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Ein Refugium für zwei Romantiker by Uta Abendroth | 1. September 2013 | Personalities

Clemens Rameckers und Arnold van Geuns sind seit Jahren in Paris zu Hause. Doch die beiden Niederländer erfasste irgendwann die Sehnsucht nach einem Haus auf dem Land. In der Normandie, nicht weit von Le Havre, entdeckten die unter dem Namen Ravage bekannten Designer, Künstler und Trendforscher das Château d’Écrainville, ein Schloss aus dem 19. Jahrhundert. Für GG öffneten die Kreativen ihr Domizil, dessen Interieur – im Kontrast zum traditionellen Äußeren – mit einem opulenten Schwarz-Weiß-Look überrascht.

Bei dem Wort Ravage drängen sich Bilder von häuslichem Chaos oder Verwüstung auf. Clemens Rameckers und Arnold van Geuns, die als kreatives Duo unter dem Namen Ravage firmieren, haben lediglich die Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen aneinandergefügt. In ihrem Zuhause herrscht alles andere als ein großes Durcheinander: Im Château d’Écrainville fügen sich Möbel und dekorative Objekte – die meisten sind Entwürfe der Hausherren oder bekannter Designer, die mal als Trainees bei Rameckers und van Geuns gearbeitet haben – zu einer Collage stilvollen Wohnens. „Unser Zuhause hat schon etwas von einem Museum an sich“, sagt Clemens Rameckers. „Die verschiedenen Räume ähneln traditionellen Schatzkammern, aber sie sind dennoch sehr zeitgenössisch. Wir haben dem alten Gemäuer durch die Art unserer Einrichtung und den Stil der Dekoration neues Leben eingehaucht und nicht nur das Interieur erneuert, sondern dadurch das gesamte Image gewandelt.“

„Eigentlich sind wir typisch holländisch: schlicht. Erst in Frankreich haben wir dekorieren gelernt.“ Clemens Rameckers

Die beiden gebürtigen Niederländer  leben schon seit rund 40 Jahren in Frankreich. Nach ihrem Studium an der Arnhem Fashion Academy gingen sie nach Paris, „um“, so formuliert es Clemens Rameckers, „unsere kreativen Flügel auszubreiten.“ In einer kleinen Dachgeschosswohnung entwarfen sie ihre erste Modekollektion. Arnold van Geuns erinnert sich gern daran: „Von dort aus haben wir Paris und die Modewelt entdeckt, wenig später auch das Interior Design. Zu der Zeit waren Einfallsreichtum, Pioniergeist und Innovationskraft sehr willkommen.“ In Frankreich hat das Duo seinen schöpferischen Horizont erweitert. „Wir sind sehr stark von dem Architekten Gerrit Rietveld, von De Stijl und dem Bauhaus geprägt“, sagt Clemens Rameckers. „In der Beziehung sind wir sehr holländisch, sehr schlicht. Erst in Frankreich haben wir die großartige Kunst des Dekorierens gelernt.“ Und so macht Ravage neben eigenen Modeentwürfen zwei Mal im Jahr Trendvorhersagen für die in Paris ansässige Trend Union von Li Edelkoort, sie beraten große Marken, malen, entwerfen Porzellanobjekte, Möbel, Teppiche, Wohntextilien, Geschirr, Glas und mehr.

Für ihre kreative Arbeit brauchten Rameckers und van Geuns irgendwann mehr Ruhe, als sie im betriebsamen Paris finden konnten. Sie suchten sich ein Pied-à-terre an der sogenannten Alabasterküste in der Haute-Normandie und pendelten zwischen diesem ländlichen Hideaway und ihrem weißen Loft an der Rue Jean- Pierre Timbaud oder später dem modernen Appartement am Boulevard Montparnasse. Bis das Château d’Écrainville ins Spiel kam. Die Vorstellung, hier wie zwei Lords zu leben, reizte die beiden Künstler. Nicht etwa, um zu repräsentieren, sondern um sich in einem so großen Haus kreativ auszutoben und Ideen zu realisieren, die schon seit Jahrzehnten in ihren Köpfen spukte.

„Das Château stand zum Glück nicht unter Denkmalschutz. So hatten wir freie Hand für den uns eigenen Ravage-Stil.“ Arnold van Geuns

Das jetzige Château d’Écrainville wurde 1880 an der Stelle eines älteren Schlosses errichtet. Auch wenn es im 19. Jahrhundert entstanden ist, stilistisch orientiert es sich mit dem großen Hauptteil in der Mitte und seinen beiden vorspringenden Seitenflügeln an Anlagen des 17. Jahrhunderts. Das Schloss liegt in einer ländlichen Gegend mit pittoresken Dörfern, die nächstgrößere Stadt, Le Havre, ist circa 30 Minuten mit dem Auto entfernt. Auf einem acht Hektar großen Anwesen mit viel Wald erhebt sich das herrschaftliche Ziegelgebäude mit seinem grauen Schindeldach auf einer riesigen Grünfläche. Zwischen hohen Bäumen steht noch das runde ehemalige Taubenhaus und ein bisschen weiter entfernt die Remise, wo früher die Kutschen geparkt wurden. „Im Zweiten Weltkrieg diente das Château als ein Fronthospital“, sagt Arnold van Geuns. „Danach hat es fast 20 Jahre lang leer gestanden, bevor es in den Siebzigerjahren komplett saniert wurde. Wir haben bei unserer Renovierung alles ein bisschen überarbeitet, das Schloss mehr oder weniger in seinen Originalstil zurückversetzt, es dabei aber weniger üppig dekoriert.“ Für ein typisch französisches Château kommt das in Écrainville denn auch mit vergleichsweise wenig Gold aus. Die dominierenden Farben sind vielmehr Schwarz, Weiß und Ecru, Blau und Gold setzen Akzente.

„Wir leben in einer Zeit der Freiheit, der Vielfalt und der Fantasie. Der Trend geht wieder mehr ins Dekorative.“ Clemens Rameckers

Ein beeindruckender Raum ist der Grand Salon, einst die Bibliothek. Zwei Wände und eine Holztreppe haben die heutigen Schlossherren entfernt, um einen noch größeren Salon zu erhalten. Die Wände und Türen hat Arnold van Geuns mit silhouettenhaften Bäumen und Pflanzen bemalt, natürlich in Schwarz-Weiß. Die Motive, die wie die moderne Interpretation alter Landschaftstapeten daherkommen, verraten etwas über die Motivation von Ravage, die es lieben, Raum an sich zu verwandeln: „Ich würde die Wandtableaus nicht als Schlüsselwerk bezeichnen, aber sie sind schon eine rein romantische Arbeit, die den innersten Kern von Ravage perfekt illus­triert“, sagt der Maler Arnold van Geuns. „Ravage ist mit einer romantischen Seele geboren. Bei allem geht es immer um Gefühl im Gegensatz zum Verstand. Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, wurde alles analysiert und erklärt. Die Gegenreaktion war ein sehr romantischer Denkansatz, das Herz sollte sprechen. Ich sehe auch meine Bilder eher als Werke der Kontemplation, denn meine Bäume sind nur ein Eindruck von der Natur, nicht die Analyse davon. Das Dekor des Grand Salon lädt zum Schauen ein und zum Schwelgen, nicht zum Forschen.“

„Unser Wohnsitz ist schon ein bisschen wie ein Museum. Aber er ist trotz allem zeitgenössisch.“ Clemens Rameckers

Erforschen möchte man das ganze Schloss, sich jedes Accessoire erklären lassen. Denn zu den meisten Objekten gibt es eine Geschichte. Wie bei den Vasen in der Eingangshalle, die von den Hausherren entworfen und bemalt wurden: Die eine ziert „L’Arrivée“, die andere „Le Départ“. Vor über 40 Jahren hatten die Künstler Gefäße mit diesen Worten im Entrée im Musée de Sèvres gesehen und sich damals vorgenommen, sollten sie jemals ein Haus besitzen, das groß genug für solche Vasen ist, die Idee nachzuahmen. Den Stuck, die alten Kamine und die Spiegel haben Rameckers und van Geuns restauriert, sogar die alte Badewanne des Schlosses ist heute noch in Gebrauch. Vom strengen Minimalismus, mit dem sie aufgewachsen sind, haben sich die beiden Ravage-Multitalente längst distanziert. Sie lassen sich auf ihren Reisen – die sie, wenn möglich, mit ihrem kleinen Vintage-Wohnwagen, einem Eriba Puck aus den Fünfzigerjahren, antreten – inspirieren und nutzen die stilistischen Freiheiten unserer Tage. Clemens Rameckers bringt Ravage auf den Punkt: „Wir sind ein Mix aus holländischer Nüchternheit und französischem Savoir-vivre.“

IssueGG Magazine 04/13
City/CountryLe Havre/ France
PhotographyMark Seelen