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Konnichiwa Tokio! by Michaela Vieser | 10. Oktober 2015 | Travel

Im größten Zen-Steingarten der Welt leben rund 35 Millionen Menschen – Tokio. Nirgendwo sind die Gegensätze zwischen Tradition und Science-Fiction-artigen Visionen, zwischen asketischer Ästhetik und dem Manga-Look größer. Zeit, sich ins Getümmel zu stürzen und zumindest einige Teile dieser unvergleichlichen Stadt zu Fuß zu erkunden. Ein Bericht von Michaela Vieser. 

Neuerdings machen die Tokioter Urlaub in ihrer eigenen Stadt. In den Achtzigerjahren fuhr man noch nach Hawaii, Paris, London, da war der Yen stark und die Welt klein. Damals galt der Grund und Boden, auf dem der kaiserliche Palast in Tokio steht, noch als wertvoller als ganz Kalifornien. Doch die Blase ist geplatzt, und nicht zuletzt durch das große Erdbeben, das auch die Katastrophe von Fukushima auslöste, besinnt man sich in der Metropole auf seine Wurzeln, hat Spaß daran, sie zu entdecken. Und das zu Fuß, mit dem Rad oder durch einen Blick von oben.

Tokio, das ist ein Konglomerat aus vielen kleinen Bezirken, die sich zu einer großen Mega-Stadt zusammengeschlossen haben. Aus der Luft betrachtet sieht Tokio anders aus als andere Großstädte. Kleinteilig, würfelig, unaufgeräumt, zusammengesetzt aus vielen kleinen Häusern. Nur um die Zentren, an den großen U-Bahnhöfen, stehen die Wolkenkratzer. Der Rest: ein Labyrinth aus Gassen und unzähligen Wohneinheiten. Der Publizist Tsuzuki Kyoichi setzte sich Ende der Neunzigerjahre auf seinen Scooter und fotografierte über 100 Tokioter, die in kleinen billigen Apartments wohnen. Selten werden Gäste eingeladen. Zu Hause, das ist intim, das ist in etwa so, wie in die Handtasche eines Fremden zu kriechen. Aber Tsuzuki Kyoichi publizierte aus den Bildern das mittlerweile zum Kultbuch avancierte „Tokyo – A Certain Style“.
„Ah, Tokyo Style“, erzählt Tsuzuki, der in den Neunzigern schon mit Haruki Murakami durch Berlin zog und die Kreuzberger Subkultur beobachtete, „das hat Spaß gemacht. In Tokio wohnen so viele junge Menschen, in wirklich winzigen Wohnungen. Sie müssen dafür nicht viel Geld verdienen, es reicht, wenn sie zwei Tage die Woche in einem Conbini (Convenience Store, Anm. d. Red.) arbeiten. Den Rest der Zeit können sie tun, was sie wollen. Und die Stadt als Extension ihres Zimmers betrachten. Das geht nur in einer Großstadt wie Tokio.“

Dass man diese Extension des eigenen Raums nun auch kommerziell angeht, beweist eine ganze Reihe von neuen Zeitschriftenpublikationen. Unter der Rubrik „Spaziergang durch die eigene Stadt“ werden in mehreren solcher Magazine Stadtviertel innerhalb der 23 großen Tokioter Bezirke angepriesen. Es gilt darin das stille Tokio aufzuspüren, das hinter den großen Straßen und Plätzen liegt, die sogenannten „rojis“, die „backstreets“. Die Aufmachung der Zeitschriften ist immer ähnlich, ein Weg durch das Gewirr der Gassen, der Historisches mit Modernem verbindet, und eine Auswahl von Cafés und Imbissen, in denen besondere Leckereien angeboten werden. Bei über 80.000 Restaurants in Tokio ist die Auswahl groß!

„Seit dem Erdbeben haben die Menschen hier ein neues Verständnis von ihrer Umgebung. Sie haben erkannt, dass sie nicht weit weg fahren müssen, um schöne Dinge zu finden, sondern diese direkt vor ihrer Haustür liegen“, sagt die Architektin Astrid Klein vom Architekturbüro Klein Dytham. Sie wohnt seit über 20 Jahren in Tokio und hat großen Einfluss auf den Wandel der Stadt. Ihre Gebäude sind viel mehr als Hüllen, in Europa könnte sie so etwas nie bauen, solch bunte Gewächse in schrägen Farben und Formen. Und dennoch liebt auch sie das alte Tokio. Sie empfiehlt eine Tour durch das Viertel Yanaka, sie benutzt das japanische Wort kawai – süß, um seine Atmosphäre zu beschreiben. Yanaka ist so etwas wie die Downtown Tokios, die alte Stadt. Sie liegt weit entfernt von den Zentren Shibuya und Shinjuku, hat einen ganz eigenen Charakter. Selbst Einheimische verlieren sich hier, aber schließlich gibt es immer irgendwo einen Eingang zu einer U-Bahn, die einen dahin zurückbringt, wo man herkam. Yanaka ist anders als viele Bezirke, in denen während des großen Erdbebens von 1923 oder im 2. Weltkrieg die meisten Häuser zerstört wurden. Hier wandelt man vorbei an alten Tempeln aus der Edo-Zeit (17. – 19. Jh.), an europäisch ausgerichteten Häusern aus der Meiji-Zeit (Jahrhundertwende 19./20. Jh.) und an ultramodernen Townhouses.

Häuser werden in Tokio durchschnittlich alle 30 Jahre neu gebaut. Sie sind wie Haustiere, die man sich hält. Man hat eine emotionale Verbindung zu ihnen“, so der Architekt Yoshiharu Tsukamoto vom Atelier Bow-Wow, der den Begriff Pet Architecture geprägt hat. Das sind kleine verschachtelte Gebäude, die sich da reinquetschen, wo Platz ist. Die Grundstücke in Tokio sind so viel mehr wert als die Bausubstanz, dass die Häuser je nach Lust, Laune und Platz neu gebaut und gestaltet werden. In Yanaka gibt es, verborgen im Gewirr der Straßen, das YIH Haus der Architekten aat+makoto yokomizo, ein aus Sichtbeton konstruiertes Haus mit großen Fenstern, die die Sicht auf die Stadt zulassen. Vom Privathaus schauen seine Bewohner direkt auf einen alten Tempel sowie auf einen Kaki- und einen Kirschbaum. „Im alten Tokio haben die Menschen, die an dieser Stelle lebten, wahrscheinlich auf dieselbe Aussicht geblickt“, so die Architekten. Vor 30 Jahren hätte man darauf keinen Wert gelegt, auch dies ein Zeichen dafür, wie sehr die Tokioter ihre Stadt achten lernen.

Das Gegenteil zu Yanaka ist das Viertel Daikanyama. Hier gibt es kaum mehr alte Gebäude, sondern hier haben Tokioter ihre Lebensträume in Häuser umgesetzt. Da stehen amerikanische Kirchen, Blockhäuser oder russische Paläste. Alles nebeneinander, erlaubt ist, was gefällt. Seit die Architekten Klein Dytham das Daikanyama T-Site, ein Kulturkaufhaus, entworfen haben, ist der Bezirk der hippste der Stadt. In aller Welt versucht man diesen Buchladen, der auf Social Retailing baut, nachzuahmen. Stundenlang kann sich hier jeder vertiefen, selbst wer kein Japanisch spricht. Das Café im Hauptgebäude ist für viele Freelancer zum Meetingplace geworden. Ein weiteres Highlight ist der Meguro Sky Garden, ein Park, der auf einem Autobahnzubringer Platz gefunden hat. Und dann geht es entlang des Meguro Rivers, an dessen Ufer sich Cafés und Boutiquen reihen.

Wer Tokio als Zen-Garten erleben will, der muss ins Hotel „Aman“ gehen. Das 2015 eröffnete Luxushotel hat gerade sein weltweit erstes City-Resort eröffnet. Im 33. Stock des Otemachi Towers beginnt das Hotel und erstreckt sich über sechs Stockwerke, vom Erdgeschoss gibt es kaum Wegweiser oder Schilder … Wer oben ankommt, blickt hinunter auf die Stadt und ihre Häuser, als seien es kleine Steinchen in einem perfekt angelegten Garten. Das Hotel ist ein Resort für Tokioter, die Urlaub in ihrer Stadt machen wollen. Fernab vom Lärm der Großstadt und doch mittendrin. Eleganter geht Müßiggang nicht. MV

IssueGG Magazine 04/15
City/CountryTokyo/ Japan
PhotographyPress Images