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Vive la Tradition by Eva Müller-May | 24. September 2013 | Personalities

400 Jahre Geschichte, 1.500 Quadratmeter, 100 Hektar Land: Château de Varennes in Burgund hat die Französische Revolution und beide Weltkriege unbeschädigt überdauert. Es ist eines der wenigen Schlösser in Frankreich, das im Besitz einer einzigen Familie geblieben ist. Für den Erben in der 14. Generation, Graf Aymeric de Truchis de Varennes, war es Verpflichtung und Herausforderung zugleich. Indem er und seine Frau Sonia es technologisch an die Anforderungen des dritten Jahrtausends heranführen und es im Innenbereich behutsam modernisieren, um es zu einem Ferien- und Eventresort zu machen, bewahren sie es für die nächste Generation.

Eine Allegorie spielt eine große Rolle, wenn Aymeric und Sonia de Truchis ins Château de Varennes in der Bourgogne laden: Zwei Löwen umklammern eine goldene Pinie, ein dritter streckt, auf dem Helm einer Rüstung thronend, ein Schwert in die Höhe. Das Wappen der Comtes de Truchis de Varennes ist überall im Stammsitz zu finden: am Eingang des 1730 erbauten Schlosses, auf Kaminen, Familienporträts, Tafelsilber und Porzellan. Es symbolisiert 400 Jahre Familiengeschichte: die italienische Herkunft und die Stellung im feudalistischen Frankreich seit 1601. De Truchis dienten in der Armée de Condé oder als Musketier, machten Politik oder waren Anwälte.

Europa ist inzwischen befriedet. Aber das Motto auf rosa Banner gilt noch heute: „Virtute et Viribus“. „Denn ‚Mut und Kraft‘ brauchte ich, als ich vor fünf Jahren das Château erbte“, sagt Aymeric Graf de Truchis de Varennes in 14. Generation. Der Comte war damals in London und Paris für Marketing und digitale Entwicklung für internationale Unternehmen im Kommunikationsbereich verantwortlich. Er führte ein aussichtsreiches Managerleben. „Dann hatte ich die Last des Familienerbes zu tragen.“

„Meine Familie hat immer auf hohe Bauqualität geachtet. Darum ist vieles so gut erhalten.“ Aymeric de Truchis

Aymeric de Truchis führt uns persönlich durch das Schloss, der Kopf schwirrt von all den Zimmern und Sälen. Er setzt sich an den Tisch im „großen Speisesaal“, den sein Urgroßvater Stanislas 1880 noch modernisiert hat: gediegene Eleganz, Eichenholz für Parkett und Wandtäfelungen. Aus dem „kleinen Esszimmer“ nebenan, mit Platz für zehn Personen, sind englische Wortbrocken zu hören. Sonia de Truchis, Aymerics Frau, telefoniert mit Australien. Der zweijährige Sohn Maxence spielt mit der Kinderfrau Christelle im Garten.

Das Château hat die Französische Revolution ebenso überdauert wie zwei Weltkriege. Ein Verkauf? Ausgeschlossen! „Mein Auftrag war klar“, erklärt Aymeric de Truchis, „es bewahren und ins dritte Jahrtausend führen.“ Als Kind, erinnert er sich fast träumerisch, besuchte er in den Schulferien jedes Jahr seine Großeltern. Dann spielte er auf dem Gutshof des Schlosses: in der alten Schmiede, der Tischlerei, im turmhohen Taubenschlag oder auf dem Heuboden. Er trank die Milch von gesunden Kühen und zum Frühstück gab es frische Eier von frei laufenden Hühnern. „Es war eine unbeschwerte Zeit!“ Aber 1988, als er 15 war, gab sein Großvater den Hof auf. „Unter 300 Hektar lohnte sich Landwirtschaft einfach nicht mehr.“ Die Familie lebte und arbeitete seitdem in Paris. Das Schloss wurde nur noch als Wochenend- und Ferienhaus genutzt.

Die Kindheitserinnerungen waren für Aymeric de Truchis, als er 2008 sein Erbe antrat, nur noch pure Romantik. Er musste ganz pragmatisch Zahlen erfassen: drei Hektar Park, 100 Hektar Wald und Ackerland, 1.500 Quadratmeter Wohnfläche auf drei Etagen, 17 Schlafzimmer, 72 Fenster, zwei Salons, zwei Esszimmer, eine Bibliothek, alles mit dem Mobiliar aus drei Jahrhunderten. Eine Kapelle mit Platz für 80 Personen. Über 3.000 Quadratmeter Nutzgebäude: eine Orangerie, Gesindehäuser und Stallungen. „Alles war erhalten. Mein Vater hatte zuletzt die Dächer erneuert und einen Pool gebaut. Ein Lifting aber war notwendig und Heizung und Elektrizität verschlangen Unsummen!“

„Der Garten wurde um den Pool herum neu angelegt, um Geo­metrien à la française zu schaffen.“ Sonia de Truchis

Was also damit anfangen? Die Idee für eine kommerzielle Nutzung hatten US-amerikanische Freunde von Sonia du Truchis, die Wirtschaftswissenschaften an der Ecole Supérieure de Commerce de Paris studiert und zuletzt Events für einen französischen TV-Sender verantwortet hatte. Es sollte für Ferien, Hochzeiten, Geburtstagsfeste, Workshops und Events vermietet werden. Größe und Lage sind perfekt: wie eine kleine Insel, irgendwie unwirklich, inmitten eines kleinen Dorfes, umgeben von Wäldern und Wiesen, Raps- und Getreidefeldern. Die berühmten Weinanbaugebiete Burgunds sind schnell erreichbar.

„Als die Pläne standen, verkauften wir unsere Wohnung in Paris und begannen mit dem Umbau“, erzählt der Comte. Drei Jahre wurde isoliert, modernisiert, saniert. Ein Treppenaufgang für Bedienstete, die es lange nicht mehr gab, wurde stillgelegt, um dort die neuen Hauptleitungen für Wasser, Elektrik und Heizung zu verlegen. So gab es kaum Eingriffe an den Wandtäfelungen und Trompe-l’Œil-Malereien. Die ehemaligen Chambres de bonnes im obersten Stock wurden neu geordnet und zu Suiten umgebaut, bereits existierende aufgefrischt. Und alles in einem Mix aus modernem Mobiliar und Erbstücken eingerichtet: Raum für 30 Gäste in zwölf Suiten mit 17 Schlafzimmern. In der Orangerie ist ein Ballsaal für über 200 Gäste mit einer Profiküche entstanden.

Umweltschutz war dem Schlossherren wichtig: „Wir wollten beweisen, dass ein Schloss keine Energie­vernichtungsmaschine sein muss!“ Alle Glühbirnen sind energiesparend. Eine Heizungsanlage für Holzhackgut ließ er in eine Stallung einbauen, Baumstämme aus dem eigenen Wald werden dafür gehäckselt. „So haben wir 700 Liter warmes Wasser. Jeder der 30 Gäste kann gleichzeitig duschen. Und wir können Haus und Pool ohne schlechtes Gewissen auf 22 Grad heizen.“ Seit 2011 hat das Paar bereits 60 große Events organisiert. Es teilt sich die Aufgaben: Der Graf ist für das Management zuständig, seine Frau kümmert sich um die Organisation der Veranstaltungen.

„Wenn ein Fest mal zu laut wird, bringt mein Mann den Nachbarn eine Kiste Champagner vorbei…“ Sonia de Truchis

Sonia de Truchis hat ihr Telefongespräch beendet: „Voilà, nun sind wir einen großen Schritt weitergekommen für das Fest der Australier – im Juni 2014.“ Sie klingt erleichtert. „Ja, eine Hochzeit ist eben für viele der wichtigste Moment im Leben. Zwei Jahre Planung sind ganz normal!“ Jedes Brautpaar, ob aus Europa, Australien, den USA oder Asien, wird individuell beraten. Nichts ist unmöglich. „Inzwischen könnte ich als Diplomatin oder Psychologin arbeiten“, sagt Sonia de Truchis und lacht. Die Zeit der Planung ist oft so persönlich und intensiv, dass aus Eventmanagern und Gästen Freunde werden. „Eine ‚unserer Bräute‘ ist die Patin von Maxence“, sagt Sonia de Truchis.

Immer wenn alles perfekt organisiert, das Schloss von den Gästen erobert ist und Servicepersonal übernimmt, ziehen sich Aymeric und Sonia de Truchis mit Maxence in den ausgebauten Taubenschlag zurück: Küche, Bad, Salon, zwei Schlafzimmer. C’est tout. Das erinnert den jungen Grafen an sein ganz normales Managerleben. Und sicher auch an seine unbeschwerte Kindheit.

IssueGG Magazine 04/13
City/CountryBurgund/ France
PhotographyMark Seelen