Wo das Leder-Handwerk lebt by Tina Schneider-Rading | 6. Juni 2015 | Offices
Die italienische Firma Bottega Veneta bringt unter Kreativchef Tomas Maier höchste Qualität, traditionelle Fertigung und zeitgenössisches Design auf einen kostbaren Nenner. Für das Leder-Atelier, wo unter anderem die berühmten Intrecciato-Taschen entstehen, ließ Maier in Vicenza einen Landsitz aus dem 18. Jahrhundert feudal restaurieren.
Diese Stille durchdringt alles. Gerade noch verlor sich der Blick in den weiten Flächen um Vicenza, blieb hängen an Weizen- und Maisfeldern. In der Ferne ein paar hingewürfelte Höfe. Und ganz hinten, am Horizont, die Autobahn nach Venedig. Typische norditalienische Industrielandschaft eben. Dann fällt die Tür der historischen Villa lautlos ins Schloss. Und man steht: in Tomas Maiers Minimalistenparadies.
Maier, seit 2001 Kreativchef von Bottega Veneta, führte die damals angeschlagene Marke aus der Krise zu Rekordzahlen. Der Umsatz entwickelte sich in den letzten Jahren zweistellig, 2014 kletterte er auf 1,13 Milliarden Euro. Seine Idee zu diesem Atelier, einer ehemaligen Privatvilla, hat Maier dagegen ganz langsam wachsen lassen. Sieben Jahre ließ er sich Zeit für Planung und Umbau. Was der gebürtige Pforzheimer und Architektensohn anpackt, gestaltet er mit Perfektion, früher etwa als Modeschöpfer bei Sonia Rykiel und Hermès. Als Kreativchef hat er heute ein ganzes Universum zu bestücken: von den Bottega-Veneta-Modelinien für Damen und Herren bis zum ledernen Schlüsselanhänger, von der Home-Collection mit Möbeln, Porzellan und Accessoires bis zu Flagship-Stores von Mailand bis Shanghai. Das vicentinische Landgut zwischen Verona und Venedig ist sein flächenmäßig größtes Projekt, 55.000 m² Parklandschaft inklusive.
Die „Villa Montebello“ ist, poetisch gesprochen, das Herz von Bottega Veneta. Im lichtdurchfluteten Werkraum wird von den besten italienischen Leder-Handwerkern zum Prototyp gefertigt, was Maier an seinem Zeichentisch im New Yorker Studio skizziert. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bessere Resultate erzielen, wenn wir es unseren Mitarbeitern angenehm machen“, sagte der Kreativchef kürzlich in einem Interview. Er feilte behutsam am Grundriss, plante die Außenanlage mit altem Baumbestand und legte Fahrradparkplätze für die rund 300 Angestellten an, entwarf im Inneren sogar Leuchten und Tische und bestimmte zuletzt auch noch die Mischung des Terrazzobodens.
„Ich verlange von meinen Mitarbeitern grundsätzlich das Unmögliche.“ Tomas Maier
Entstanden ist ein nachhaltig renoviertes Gesamtkunstwerk mit Photovoltaik-Anlage, regionalen Baumaterialien und Regenwasser-Recycling-System. Als erstes Modeunternehmen weltweit erhielt Bottega Veneta dafür die LEED-Platin-Zertifizierung, eine Auszeichnung vom US Green Building Council. Es trägt mit seiner zeitlosen, puristischen Atmosphäre natürlich den Stempel Tomas Maiers. Und nicht zuletzt zeigt der Modemacher scheinbar mühelos, wie edel eine „Bottega Veneta“, übersetzt eine „venezianische Werkstatt“, in heutiger Zeit aussehen kann.
Ins Atelier dringt jetzt die Vormittagssonne. Sofort gleiten die weißen Jalousien lautlos herunter, der lang gezogene, hohe Raum in einem verglasten ehemaligen Säulengang erinnert an die offene Atmosphäre einer Werbeagentur. Es ist still, das Leder duftet, an den großen, weißen Tischen arbeiten die Angestellten konzentriert, einzeln oder zu zweit. Seit 2006 betreibt Bottega Veneta auch eine Schule für Lederarbeiten. Die Leidenschaft fürs Handwerk, die überlieferten Techniken werden so an den Ausbildungsnachwuchs weitergegeben, allein im letzten Jahr nahmen hier 640 Studenten alles über hochklassige Lederverarbeitung auf. Tomas Maier ist mit der „Scuola dei Maestri Pellettieri“ auch einem Geheimnis dieses Kunsthandwerks auf der Spur: Viele Verarbeitungskniffe, Details und Abläufe werden immer noch traditionell mündlich vom Meister an seine Schüler weitergegeben.
Das Nappa- und Kalbsleder wird geschnitten, verwoben, vernäht und während des gesamten Werksprozesses voller Respekt behandelt. Ein Meister steht vor einem Stapel grau gegerbter Häute und kontrolliert die Qualität. Nicht mit Stift und Klemmbrett – er wählt mit allen Sinnen aus: Sein konzentrierter Blick tastet jedes Stück ab, danach gleiten seine Fingerspitzen behutsam darüber, zum Schluss zieht er an den Rändern und prüft vorsichtig die Spannkraft. „Wir brauchen Spezialisten, die ein Auge für feinste Nuancen besitzen“, betont Tomas Maier. Die Auswahl des Leders, die Handarbeit, macht jede Tasche von Bottega Veneta zu einem Unikat. Hier im Atelier entstehen neben Prototypen auch Maßanfertigungen und Muster. Die Handtaschen-Kollektionen werden dann im Veneto, in der Toskana, den Abruzzen und in Neapel in Serie produziert.
Auf einem Tisch lehnt das Modell einer halbfertigen Tasche. Dutzende Metallclips halten die Lederstreifen auf Position. An der „Cabat“, dem bekanntesten Stück des Labels und seinem Markenzeichen, arbeiten zwei erfahrene Täschner zwei Tage lang. Mit der traditionellen Intrecciato-Technik verflechten sie zwei Lagen butterweiches Nappaleder ineinander. Mit der Wiederentdeckung dieses Modells begann Maier einst seine Karriere bei Bottega Veneta. „Ich verlange von meinen Mitarbeitern grundsätzlich das Unmögliche“, wird er zitiert. Damit treibt er sie zu Höchstleistungen an. Der Effekt: Die „Cabat“ braucht kein Innenfutter, weil nichts versteckt werden muss. Unverhülltes, perfektes Handwerk – und für knapp 3.000 Euro ein Meisterstück, das auf lange Lebenszeit ausgelegt ist.
Zur Mittagszeit trifft man sich in der Cafeteria. Verglaste Wände fluten den Raum mit Tageslicht, breite Türen führen auf die Dachterrasse. Auch hier legte Maier Wert auf beste Verarbeitung. Man läuft auf Holzboden, ruht unter weißen Schirmen aus, genießt den weiten Blick. Maier selbst verbringt in seiner Heimat USA möglichst viel Zeit draußen, er liebt die Natur, auch das einfache Leben. Vielleicht wollte er den Angestellten deshalb dasselbe Gefühl nahebringen und ihnen zwischen den Arbeitsgängen Erholung an der Luft schenken, auf der Terrasse oder im Park.
In der „Villa Montebello“ ist neben dem Atelier, den Archiven und einem exzellenten Lederlager auch ein kleines Museum untergebracht. Auf einem langen Laufsteg drängen sich die „Cabats“ in vielen Farben, Größen und Ausführungen. Und die Stille setzt sich im Detail fort: Ein Blick auf die Tasche reicht. Hier sucht man vergeblich nach einem Label, einem großen Logo, das man zur Schau tragen könnte. Nach Tomas Maiers Geschmack reicht die eigene Persönlichkeit vollkommen aus. Und Bottega Veneta entspricht damit seinem Slogan: „When your own initials are enough.“ ts