Die Schmiede der fliegenden Paläste by Till Bartels | 28. August 2015 | Offices
Ein Kamin über den Wolken? Ein Kinosaal oder eine Box für mitfliegende Rennpferde? Kein Problem. Lufthansa Technik gilt als Spezialist, wenn es darum geht, große Passagierflugzeuge zu individuellen Luxusfliegern umzubauen. Doch die Details der Innenausstattung eines Privatjumbos gehören zu den bestgehüteten Geheimnissen der Luftfahrt …
Was für ein futuristisches Pförtnerhäuschen, hinter dem sich Hamburgs Hightech-Welt verbirgt. Ein gläserner Flachbau mit einem geschwungenen Metalldach, das silbern in der Sonne glänzt. Davor eine Freifläche, die nicht mit Rasen bepflanzt, sondern mit himmelblauem Glasbruch aufgeschüttet ist. Dieses architektonisch auffallende Werkstor, das an das Höhenleitwerk eines Flugzeugs erinnert, nennen die Mitarbeiter kurz „Rochen“. Die Eingangskontrolle zur Lufthansa Technik ist hier obligatorisch, denn ohne Hausausweis oder Anmeldung darf niemand das Gelände betreten.
Parallel zur Hauptpiste des Hamburger Flughafens stehen die Hangars und Bürogebäude, der Hochsicherheitsbereich eines Airports, mit direktem Zugang zum Vorfeld. In den hohen Hallen bleibt so manches streng geheim. „Bitte nicht fotografieren“, heißt es beim Rundgang. Kein Wunder, denn hier werden nicht nur Routinechecks an Verkehrsflugzeugen durchgeführt, sondern auch Spezialaufträge. Besonders Staatsoberhäupter und reiche Araber lassen in Hamburg Passagierflugzeuge zu individuellen Luxusfliegern umbauen. Doch die Details der Innenausstattung eines Privatjumbos sind top secret. Die Umrüstung von großen Linienmaschinen zu fliegenden Palästen ist nur eines von vielen Geschäftsfeldern der Lufthansa Technik AG. Die seit 1994 selbstständige und hundertprozentige Tochtergesellschaft der Lufthansa ist „an die Spitze der weltweiten MRO-Industrie aufgestiegen“, sagt Johannes Bußmann, seit April 2015 der neue Vorstandsvorsitzende. Mit der Abkürzung spielt der 46-jährige promovierte Luft- und Raumfahrtingenieur auf die englischen Fachbegriffe Maintenance, Repair & Overhaul (MRO) an, die für Wartung, Reparatur und Überholung von Flugzeugen stehen.
Nicht nur Lufthansa gehört zu den Auftraggebern des Technikbetriebs, sondern fast 800 weitere Airlines und Flugzeugbetreiber stehen auf der Kundenliste des Weltmarktführers. Längst hat sich Lufthansa Technik ein globales Netz von 53 Firmen geschaffen, mit Standorten in Irland, auf Malta und den Philippinen sowie in Shenzhen in China und den Vereinigten Staaten. Aber das Herzstück der Unternehmensgruppe bleibt das 750.000 Quadratmeter große Werftgelände in Hamburg mit seinen 10.600 Angestellten.
Als im April 1955 der erste Linienflug der nach dem Krieg neu gegründeten Lufthansa abhob, war Hamburg bereits die technische Basis der Flugzeuge. Dafür hatte sich ein Bundestagsabgeordneter stark gemacht: Helmut Schmidt. In Fuhlsbüttel wurden zunächst die Propellermaschinen vom Typ Convair 340 und die viermotorigen Lockheed Super Constellation gewartet. Schon Anfang der Sechzigerjahre kamen ein Prüfstand für Triebwerke und eine Lärmschutzhalle dazu – die weltweit erste überhaupt. Seitdem expandiert das Hochtechnologieunternehmen mit einem Umsatz von 4,3 Milliarden Euro im Jahr 2014. Dabei konnte in den vergangenen Jahren stets ein operativer Gewinn zwischen 250 und 400 Millionen Euro erwirtschaftet werden. Einer der Hauptaufträge ist bis Ende 2015 der Einbau der neuen Premium Economy Class sowie die neueste Generation von Inflight Entertainment in 95 Langstreckenmaschinen der Lufthansa. Unter Plastikfolie geschützt, warten bereits die Sitzreihen, während Mitarbeiter in einem Airbus A380, dessen mehr als 24 Meter hohes Seitenleitwerk aus dem Hallentor ragt, im vorderen Teil des Hauptdecks die alte Bestuhlung demontieren. Schon nach vier Tagen Arbeit steht die Maschine für den Liniendienst wieder zur Verfügung.
„Lufthansa Technik ist an die Spitze der weltweiten Maintenance-, Repair- & Overhaul-Industrie aufgestiegen.“ Johannes Bußmann
Einen Hangar weiter wird ein Airbus einem D-Check unterzogen, der intensivste aller Boxenstopps, der je nach Flugzeugtyp alle zehn Jahre oder nach 25.000 Betriebsstunden ansteht. Für diese Generalüberholung wird der Jet bis auf die Grundstruktur auseinandergenommen. Selbst die Bordküchen und Toiletten müssen dafür ausgebaut, die Triebwerke zerlegt und die Farbe von der Außenhaut entfernt werden. Nach mindestens vier Wochen im Drei-Schichten-Betrieb wird die Maschine frisch lackiert und sieht wie neu aus. Neben der Wartungsroutine und der Logistikkette für mehr als 100.000 Ersatzteile mit einem rund um die Uhr erreichbaren Spezialteam gehört die Ausrüstung von Sondermaschinen zu den interessantesten Herausforderungen der Ingenieure. So wurde Ende 2014 ein Airbus A340-300 der Lufthansa in ein Evakuierungsflugzeug für hochinfektiöse Patienten in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut umgerüstet.
Fast gleichzeitig verließ auch die Boeing 747SP der Nasa und des Deutschen Zen-trums für Luft- und Raumfahrt (DLR) den Hangar. Dieser Jet mit seiner im Flug zu öffnenden Teleskoptür gilt als fliegende Sternwarte. Und im Hangar 5 wurde die ehemalige Regierungsmaschine „Konrad Adenauer“ zum Zero-G-Flugzeug für Novespace umgebaut. In dem Airbus A310 können angehende Astronauten beim Parabelflug die Schwerelosigkeit erfahren. „Viele Forscher warten ungeduldig darauf, ihre Experimente durchzuführen“, sagte DLR-Projektleiterin Ulrike Friedrich bei der Übergabe im März.
Einen weltweit exzellenten Ruf genießt die Abteilung VIP & Executive Jet Solutions. Allein für die Betreuung von Regierungsmaschinen und Privatjets arbeiten 500 Spezialisten. Beim Kabinenausbau ist fast alles möglich, von der Duschkabine über vergoldete Wasserhähne bis zur klimatisierten Box für mitfliegende Rennpferde. Über Auftraggeber und Geld wird nicht gesprochen; in den VIP-Werkstätten geht es mit hanseatischer Diskretion zu. Doch Jörg Löwes, Head of Product Sales VIP Completions, nennt eine Größenordnung: „Dreistellige Dollar-Millionenbeträge für Kabinen gab es schon.“ Diese meist in neutralem Weiß gehaltenen Boeing-Flugzeuge sind beliebte Fotomotive der Hamburger Planespotter, wenn die Maschinen zum Start rollen, etwa Jumbojets des saudischen Prinzen Al-Walid Bin Talal oder der Sultane von Brunei und des Omans. Deren ausgefallene Sonderwünsche müssen genau wie bei Linienmaschinen zertifiziert werden. Whirlpools mit überschwappendem Wasser sind ebenso verboten wie offene Kamine wegen der Brandschutzbestimmungen. Doch auch dafür hat das Entwicklungszentrum in Hamburg eine Lösung gefunden, den feuerlosen Kamin. Jüngst stellten die Ingenieure einen Kamin über den Wolken vor, der flackerndes Feuer durch Wasserdampf in Kombination mit glühenden Holzscheiten durch geschickte Beleuchtung simuliert. Die Intensität der Flamme und die Lautstärke der knisternden Geräusche lassen sich per Fernbedienung regulieren. tb