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Oatly by Julia Dettmer | 4. September 2020 | Personalities

Oatly hat es geschafft, sich mit einer authentischen Botschaft und gewitztem Marketing rasant zur weltweit beliebten Lifestyle-Marke zu entwickeln. Immer mehr Menschen greifen zu den nachhaltigen Hafermilchprodukten des schwedischen Marktführers. Doch alles begann mit einer verrückten Idee im Labor des Gründers Rickard Öste vor über 30 Jahren.

Bei einem Treffen mit einem Getreidehändler kommt Rickard Öste der zündende Einfall: Hafer!

Es ist 1989. An der Universität Lund in Schweden brütet ein kleines Forscherteam über einer ganz neuen wissenschaftlichen Idee: Sie wollen ein Rezept austüfteln, um pflanzliche Milch aus Hafer herzustellen. Rickard Öste (heute 72) führt die Gruppe als Professor am Institut für angewandte Ernährungswissenschaft an.

Er beschäftigt sich schon seit über 25 Jahren mit dem Thema, denn sein Vorgesetzter Arne Dahlqvist hatte bereits 1963 die menschliche Laktoseintoleranz entdeckt. Jetzt will Öste endlich die Lösung für dieses Problem finden, das so viele Menschen auf der ganzen Welt plagt. Bei einem Treffen mit einem Getreidehändler kommt ihm dann der zündende Einfall mit dem Hafer. „In diesem Moment wurde mir das Potenzial von Hafer bewusst, sowohl hinsichtlich des Geschmacks als auch der Ernährung. Außerdem ist das Getreide gut für unser regnerisches und kaltes schwedisches Klima geeignet“, erzählt Öste im GG-Interview von seinem Schlüsselerlebnis. Also trommelte der Wissenschaftler eine kleine Forschungsgruppe von Kollegen mit verschiedenen Kompetenzen zusammen und machte sich daran, eine Milch aus Hafer zu entwickeln.

Es folgten einige Jahre des Forschens und Herumprobierens, damit durch die Verwendung von Enzymen die Nährstoffe im Hafer erhalten bleiben. Öste reiste sogar nach Japan, um sich dort über die Produktionsweisen von Sojamilch schlauzumachen. Doch er blieb bei seiner Hafer-Idee und durfte 1993 endlich die Sternstunde feiern: Die Rezeptur für einen wohlschmeckenden Getränke-Prototyp war gefunden. 1994 gab es dafür als Belohnung das Patent, und der Grundstein für Oatly war gelegt.

Östes visionäre Idee von 1989 ist heute – gut 30 Jahre später – längst in den Alltag eingezogen. Fast jedes Café bietet Hafermilch als Alternative zu Kuhmilch an. Immer mehr Menschen bestellen ihr Heißgetränk mit dem Ersatzprodukt, weil sie entschieden haben, tierische Produkte teils oder ganz aus ihrer Ernährung zu streichen. Sie praktizieren leidenschaftlich das, was Öste damals antrieb: Er wollte ein nährstoffreiches Getränk für Menschen entwickeln, die laktoseintolerant sind oder keine Kuhmilch trinken möchten, und damit ein größeres Ziel erreichen – den Weg zu einer nachhaltigeren Ernährung ebnen.

Doch in jeder Erfolgsstory gibt es Stolpersteine, so auch auf Östes Weg. Nachdem die Hafermilch bis zur Marktreife entwickelt war, versuchten er und sein Team, ihre patentierte Innovation an andere Lebensmittelhersteller zu verkaufen, aber niemand zeigte gesteigertes Interesse. Schließlich lancierte Öste sein Produkt Mitte der 90er-Jahre unter dem Namen „Mill Milk“ einfach selbst in Schweden und Großbritannien. Mit Erfolg – 2001 wurde Oatly gegründet, 2006 öffnete die erste Produktionsstätte. Das Öko-Unternehmen ist mittlerweile zur riesigen Lifestyle Marke herangewachsen.

Für diese Positionierung im Branding sorgte Toni Petersson, der 2012 als CEO an Bord kam. Der Video-Clip von 2014, in dem der Geschäftsmann im lässigen T-Shirt und mit zurückgegelten Haaren in einem Kornfeld steht und singt, ist legendär. „Wow, wow, no cow, no, no, no“, schrammelt er, während er sich selbst auf dem Keyboard begleitet, auf dem natürlich eine Packung Oatly-Milch steht. Selbstironisch, authentisch und sympathisch ist das. 2,5 Millionen YouTube-Aufrufe und zahlreiche Kommentare, die die „vollständige Songversion“ verlangen, zeigen, wie gut dieses Image ankommt. Mit einfachen, aber einprägsamen Slogans wie „It’s like milk but made for humans“ („Es ist wie Milch, aber für Menschen gemacht“) wurde Oatly zur heiß geliebten Love-Brand.

Wow, no cow!

2015 brach dann der nächste Tiefschlag über Oatly herein: Die schwedische Milchindustrie verklagte die Firma für den berühmt gewordenen Claim „It’s like milk but made for humans“. Damals verlor der kleine Oatly den Kampf gegen die Milchgiganten. Doch der Zwerg sah darin die Bestätigung dafür, etwas richtig gemacht zu haben, indem er die bestehenden Normen für den Milchkonsum infrage gestellt hatte.

Oatly nahm es sportlich und konterte mit einem smarten Schachzug: Sie kommunizierten die Inhalte des Prozesses und die Niederlage ganz offen auf ihrer Website und sicherten sich damit die Sympathien der Verbraucher. Das Ergebnis: 45 Prozent mehr Umsatz. Heute will das Unternehmen die Auseinandersetzungen mit der Milchindustrie nicht mehr auf den damaligen „Milchkrieg“ reduzieren, sondern legt Wert darauf, dass es um die große Bewegung zu einer nachhaltigeren Zukunft geht.

Aus einem Stolperstein war ein Meilenstein geworden, und auf den ersten folgten noch zwei weitere, wie Helge Weitz, einer der deutschen Geschäftsführer, berichtet: „Ein weiterer Meilenstein war die Erfindung der Barista-Edition. So was gab es vorher noch nicht bei den Milchalternativen: perfekte Schäumbarkeit, kein Ausflocken im Kaffee und ein toller Geschmack. Damit konnten wir uns bei den Spitzencafés in einem hochqualitativen Umfeld etablieren.“ Der Hype habe Oatly sogar so weit nach oben katapultiert, dass es im Jahr nach dem Launch auf dem US-Markt 2018 zu Lieferengpässen gekommen sei.

Den dritten Meilenstein markierte schließlich der Einzug in die deutschen Supermärkte. Das war kein Durchmarsch, wie Weitz erzählt: „Wir sind Ende 2017 zu zweit gestartet. Anfangs mussten wir mit vielen Vorbehalten von Handelsseite kämpfen, weil man nicht an den Erfolg von Oatly als damaliges Nischenprodukt geglaubt hat. Unsere Kommunikation sei zu englisch, auf der Verpackung stehe zu viel Text, und der deutsche Konsument würde einfach anders ticken.“ Es habe dann ein bisschen gedauert, bis sie die ersten Einkäufer hätten überzeugen können, Oatly ins Sortiment aufzunehmen. Heute stehen die Produkte in fast jedem Supermarkt.

Das nachhaltige Lifestyle-Image hilft, die Strahlkraft der Marke Oatly zu multiplizieren.

Reichweitenstarke Influencer wie „Deliciously Ella“ (1,7 Millionen Instagram-Follower) oder Dariadaria (über 290.000 Instagram-Follower) zeigen auf ihren Social Media-Kanälen, wie gut rein pflanzliche Ernährung aussehen und schmecken kann und dass es nicht schwer ist, tierische Produkte zu ersetzen.

Schaut man sich im Supermarkt um, fällt auf, dass die Oatly Produkte nicht bei den Öko-, Bio- oder Diät-Lebensmitteln platziert sind, sondern direkt neben der normalen Kuhmilch. Und die Auswahl ist beachtlich: Da gibt es nicht nur den normalen Haferdrink, sondern eben auch die bereits erwähnte Barista-Edition, verschiedene fettarme Ausführungen, Bio-Varianten und die mit Extra-Kalzium. Das Produktdesign ist einheitlich. Natürliche Beige- und Brauntöne ergänzen sich mit blauen Nuancen und Weiß, daneben steht sehr viel Text. Auch diese Optik unterstreicht die unaufgeregte Glaubwürdigkeit der Produkte und sorgt für einen großen Wiedererkennungswert.

Eine Viertelmillion Follower drückt bei Instagram regelmäßig den Like-Button bei Quatsch-Postings wie einem, in dem ein junger Mann in seiner Wohnung einen Inlineskate-Parcours aus leeren Oatly-Verpackungen aufstellt und am Ende tölpelhaft stürzt. Aber Oatlys Social Media-Strategie setzt nicht nur auf naiven Witz, sondern auch auf die konsequente Kommunikation der nachhaltigen Unternehmenswerte. Die Produktion von einem Liter Hafermilch erzeugt nämlich weniger als ein Drittel des CO2 Ausstoßes, der bei einem Liter Kuhmilch anfällt.

Die Oatly-Zentrale in Schweden erlaubt einen Blick in die beeindruckenden Geschäftszahlen: 1 Milliarde SEK (circa 95 Millionen Euro) Umsatz in 2018, 2019 fast das Doppelte. Im Vergleich zu den meisten europäischen Kuhmilchherstellern ist Oatly zwar immer noch klein, das Unternehmen wächst aber rasant. Mit knapp 40 Prozent Marktanteil ist es der Marktführer im Bereich der Haferdrinks in Deutschland. Auch aus der deutschen Two-Man-Show ist mittlerweile ein Unternehmen mit 30 Mitarbeitern geworden, weltweit beschäftigt Oatly über 500 Menschen.

Auf dem Siegertreppchen ausruhen gilt aber nicht. Oatly hat ziemlich große Pläne. „Wir können mit Hafer alles machen, was man auch mit Milch machen kann. Unsere Palette reicht weltweit von Drinks über Eis bis zu Frischkäsealternativen“, sagt Tobias Goj, der zweite deutsche Geschäftsführer. Auch wenn er keine konkreten Neulancierungen nennen darf, deutet er an, dass das Sortiment der erfinderischen Schweden lange nicht ausgeschöpft ist. Alle neuen Produkte werden wie vor 30 Jahren auch heute gründlich in Östes Labor erforscht. Das Investment in die wissenschaftliche Herangehensweise ist einer der Gründe, warum man einen Liter Hafermilch nicht zum gleichen Preis wie einen Liter Milch bekommt.

Zudem muss sich Oatly auf einem Markt behaupten, der von Dumpingpreisen bestimmt wird. Wenn man den Preis von Milch mit der Erzeugung und dem Stichwort Tierhaltung in einen Zusammenhang setze, gleicht das einem Skandal, so Goj. Und noch etwas kommt hinzu: „Unsere Haferdrinks werden im Gegensatz zu Milch als Getränke und nicht als Lebensmittel eingestuft, weshalb unsere Produkte mit 19 Prozent Mehrwertsteuer eingestuft werden – Milch nur mit 7 Prozent.“

Mittlerweile ist der Kuhmilchkonsum im einstelligen Bereich rückläufig. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft wurden 2019 davon 2,5 Prozent weniger hergestellt als im Jahr 2018. Auch der Pro Kopf-Verbrauch ist um 3,6 Prozent gesunken. Während weniger Kuhmilch getrunken wird, wächst der Verbrauch der pflanzlichen Alternativen extrem stark – aufs Jahr gesehen deutlich über 30 Prozent, und die Tendenz ist steigend. Die Ernährungskompassnadel zeigt also ganz klar in Richtung Pflanzenmilch.

Auf oatfinder.oatly.com können Fans auf einer interaktiven Karte sogar nachsehen, wo es in ihrer Nähe Lokale gibt, die Oatly-Produkte anbieten. Vor allem in den USA und in Europa ist die Karte gespickt mit schwarzen Markierungsnadeln. Es ist wohl keine allzu kühne Prognose, dass sich dieses Oatly-Netz immer dichter spannen wird.

IssueGG Magazine 04/20
City/CountrySweden
PhotographyLars Jansson / Oatly