Architektur-Biennale in Venedig by Jörg Zimmermann | 20. Juni 2014 | Destinations
Für Architekten und Architekturliebhaber ist Venedig in diesem Jahr ein Must. „Fundamentals“ hat Rem Koolhaas als Titel für die von ihm kuratierte 14. Architektur-Biennale gewählt. Die Ausstellungen im „Arsenale“ und den „Giardini“ sollen eine Auseinandersetzung werden mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft.
Venedig, der gebaute Mythos einer Stadt, errichtet auf Millionen von Pfählen im seichten Wasser einer Lagune. Eine ganze Stadt als einmalige architektonische Idee, ein Prototyp. Und eine in Gebäuden manifestierte Vision einer städtischen Gesellschaft. Wo könnte sich besser über Architektur und ihre Wurzeln, über Zustand und Wirkung des Fachs diskutieren lassen als an einem Ort, der einen so unmittelbar mit Architektur konfrontiert? Vielleicht hat Architekt Rem Koolhaas auch deshalb seinen Kollegen ein Nachdenken über die Disziplin verordnet: „Ich möchte über Architektur diskutieren, nicht über Architekten“, sagt der Kurator der 14. Architektur-Biennale in Venedig. Die Debatte zum diesjährigen Ausstellungszyklus über Architektur ist eröffnet und macht die Lagunenstadt wieder zum bedeutenden Treffpunkt für Architekten und Architekturbegeisterte aus aller Welt.
Die „Fundamentals“ will Rem Koolhaas in den Blick nehmen. Jene einfachen Elemente, die Architektur im Grunde ausmachen, „die jeder Architekt benutzt, immer und überall“, so Koolhaas. In Venedig mit seinen prachtvollen Palazzi neben einfachen Häusern, mit dem kaum überschaubaren Gewirr aus Gassen, „Campi“ (Plätze) und „Campielli“ (Plätzchen), den Kanälen, Brücken und Stegen werden diese „Fundamentals“ auf besondere Weise offenbar. Der Boden, die Wand, die Decke, das Dach, die Tür, das Fenster, die Fassade – lang ist die Liste der Elemente, die Anstoß liefern sollen für eine Auseinandersetzung mit der Architektur. Mit seinem Konzept geht Koolhaas auf Distanz zu dem, was bei vorangegangenen Biennalen betrieben wurde. Paolo Baratta, Präsident der Biennale, lobt diesen Ansatz: „Unser Ziel ist es, mit Koolhaas eine außergewöhnliche, forschungsorientierte Architektur-Biennale zu schaffen.“
Im Jahr 2012 hatte Koolhaas’ Vorgänger, der Engländer David Chipperfield, noch mit großer Geste nach dem „Common Ground“ gesucht. Bekannte Kollegen hatten dazu Beiträge geliefert, die oftmals wie individuelle Werkschauen daherkamen. Eitelkeiten spielen auch in der Welt der Architektur eine Rolle. Ein Event wie die Architektur-Biennale wird da schnell zum publikumsträchtigen Marktplatz. Aus diesem gewohnten Szenario auszubrechen, statt Oberfläche wieder mehr Substanz zu gewinnen, scheint für Rem Koolhaas eine Herzensangelegenheit zu sein. Schon früh hatte der Niederländer, der 1975 zusammen mit Elia und Zoe Zenghelis sowie Madelon Vriesendorp in Rotterdam das renommierte und weltweit operierende Architekturbüro OMA gründete, sich einen Namen als Architekturtheoretiker gemacht. Seit 1998 betreibt Koolhaas seinen Thinktank AMO, dessen Forschungsprojekte weit über die üblichen Themen der Architektur hinausgehen. Aber vor der wunderbaren Kulisse Venedigs mit dem Canal Grande, der Piazza San Marco, dem Dogenpalast und der Ponte di Rialto nun trockene Architekturtheorie?
Eine Sorge, die unbegründet ist. Schon die offiziellen Ausstellungsorte, das „Arsenale“ und die „Giardini“, das ursprüngliche, weitläufige Biennale-Gelände mit den Länderpavillons, garantieren ein besonderes Ausstellungserlebnis. „,Fundamentals‘ wird aus drei verbundenen Ausstellungen bestehen, die zusammen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer Disziplin beleuchten werden“, erläutert Koolhaas die Details seines Biennale-Konzepts. Der Blick zurück in die Vergangenheit solle helfen, den Weg in die aktuelle Situation der Architektur zu rekonstruieren. Zugleich könne man von dieser Position aus auch über die Zukunft spekulieren.
Im Hauptpavillon in den „Giardini“ rückt die Ausstellung „Elements of Architecture“ die Grundelemente der Architektur in den Fokus. Für die Beiträge in den Länderpavillons hat Rem Koolhaas das Leitmotiv „Absorbing Modernity 1914–2014“ formuliert. Damit ist der Wunsch an die Kuratoren der 65 teilnehmenden Nationen verbunden, „den Prozess der Auflösung nationaler Charakteristika in der Architektur zugunsten einer fast universellen Anpassung an eine einzelne moderne Sprache“ zu untersuchen. Eine echte Herausforderung an die nationalen Ausstellungsmacher, die neben den eigenen Vorstellungen und den Erwartungen der Fachwelt nun auch den theoretischen Überbau des Kurators in ihre Präsentation einbeziehen sollen.
Der deutsche Pavillon wird in diesem Jahr von den Züricher Architekten Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis bespielt. Der Titel der Inszenierung „Bungalow Germania“ gibt einen Hinweis auf die Inhalte, Details der Inszenierung werden vor der Eröffnung aber fast wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Positiv in Erinnerung ist der deutsche Beitrag von 2012. Muck Petzet hatte unter dem Titel „Reduce/Reuse/Recycle“ den Umgang mit dem Gebäudebestand untersucht. Auch die benachbarten Pavillons von Großbritannien und Frankreich lassen vielversprechende Konstellationen erwarten. Joan-Louis Cohen, Professor für Architekturgeschichte in Paris und New York, stellt für die „Grande Nation“ die Frage nach Versprechen oder Bedrohung durch die Moderne und ruft dafür Protagonisten wie Jean Prouvé und Jacques Tati als Zeugen auf. Bei den Briten wird unter dem Titel „A Clockwork Jerusalem“ geforscht. Als Kuratoren sind FAT Architecture gemeinsam mit Crimson Architectural Historians am Werk. FAT hatte schon bei der letzten Biennale mit „The Museum of Copying“ einen anschaulichen Beitrag geliefert. Spannend könnte auch die Präsentation im Schweizer Pavillon werden. Die Eidgenossen haben den nimmermüden Ausstellungsmacher Hans-Ulrich Obrist verpflichtet. Der gebürtige Thurgauer, aktuell Co-Direktor der Serpentine Gallery in London, bemüht für sein Konzept Lucius Burckhardt und Cedric Price und verspricht „A stroll through a fun palace“.
Gastgeberland Italien erfährt im „Arsenale“ eine besondere Würdigung durch Rem Koolhaas. „Monditalia“ hat er den dritten Teil seines Konzepts genannt. Ausstellungen, Events und Theaterproduktionen sollen dort nicht nur Architektur, sondern auch Politik, Wirtschaft, Religion und Technologie thematisieren. Während in den „Giardini“ in die Tiefe gedacht wird, steht auf dem „Arsenale“-Gelände die inhaltliche Breite im Vordergrund. Koolhaas: „Die anderen Festivals der Biennale – Film, Tanz, Theater und Musik – werden hier einen Beitrag leisten zu einem umfassenden Porträt des Gastgebers.“ Ein Glück, dass bei dieser Angebotsfülle die 14. Architektur-Biennale schon im Juni statt wie gewohnt im August eröffnet. JZ