Zaha Hadid by Andreas Tölke | 5. Juli 2014 | Personalities
Sie ist die einzige Frau auf dem männlichen Olymp der weltberühmten Architekten. Längst gilt Zaha Hadid mit ihren fantastischen, extravaganten und oft als unbaubar geltenden Entwürfen als Mutigste von allen und prägt mit ihren Bauten Städte von Europa bis in die Arabischen Emirate. Andreas Tölke traf eine ungewöhnlich starke Frau in einer von Testosteron regierten Welt.
Sie kann Diva. Und hat jedes Recht dazu. Zaha Hadid, die berühmteste Architektin der Welt, bellt zur Begrüßung: „You again!“ Das fängt ja gut an. Acht Jahre ist das erste Treffen her, es folgten zig weitere, intensive, und doch ist jedes Mal wieder Premiere: „Ich bin nicht gerade verrückt nach Interviews“, sagt Zaha Hadid. Sie meint es ernst: Das „New York Times Magazine“ wählte Zaha Hadid 2010 unter die 100 wichtigsten Persönlichkeiten weltweit. Die Interviewanfrage des Magazins wurde trotzdem nicht erfüllt…
Wir treffen uns in Baku, November 2013. Zur Eröffnung des Heydar Aliyev Centers, einem Meisterwerk des Büros Hadid. Die Themen des Gesprächs sind geprägt von einer Offensichtlichkeit des Events: Zaha Hadid ist, mal wieder, allein unter Männern. Architektur ist eine männlich dominierte Disziplin, vom Bauherrn bis zum ausführenden Handwerker. Darum die Frage: Gewöhnt man sich in dieser Welt Härte an? „Ich musste in meinem Beruf immer besser sein als meine Mitbewerber“, sagt sie. „Aber ich selbst habe mich nie als hart angesehen. Präzise, das trifft es.“ Und erklärt: „Gremiumsmitgliedern im Kulturbereich ist es egal, ob ich Frau oder Mann bin. Aber auch das war vor ein paar Dekaden noch anders.“
„Alles entsteht aus dem Kontext. Es muss sich nicht unbedingt auf ihn beziehen, aber es ist ein Produkt der unmittelbaren Situation.“ Zaha Hadid über das Heydar Aliyev Center in Baku
Vor zwanzig Jahren umwehte Zaha Hadid der Mythos „unbaubar“ und gerade für viele Unternehmen waren ihre visionären Entwürfe unverständlich: organische Formen, poetische Architektur, jenseits von den Kästen und Blöcken, die gebaut wurden. Sie galt als zu „kühn“. 1993 der Durchbruch: in Weil am Rhein, dem südlichsten Zipfel Deutschlands, die Feuerwache für Vitra, die Edel-Interior-Firma. „Ich habe den Deutschen viel zu verdanken“, sagt die Architektin aus Leidenschaft, die schon mit zwölf Jahren in Bagdad ihre Kinderzimmermöbel selbst entworfen hat. Nach der Schulzeit bei katholischen Nonnen, in einem Schweizer und einem britischen Internat, studierte sie Mathematik in Beirut, wechselte nach zwei Semestern 1972 an die renommierte Architectural Association School in London. Rem Koolhaas, intellektueller Überflieger-Architekt, war einer ihrer Dozenten. Er engagierte sie nach ihrem Abschluss für sein Büro in London. „Ich habe drei Jahre mit ihm gearbeitet. Er hat mich sehr beeindruckt“, kommentiert Zaha Hadid trocken. Heute sind die beiden ebenbürtige Kollegen. 1980 dann das eigene Büro von Zaha Hadid und viele, viele ungebaute Entwürfe – bis die Deutschen kamen. Nach Weil am Rhein folgten das BMW-Werk in Leipzig (2004) und das Wissenschaftsmuseum Phaeno in Wolfsburg (2005). „Ich habe bis dato über 950 Projekte in 44 Ländern realisiert“, fasst sie zusammen.
Gibt es nach über dreißig Jahren noch ungebaute Visionen? „Ich würde gern ein Hochhaus realisieren“, sagt die Architektin. Der knapp 150 Meter hohe Turm in Marseille, der 2010 fertiggestellt wurde, gilt in ihrer Wahrnehmung wohl nur als „Amuse-Gueule“? Sie lacht. „Ich habe Entwürfe für höhere Gebäude gemacht, habe damit Preise und Wettbewerbe gewonnen, aber realisiert wurde zu wenig.“
Future Energy, der Komplex zur Expo in Kasachstan, ist ein Symbol für nachhaltige Architektur.“ Zaha Hadid
An der Stelle kommt ihr kongenialer Partner Patrik Schumacher ins Spiel. Der Schwabe ist seit 1988 mit im hadidschen Büro und ebenso lange als Senior Designer ihre rechte Hand. Er beschreibt, was Hadid und ihre Mitarbeiter antreibt: „Unser vorrangiges Interesse ist, zu gestalten.“ Die grenzenlose Hadid macht vor nichts halt: vom Motorboot namens „Z-Boat“ bis zum Esstisch „Liquid Glacial Table“. Für Swarovski hat die Irakerin mit Wohnsitz in London fünf Schmuckstücke entworfen. Der Schmuck ist ausverkauft, Boot und Tisch sind als Einzelstücke auf dem Markt. Ihre Möbel, die es bei Established & Sons in limitierter Auflage gibt, fangen bei rund 10.000 Euro an. Und gerade stellte die deutsche Reederei Blohm + Voss die neue Superyacht „Unique Circle“ vor. Allen kreativen Ausbrüchen des Studios Hadid ist mittlerweile eines gemeinsam: Sie werden mit Preisen überhäuft. Zwölf namhafte Institutionen zeichneten das Büro allein letztes Jahr aus. Von der BBC bis zu Veuve Clicquot.
Doch welche Ehrung hat sie überrascht? „Der Pritzker-Preis 2004 war ultimativ. Ich bin die erste Frau, der er verliehen wurde. Entscheidend dabei ist, dass meine Arbeit gewürdigt wurde.“ Ein anderes Highlight: „Von der Queen bin ich in den Stand der Dame erhoben worden. Für mich ist es mehr als ein Titel. Es ist ein Zeichen, dass die beiden Kulturen, die westliche und die arabische, miteinander funktionieren können“, sagt sie.
Zaha Hadid hat ihre Herkunft nie vergessen: „Meine Wurzeln sind arabisch. Mein Vater war als Geschäftsmann extrem erfolgreich und hat sich nichtsdestotrotz für sozialdemokratische Ideen engagiert. Er war 1946 Mitbegründer der Iraq Democratic Party und bis 1960 mehrmals Finanzminister.“ Es drängt sich die Frage nach ihrer Haltung zum Nahen Osten auf. „Es gibt eine Renaissance der arabischen Welt. Es wird Identität geschaffen. Die Veränderung der Hierarchien ist mehr als nötig“, lautet ihr Fazit. Aber gerade unter dem Aspekt, dass Zaha Hadid das WM-Stadion in Katar baut, drängt sich die Frage auf: Hat sie keine Angst, dass ihre Arbeit als Propaganda missbraucht wird? „Natürlich kann Architektur für das Image eines Staates missbraucht werden. Das passiert seit dem antiken Griechenland, seit dem römischen Imperium. Architektur ist ein Politikum. Aber der Rückschluss, dass Architekten Politiker sind, ist falsch. Es gehört Fingerspitzengefühl dazu, zu entscheiden, welche Projekte wir wo und in welchem Kontext realisieren“, erklärt sie.
Zaha Hadid hat Spaß an Luxus und Lifestyle. Sie liebt die Kreationen der Deutschen Designerin Elke Walter: „Das liegt auch daran, dass ihre Entwürfe als Architektur lesbar sind“, sagt Hadid und stellt ihren modischen Geheimtipp in der hauseigenen Galerie, die seit Neuestem zum Office gehört, einfach aus. Auffällige Mode und das passende Schuhwerk: Sie liebt Manolo Blahnik. Nach mehreren Operationen am Knöchel musste sie das Thema High Heels für Jahre ad acta legen. So weit zur privaten Zaha Hadid. „Ich halte nichts davon, mit meinem Leben hausieren zu gehen“, sagt sie streng.
In Baku ist Zaha Hadid bestens gelaunt und gibt Anekdoten aus der Comedy-Serie „Little Britain“ zum Besten. Hinter dem Image der Königin der Architektur steckt eine lebenslustige Frau. Das zeigt Zaha Hadid selten – und schaltet schnell um auf Profi: „So, das reicht für heute“, wird das Gespräch beendet. Abends beim Dinner mit den Honoratioren der Stadt grüßt sie: „You again.“ Dann lacht sie. AT