezialanfertigungen auf Kundenwunsch. Für den früheren Louis-Vuitton-Chefdesigner Marc Jacobs baute er eine komfortable Transportbox für dessen Hunde, für Starkoch Ferran Adrià einen Spezialkoffer, in dem nicht nur seine Kochschürzen, sondern auch diverse Dosen Platz hatten – der Spanier sammelt auf seinen Reisen stets Gewürze. „Ganz wichtig“, lächelt er, „war auch eine sichere Ablage für seinen Talisman, eine Zeitschrift. Aber da habe mich jetzt schon fast verplappert.“ Diskretion ist wichtig, Vuitton mag nicht viele Namen und Details preisgeben. „So ein Koffer verrät schließlich viel über die Person und ihre Eigenheiten.“

Für einen Chinesen fertigte er einen Koffer mit DVD-Spieler, Bildschirm und Kaffeemaschine, der stromunabhängig nur mit Solarenergie betrieben werden kann. Für einen Sammler baute er eine Transportbox für 120 Dirigentenstäbe – von Wagner bis Karajan. Mit dem Künstler Damien Hirst, der für sein Chirurgenbesteck einen Präsentationskoffer wünschte, traf er sich in London. Vuitton, selbst ein guter Zeichner, skizzierte in einem 90-minütigen Gespräch so lange den idealen Hirst-Koffer, bis der Künstler anerkennend nickte.

Vuitton hat sich selbst nur einmal einen Sonderkoffer gebaut – für seine Aquarellfarben, denn er liebt es, auf privaten Reisen zu malen. Ansonsten reist er mit Louis-Vuitton-Gepäck von der Stange, wie bei seinem nächsten Geschäftsflug nach Japan – ohnehin sind ihm Flugreisen ein Graus: „Diese Art des Reisens hat jegliches Flair verloren – ständig diese peinlichen Sicherheitskontrollen, wo man ohne Gürtel, auf Socken oder barfuß durch die Schranken laufen muss: Wo bleibt da die Eleganz? Ich erinnere mich, wie früher die Fluggäste persönlich vom Kapitän begrüßt wurden. Alles fini.“ Er persönlich bevorzugt den Genuss der Langsamkeit. „Wenn ich mit dem Auto an die Côte d’Azur fahre, lasse ich mir mehr als zwei Tage Zeit, fahre nur Landstraße. Ich habe so schon die hübschesten Ortschaften, die besten Gasthäuser und Herbergen in ganz Frankreich entdeckt. Das ist für mich die Lust des Reisens, wie die Menschen sie wohl früher empfunden haben, als mein Ururgroßvater anfing, das Gepäck dafür zu fertigen.“ Seit ein paar Jahren ist Vuitton auch stolzer Besitzer einer Segelyacht in der Bretagne, mit der er am liebsten zwischen der Küste und der Belle-Île kreuzt, ganz gemütlich. Er hat sie selbst gezeichnet und von einem Reeder nachbauen lassen – selbstverständlich ganz nach Maß.

IssueGG Magazine 04/19
City/Country
PhotographyLouis Vuitton
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