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Die Kunst, sich treu zu bleiben by Steffi Kammerer | 31. Mai 2024 | Personalities

Sie ist ein Hollywood-Superstar, der stets Grenzen überschritt und die Branche transformierte. Nach diversen Herausforderungen und einer lebensbedrohlichen Erfahrung begann Sharon Stone, sich neu zu erfinden, und hat jetzt eine neue Berufung ­gefunden — als gefragte Malerin.

Aus der Spur auszuscheren, sich zu verändern, vielleicht ganz Neues zu wagen, das ist für die meisten Menschen schwieriger, als es klingt. Viele klammern sich fest, auch wenn Situationen noch so ermüdend und festgefahren sind, einfach weil sie ihnen vertraut sind. Im Deutschen hören schon Kinder: „Schuster, bleib bei deinem Leisten.“ Für Hollywood-Ikone Sharon Stone war das keine echte Option mehr, denn wirklich interessante Filmrollen wurden ihr seit vielen Jahren nicht angeboten. Sie hat oft gesagt, wie sehr sie darunter litt. Einfallsreichtum und Mut waren also gefragt, beides hat Stone reichlich.

In ihrem Anwesen in Beverly Hills ist sie von Kunst umgeben, sie sammelt seit Jahren die Werke von Jean-Michel Basquiat. Während der Pandemie hat sie selbst angefangen zu malen, oder besser gesagt sie hat wieder angefangen, als Kind hat sie sich viel mit Kunst beschäftigt, ihre Tante war Malerin und gab ihr Unterricht. Ein halbes Leben später, der Lockdown hat Los Angeles fest im Griff, schenkte eine Freundin ihr ein Malen-nach-Zahlen-Kit; das brach den Bann, Stone kaufte Leinwände und Farben, malte wie im Rausch, postete ihre Bilder auf Instagram, ein bekannter Kunstkritiker wurde darauf aufmerksam, bald hatte sie ihre erste Ausstellung. Das Magazin „Artnet“ schrieb: „Ein Grund, dass sie als Künstlerin ernst genommen wird, ist, dass sie die Kunst ernst nimmt.“ Sharon Stone sagt: „Das Malen wurde zu einer Obsession“. Wir unterhalten uns per zoom, bei ihr in LA ist es früh am Morgen.

Was an der Malerei fasziniert Sie besonders?
„Das Schöne ist, und das ist der große Unterschied zum Film: Ich muss nicht auf das Produktionsbudget warten. Ich muss nicht darauf warten, dass alle Abteilungen zusammenkommen, damit ich arbeiten kann. Ich kann einfach in mein Studio gehen, das Licht anmachen und anfangen. Ich liebe die langen Stunden körperlicher und künstlerischer Arbeit.“

Ein Talent auszuprobieren und sich mit den ersten Versuchen in der Öffentlichkeit zu präsentieren, erfordert immer viel Mut, aber natürlich ist bei jemandem wie Sharon Stone die Fallhöhe besonders hoch. Und sie hat nicht etwa zaghaft und mit kleinen Bildern angefangen, sondern ist schon bei ihrer allerersten Ausstellung, im März 2023 in Los Angeles, aufs Ganze gegangen, hat den Raum mit riesigen und kraftvollen Gemälden bestückt.

Die Kunstwelt ist so kompetitiv wie die Filmwelt, hatten Sie gar keine Scheu, sich hier hervorzuwagen?„Ein Leben lang habe ich gehört, ich sei zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu blond, zu braun, zu irgendetwas. Letztendlich stößt das bei mir auf taube Ohren, weil ich nie für alle alles sein werde. Und ich erwarte fast, dass Leute mir sagen, was mit mir nicht stimmt, statt dass sie herausfinden, was mit ihnen richtig ist.“

Vor einigen Monaten, zu Beginn der Berlinale, eröffnet Stone eine Ausstellung in Berlin, ihre erste in Europa. Vom Flughafen ließ sie sich nicht in ihr Hotel fahren, sondern sofort in die Auguststraße zu ihren Bildern in der Galerie Deschler. Die Mitarbeiter hatten ihr vorher den Grundriss der Galerie gemailt, sie selbst hatte festgelegt, wo welches der zwölf Werke hängen würde, hat den Ablauf bis ins Detail allein konzipiert. „Totem“ hat sie die Ausstellung genannt, alle Bilder sind 2023 entstanden. Auf jedem ist irgendwo eine Schlange zu sehen. Häutungen, Neuanfänge, das ist ihr Thema. Eines ihrer Bilder ist ihrem Neffen gewidmet, der mit nur elf Monaten starb. Bei Stones Kunst geht es um Schönheit, aber immer auch um elemen­tare Erfahrungen: Krieg, verflossene Lieben, Verlust und Hoffnung.

2001 wäre sie nach einem Schlaganfall und einer Gehirnblutung fast gestorben; sie fiel ins Koma, die Ärzte schätzen ihre Überlebenschance auf ein Prozent ein. Über Jahre kämpfte sie sich zurück ins Leben, musste neu lernen, zu sprechen und zu laufen. Als es ihr endlich besser ging, stellte sie fest, dass in Hollywood niemand auf sie gewartet hatte.
„Ich musste mich wieder ganz hinten anstellen“, hat sie mal gesagt. Der Superstar der 90-er Jahre stand vor dem Nichts. Bis heute muss sie Medikamente nehmen, die einen neuen Hirnschlag verhindern sollen; all das hat sie über Jahre verborgen, aus Angst, es könnte einem Comeback in Hollywood schaden. „Eine Behinderung funktioniert in meiner Branche nicht wirklich“, sagt sie. „Die Malerei hat mir geholfen, die Angst zu überwinden, nicht akzeptiert zu werden.“

Zunächst stand die Staffelei in ihrem Schlafzimmer, aber bald war klar, sie brauchte richtig viel Platz, also hat sie einen eigenen Raum zum Atelier umfunktioniert. Endlich wusste sie wieder, wohin mit all ihrer Energie, musste nicht länger warten auf Rollen, die nicht kamen. Sich nicht länger fragen, wie sie am Spielfeldrand gelandet war. Sie, Sharon Stone, die einst überall in Hollywood hofiert worden war. Vier Einzelausstellungen hatte sie in den letzten zwölf Monaten: LA, Greenwich, Connecticut, San Francisco und eben in Berlin.

Hat Ihnen jemand geholfen, als Sie Ihre ersten Schritte in die Kunstwelt planten?
„Nein. Ich manifestiere Dinge, dann meditiere ich. Und danach gibt es nur eins: Arbeit, Vorbereitung, Arbeit, Arbeit, Arbeit. Ohne schafft man gar nichts.“ Egal, wie man heißt. Sie lacht ihr tiefes Lachen: „Ohne jahrelange Arbeit, Vorbe­reitung, Arbeit wird man nicht Sharon Stone. Es gibt keine Abkürzung. Ich habe neulich mit Oprah gesprochen und gesagt, wie sehr es mich nervt, dass Leute versuchen, sie niederzumachen. Und sie fragte mich, warum ich dächte, dass Leute es tun. Ich sagte, weil sie so sein wollen wie du, aber sie wollen nicht die Arbeit hineinstecken. Wissen Sie, man wird nicht jemand, ohne etwas zu leisten. Da stecken Jahrzehnte harter Arbeit drin. Und meine Gemälde entstanden nicht, weil ich herumgesessen habe, sondern weil ich jeden Tag, an dem ich nicht am Set in einem fremden Land war, in einem Museum verbracht habe. Studieren, schauen, betrachten, zeichnen. Es ist keine Zauberei.“

Wann haben Sie gemerkt, dass es mit der Malerei etwas Größeres werden könnte?
„Ich glaube, als Leute bei meiner zweiten Ausstellung anfingen, sich um den Kauf einiger meiner größeren Werke zu streiten, echte Sammler, die in Boards von Museen sitzen.“

Malen ist für sie etwas Spirituelles, sagt sie, sie verliert sich in ihren Bildern, dreht die Musik auf, vergisst völlig die Zeit. „Dann ist es schnell mal drei Uhr morgens.“ Es passiert viel in ihren Gemälden, die Spiegel sind eines Lebens, an dem manche zerbrochen wären. Sharon ­Stone ist in Pennsylvania aufgewachsen, das zweite von vier Kindern. Im März 2021 hat sie ihre hochgelobte und sehr intime Autobiografie veröffentlicht, „The Beauty of Living ­Twice“. Darin beschreibt sie eine Kindheit und Jugend, die begleitet war von Armut und Gewalt. Sie wuchs auf dem platten Land auf, mancher Mitschüler fuhr mit dem Traktor in die Schule. Früh hat sie sich weggeträumt in die Kunst. Schon als 15-Jährige schrieb sie sich an der nächstgelegenen Uni für Kunst und kreatives Schreiben ein, sie ist hochbegabt und hatte ein Stipendium, aber das brach sie dann ab, um in New York zu modeln.

Es ist auch ihre Herkunft, die dazu geführt hat, dass Sharon Stone nie aufgibt. Bevor sie mit „Basic Instinct“ über Nacht ein Weltstar wurde, hatte sie bereits in 17 Filmen gespielt und auf den Durchbruch gehofft. Drei Söhne hat sie großgezogen, sie leben bei ihr in Los Angeles. Auf Instagram gibt sie viel Einblick in ihren Alltag; bunt sieht es da aus, offenbar hat sie gute Freunde. Und sie hat beschlossen, dass 2024 für sie das Jahr der Liebe wird. In den letzten Jahren war hier Flaute, auch hier hilft es nicht unbedingt, Sharon Stone zu sein. Sie meldete sich schon vor ein paar Jahren auf der Dating-Plattform Bumble an. Als die sie blockten, weil sie ihren Account für einen Fake hielten, postete Stone es auf Twitter.

Sie hat sehr viel zurückgegeben in ihrem Leben. Nachdem ihr ehemaliger Schauspiellehrer an Aids gestorben war, begann sie, sich im Kampf gegen HIV zu engagieren, zu einer Zeit, als das noch sehr stigmatisiert war, in über 25 Jahren hat sie zig Mil­lionen Spendendollar eingesammelt. 2005 ist sie dafür von der Harvard Foundation ausgezeichnet worden. Sie war mit humanitären Organisationen im Nahen Osten, in Afrika und im Himalaja, hat sich für Obdachlose eingesetzt, für missbrauchte Frauen und Kinder. Im letzten Jahr verliehen ihr die Vereinten Nationen den Global Citizen of the Year Award.

Sharon Stone war für ihre Rolle in ­„Casino“ für den Oscar nominiert, einen Golden ­Globe hat sie bekommen. Auch wenn sie liebend gern neue komplexe Rollen spielen würde: Sie definiert sich nicht mehr allein darüber. Über 30 Jahre ist „Basic Instinct“ nun her. Ein bahnbrechender Film, dem sie ihren Ruhm verdankt, der ihr Leben aber auch überschattet hat. Wegen des Sekundenbruchteils, in dem sie die Beine überschlägt und tief blicken lässt. Als verführerische Killerin und wandelnde Männerfantasie.

Vielleicht ist Stones Dilemma auch immer gewesen, dass sich Menschen von ihr überfordert fühlten. Zu schön, zu intelligent, zu schlagfertig und scharfzüngig, zu wenig angepasst, zu wenig gefügig. Schon 1995 sagte sie der „Los Angeles Times“: „Ich glaube, die Leute wussten lange Zeit nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Ich sah aus wie eine Barbiepuppe und hatte diese Stimme, als ob ich mein Leben in einer Bar verbringe, und dann habe ich diese beunruhigenden Dinge gesagt.“

Was sie über die Jahre immer wieder gesagt hat, waren zwei Zahlen: dass sie für „Basic ­Instinct“ 500.000 Dollar bekommen hat, Michael Douglas hingegen 14 Millionen. Wenn sich am Gendergap langsam etwas ändert, dann ist das auch Sharon Stones Verdienst. Sie hat sich von Anfang an für #MeToo ein­gesetzt, hat die toxische Kultur Hollywoods beschrieben und wie ihr in unterschiedlichen Situa­tionen bedeutet wurde, Sex mit Kollegen oder Regisseuren würde ihrer Karriere helfen. Auf Entschuldigungen wartet sie bis heute.

Hadern Sie mit der Frage, wie Ihre Karriere hätte verlaufen können, wären Sie ein Mann?
„Wie Olivia Colman sagt: ,Hieße sie Oliver Colman, wäre für sie alles anders.‘ Über diese Dinge zu sprechen ist die Freiheit, die sich Frauen endlich nehmen. Angesichts all der Unterdrückung sind wir es einfach leid, in eine kleine Ecke gedrängt zu werden.“

Was haben Sie in den letzten Jahren gelernt, was Sie früher nicht wussten?
„Nach meinem Schlaganfall musste ich lernen, dass die Welt sich nicht wirklich um einen kümmert. Ich denke, man lernt Dinge, wenn man die wirklich schwierigen Lektionen verstanden hat. Man muss Grenzen ziehen. Ich habe gelernt, ein extrem hartes Nein zu sagen, weil mein Leben davon abhing. Natürlich gefiel es den Leuten nicht, sie haben schlecht über mich geredet. Ich kann ganz schön tough sein.“

Sie werden dafür auch bewundert.
„Leute bewundern einen vielleicht, aber das bedeutet nicht, dass sie mit einer Person Zeit verbringen oder sie einstellen möchten.“

Zufriedenheit wähle sie, sagt Sharon Stone. „Es ist eine Disziplin, eine tägliche Entscheidung.“

Fühlen Sie sich heute befreit?
„Ja. Weil ich nichts mehr zu verbergen habe.“

IssueGG Magazine 03/24
City/CountryUSA
PhotographyEric Michael Roy