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Côte d’Azur – Bühne des Lichts by Tatjana Seel | 22. September 2014 | Travel

Vor über zweihundert Jahren entdeckten britische Winterfrischler, Hivernantes genannt, die French Riviera zwischen Nizza und Cannes. Später kamen die Aristokraten und mit ihnen erste Maler: Auguste Renoir, Marc Chagall, Fernand Léger, Henri Matisse – alle prägenden Künstler des 20. Jahrhunderts zog es an diese Küste. Was sie vereinte, war die Faszination vom gleißenden Licht.

Matisse wurde in Nizza auf die Probe gestellt. Vier schier endlos lange Wochen hatte er nun schon im Hotel Beau Ri­vage ausgeharrt, den Himmel bleischwer erlebt, die Fensterscheiben seines zum Meer gewandten Zimmers am Quai des États-Unis voll bizarrer Muster aus Regentropfen und staubigem Saharasand. Am nächsten Tag wollte er nach Paris zurückkehren. Doch da war, über Nacht, alles Grau verschwunden. Der Himmel strahlte, seine Leuchtkraft legte sich, einem azurblauen Mantel gleich, über die Baie des Anges (Bucht der Engel). Henri Matisse blieb in diesem Winter 1917/1918: „Als ich begriff, dass ich dieses Licht jeden Morgen wieder sehen würde, konnte ich mein Glück kaum fassen“, formulierte er später seine Gefühle. Er war weder der erste, noch der letzte Künstler, den diese mediterrane Lichtsymphonie verzauberte. Auch André Derain schwärmte: „Da ist vor allem dieses Licht – ein blondes, goldgefärbtes Licht, das jeden Schatten ausradiert. Für mich hat eine verwirrende Arbeit begonnen, denn alles, was ich bisher gemalt habe, scheint mir beschränkt.“

Côte d’Azur – der Name klingt wie Lautmalerei und ist Programm. Er soll auf ein Werk des Dichters Stéphen Liégeard zurückgehen, der 1887 ein Buch mit diesem Titel veröffentlichte. Geografisch erstreckt sich der bizarre Küstenabschnitt Südfrankreichs von Cassis bis Menton an der italienischen Grenze, manch einer nennt auch Toulon, Hyères oder Saint-Tropez als westliche Grenze. Dreihundert Sonnentage pro Jahr (insofern muss Matisse einfach Pech gehabt haben), hundertfünfzig Strände, siebzehn Casinos, siebenhundert Hotels – und über sechzig Bauwerke und Museen, die eine Reise dorthin zum Kunstgenuss erheben.

Es waren die Engländer, die Mitte des 19. Jahrhunderts das milde Klima für sich entdeckten. Die meisten kamen, blass und hüstelnd, um sich von der Tuberkulose zu erholen. Es folgten der Adel, die Hasardeure, die Weltenbummler. Auch Henri Matisse verschlug es zunächst wegen seiner Bronchitis in den Süden. Renoir kam bereits 1903 (ihn plagte die Arthritis) und ließ sich später zwischen Nizza und Antibes in Cagnes-sur-Mer nieder. Er blieb wie Matisse bis zu seinem Tod – heute erinnert das Musée Renoir im Anwesen Domaine des Collettes, seinem einstigen Wohnsitz, an diese sechzehn Jahre. Der Besuch dort vermittelt nicht nur einen authentischen Eindruck des Lebens und der Werke des Künstlers (noch heute steht sein Rollstuhl vor der hölzernen Staffelei). Es ist vor allem auch sein Garten mit den Jahrhunderte alten Olivenbäumen, der Kunstinteressierte aus aller Welt verzaubert.

Renoir, Matisse, Cézanne, Chagall, Dufy, Picasso. Sie folgten dem Ruf dieser sonnenverwöhnten Küste, fast alle blieben ihr ein Leben lang verbunden. Sie kamen aus Sehnsucht nach der Wärme – und verfielen der Strahlkraft des besonderen Lichts. Gleichzeitig stellte es sie vor nie geahnte Probleme. Monet beklagte sich, es sei gleißend und unnachgiebig: „Wer an der Côte d’Azur malen will, muss statt mit dem Pinsel mit Gold und Edelsteinen malen.“ So wurde das Licht der blauen Küste zum Katalysator einer ganz neuen Kunstrichtung, die bei den Kritikern anfangs nur wenig Begeisterung weckte. Georges Braque, Henri Matisse, Raoul Dufy und André Derain wurden von den Kritikern als „fauves“ (wilde Tiere) bezeichnet, nicht ahnend, dass daraus der Kunstbegriff „Fauvismus“ entstehen sollte. Es war die erste und zugleich kürzeste Avantgardebewegung des zwanzigsten Jahrhunderts. Deren Vertreter lehnten zunehmend die Licht-Schatten-Malerei des Impressionismus ab, um die reinen Farben als Ausdrucksmittel hervorzuheben. Kunst hatte nicht mehr das Sichtbare wiederzugeben, sondern die Empfindungen des Malers zu spiegeln.

Picasso kam 1948 nicht zum ersten Mal nach Antibes, malerisch gelegen zwischen Cannes und Nizza. Im blauen Licht des Midi arbeitete er wie besessen, auch er fasziniert von der Leuchtkraft der Farben, angetan von dem angenehmen Klima – es heißt, er empfand den Regen in Paris als persönliche Beleidigung. In der Not der Nachkriegszeit malt er mit bunten Bootslacken auf den riesigen Wänden im Château Grimaldi, das man dem exzentrischen spanischen Künstler zur Verfügung stellte. Heute befindet sich in der alten Burg mit den Quadertürmen das Picasso-Museum. Der Meister schenkte alle Werke, die während seines Aufenthalts dort entstanden, der Gemeinde Antibes. Mehr als 260 Arbeiten, unter anderem „Die Freuden des Lebens“, „Odysseus und die Sirenen“ oder „Frau in einem Lehnstuhl“ finden sich hier neben Werken von Francis Picabia, Hans Hartung oder Balthus.

Man kann den Spuren der Künstler überall folgen: in zahlreichen Museen, ehemaligen Villen, Parks und Gärten, wo sich ihre Skulpturen finden. Wie Perlen an einer Kette sind sie aufgereiht: von Menton nahe der italienischen Grenze bis Cagnes-sur-Mer und Biot, wo Fernand Léger, einer der bedeutendsten Vertreter des Kubismus, mit über dreihundert Werken im gleichnamigen Museum zu finden ist.

Auf keinen Fall sollte man sich den Besuch der Chapelle du Rosaire in Vence entgehen lassen. Henri Matisse hat die Hauskapelle des Dominikanerklosters Ende der Vierzigerjahre farbenfroh ausgestaltet und später sogar als sein persönliches Meisterwerk bezeichnet. Die raumhohen Fenster leuchten, wie könnte es anders sein, in Zitronengelb wie das Licht, in Dunkelgrün wie die Vegetation und in Ultramarinblau wie der mediterrane Himmel. Als Dank an die Krankenschwester Marie, die ihn nach einer Krebserkrankung pflegte, hatte Matisse der Gestaltung zugestimmt. Der Schriftsteller Louis Aragon behauptete später, die Kapelle sei so fröhlich, dass man einen Ballsaal daraus machen könnte.

Weniger freundliche Worte fand Malerkollege Pablo Picasso. Er erklärte Matisse für verrückt, weil dieser zahlreiche religiöse Motive gewählt hatte. Picasso selbst, der etwa zur gleichen Zeit das Gewölbe der Kapelle in Vallauris ausführte, wählte für die Wandmalerei das Thema „Krieg und Frieden“.

Jean Cocteau, der den Hochzeitssaal des Rathauses von Menton ausschmückte, tat es den beiden anderen gleich und malte in der Chapelle Saint-Pierre in Villefranche-sur-Mer, wo er lange im Hotel Welcome logierte, die Wände mit seinen eigenen Interpretationen des Apostellebens aus. Das Universalgenie verlieh den Figuren Augen, die in ihrer Form Fischen ähnelten. Den genialen Künstler umwehte stets ein Hauch Exaltiertheit. So erzählt man sich in der ortsansässigen Bar gern, wie der Meister sich vorzustellen pflegte: „Gestatten: Jean, Jean Cocteau. Mein Name ist der Plural von Cocktail.“ An keinem Ort der Welt hätten diese Worte besser gepasst. TS

IssueGG Magazine 04/14
City/CountryCôte d'Azur/ France
PhotographyMixed