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Aus Liebe zum Meer by Michaela Cordes | 18. Dezember 2015 | Personalities

Mit der Leidenschaft fürs Segeln wuchs der zweifache America’s-Cup-Gewinner und Mega-Unternehmer Ernesto Bertarelli auf. Erst entwickelte er seine Familienfirma Serono zum größten Biotech-Unternehmen Europas, dann gründete er seine Investmentfirma Waypoint Capital. Jetzt  stellt sich Bertarelli der nächsten Herausforderung: der Rettung von Chagos, dem größten Meeresschutzgebiet der Welt. Ein Gespräch über Kindheitserinnerungen und warum man für ein Umdenken Daten und Fakten braucht.

Die Karriere von Ernesto Bertarelli klingt wie die eines Superhelden. Gerade 27, kehrt er 1993 nach Abschluss seines Studiums in Harvard zurück, um bei Serono, dem Unternehmen seiner Familie, mitzuarbeiten. Drei Jahre später wird er zum Vorstandsvorsitzenden und richtet das Unternehmen konsequent auf Biotechnologie aus. Innerhalb der folgenden zehn Jahre schießt der Umsatz von Serono in die Höhe – von 809 Millionen US-Dollar in 1996 auf 2,8 Milliarden im Jahr 2006.

Das Unternehmen macht Schlagzeilen, besonders auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung, was Generationen von Frauen, die sich bereits mit dem Schicksal der Kinderlosigkeit abgefunden hatten, wieder Hoffnung schenkt. Auch Behandlungsmethoden für Multiple Sklerose und den Mangel an Wachstumshormonen sorgen für Aufsehen. 2007 verkauft Bertarelli das Unternehmen für mehrere Milliarden Dollar an das Pharmaunternehmen Merck. Ebenso viel Glück scheint Ernesto Bertarelli in seinem Privatleben zu genießen. Seit 2000 ist der ungewöhnliche Entrepreneur mit Kirsty Roper verheiratet, einer erfolgreichen Songwriterin (sie schrieb den All Saints-Hit „Black Coffee“) und ehemaligen Miss United Kingdom. Das Paar hat drei Kinder im Alter von 14, 12 und 10 Jahren. Er ist dazu leidenschaftlicher Segler, dem es als Erstem gelang, den America’s Cup nach Europa zu holen. Gemeinsam mit seinem Team Alinghi gewann der passionierte Seemann die größte Trophäe der Seglerwelt gleich zweimal, 2003 und 2007. Nun hat der Unternehmer eine neue Herausforderung gefunden: die Not der Weltmeere. Mit der Bertarelli-Stiftung nimmt er sich jetzt der Rettung von Chagos an, der größte Archipel im Indischen Ozean. Mit seinen über 60.000 Quadratkilometer großen Kalksteinriffen ist es das größte Meeresschutzgebiet der Welt.

Herr Bertarelli, was bedeutet es für Sie auf See zu sein? Mit der Liebe zum Meer wurde ich geboren. Ich wuchs am Mittelmeer auf und zog im Alter von sieben Jahren von Italien in die Schweiz. Mein Vater war selbst ein begeisterter Seemann und segelte viele Regatten. Als junger Mann, bevor er das Unternehmen seines Vaters übernahm, arbeitete er als Skipper für wohlhabendere Leute. Ich machte schon mit 12 Monaten Bekanntschaft mit der See. Meine Mutter erinnerte meinen Vater immer wieder gern an den Tag, an dem er die Landspitze der Insel Giglio umrundete und ein starker Wind unser Boot auf die Seite drückte. Einen Augenblick lang dachten sie, sie hätten mich verloren, dann fanden sie mich festgeklammert auf dem Kabinendach. Als Teenager schenkte mir mein Vater ein Boot anstelle eines Mopeds. Ein aufblasbares Dingi mit einem kleinen Außenborder. Glücklicherweise hatte der Bursche, der es uns verkaufte, einen Fehler gemacht und das Motorgehäuse vertauscht – der 7,5-PS-Motor war versehentlich ein doppelt so starker. Ich war stolz auf mein schnelles Boot und zischte außer Sicht meiner Eltern, um schwimmen zu gehen. Das bedeutete Freiheit für mich. Mein Papa war es auch, der mir das Segeln beibrachte und mich von Anfang an bei meinen Rennen unterstützte.

„Als Teenager schenkte mein Vater mir statt eines Mopeds ein Boot. Mit der Liebe zum Meer bin ich aufgewachsen.“ Ernesto Bertarelli

Hat das Segeln Ihnen Qualitäten vermittelt, die Ihnen später halfen, Serono in eine Erfolgsstory zu verwandeln? Ich glaube schon. Man lernt viel über Verantwortung, weil man immer die Zusammenhänge im Blick behalten muss: Habe ich genug Treibstoff, um es zurück an Land zu schaffen? Man kann auch nicht einfach ein Boot in der See zurücklassen. Es war clever von meinem Vater, mir dieses Boot zu geben. Um sicherzugehen, dass ich nach Harvard nicht wieder weglaufe, schenkte er mir einen Sitz im Vorstand und ein Boot auf dem See. Zu der Zeit war ich mehr an Autos und Häusern interessiert, wollte Architekt oder Automobil-Designer werden. Aber Gott sei Dank gab mein Vater die Hoffnung nicht auf. Mit der Zeit verstand ich, dass das Pharma- und Biotech-Business viel faszinierender ist. Ich wünschte nur, ich hätte mehr Zeit mit meinem Vater gehabt, aber er starb mit 68 und ich musste in aller Eile die Nachfolge antreten. Allerdings fühle ich mich sehr privilegiert, dass ich die Chance bekam, Veränderungen herbeizuführen. Das ist es auch, was mir bei unserer Stiftung Freude bereitet. Unser Ziel ist der Mut zur Veränderung.

Wie haben Sie selbst erlebt, dass unsere Meere in Not sind? Schon mit drei Jahren. Ich war am Strand von Ponza und kam mit so viel Teer auf der Haut vom Strand zurück, dass man es kaum abwischen konnte. Zu der Zeit liefen große Tanker Neapel an und spülten ihre Tanks vor der Küste aus. Wenn ich heute mit meiner Frau und unseren drei Kindern unterwegs bin, stelle ich fest, wie dramatisch schnell sich Gegenden ändern. Wahrscheinlich haben wir die am weitesten gereiste Yacht weltweit, mehrere Male die Welt umrundet. Gerade letzte Woche bin ich von den Marquesas-Inseln im Pazifik zurückgekommen, wir haben Indonesien besucht, letztes Jahr Australien. Die Australier machen einen fantastischen Job beim Schutz des Great Barrier Reef und der Kontrolle der Überfischung. Auch die Malediven haben sich sehr verändert. Ich erinnere mich daran, wie man vor ein paar Jahren fischen gehen konnte und der Fischbestand so reich war, dass man nie ohne Fang zurückkam. Vor Kurzem war ich für mehrere Wochen da und fing keinen einzigen Fisch.

Es heißt, die Tiefsee sei weniger erforscht als der Weltraum – wie weckt man das Bewusstsein für etwas, das noch so unbekannt ist? Ich gebe Ihnen einen simpleren Vergleich. In unserem Alltag gehen wir ins Restaurant und bestellen Sushi, Thunfisch oder chilenischen Seebarsch, ohne uns bewusst zu machen, dass wir ein wildes Tier essen. In der Schweiz zelebrieren wir „la chasse“, die Jagd, und tischen Wild nur ein- oder zweimal im Winter auf. Wir fühlen uns Landtieren so viel näher. Sie wecken Gefühle in uns, weil sie ein Fell haben und so lieb gucken. Kindern geben wir Teddybären zum Schmusen. Die Gelegenheit, mit Fischen zu spielen, haben wir selten. Auf dieser Ebene sind Menschen den Meerestieren nicht verbunden. Das ist ein großer Nachteil für den Ozean. Und dem gilt mein Interesse: Mitgefühl für den Ozean und seine Tiere zu entwickeln. Ich empfinde so viel Liebe für einen Thunfisch, einen Delfin oder einen Hai wie für eine Gazelle, einen Löwen oder einen Bären. Ich gehöre da zu einer Minderheit – und das muss sich ändern.

Wie wollen Sie das Bewusstsein wecken? Indem ich Fakten und ­Daten auf den Tisch bringe. Das größte Projekt, das wir derzeit fördern, ist der Chagos Archipel. Ursprünglich war es unser Freund George Duffield (Wildlife-Fotograf und Filmproduzent, Anm. d. Red.), der es uns näherbrachte. Ich glaube, der Archipel hat ein großes Potenzial für die Erforschung des Indischen Ozeans, der das verwundbarste aller Meere ist, weil zwei Milliarden Menschen an seinen Küsten leben. Wir zählen Haie, weil sie ein Indikator für den Gesundheitszustand eines marinen Ökosystems sind. Wir studieren Korallen, ihre Wanderung, wie sie auf Strömungen reagieren. Und wir untersuchen das Verhalten von Tieren und Vögeln – all das, damit meine Kinder und künftige Generationen verstehen, wie eine intakte Insel aussieht.

Was tun Sie, um Ihre Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu bringen? Ich denke, andere Menschen wie zum Beispiel Leonardo DiCap­rio sind für die öffentliche Breitenwirkung besser geeignet als ich. Ich lege Wert auf meine Privatsphäre und möchte nicht im Scheinwerferlicht stehen, solange es sich irgendwie vermeiden lässt. Wir veröffentlichen unsere Arbeiten und kooperieren mit anderen Organisationen und Universitäten. Die Wissenschaft und die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sind eine fantastische Möglichkeit, das Verständnis zu fördern. Wir setzen Technologie ein, um Tiere zu markieren, und Drohnen und Satelliten, die zu verstehen helfen, was im Ozean vor sich geht. Wir hoffen, dass andere Institutionen oder Organisa­tionen aufgreifen, was an technologischen Lösungen verfügbar ist, dass sie es politisch einsetzen, um Verhaltensänderungen voranzutreiben und zu unterstützen. Man kann nicht alles machen, aber man kann einen Teil beitragen.

Die Bertarelli-Stiftung ist eine Familienangelegenheit. Ihre Mutter, Schwester und auch Ihre Frau sind beteiligt. Haben Sie sie im An­denken an Ihren Vater gegründet? Ja, besonders für seine Forschung auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin. Uns wurde bewusst, wie viele Leben wir durch die Entwicklung von Behandlungsmethoden für Unfruchtbarkeit verändert hatten. Wir unterstützen weiterhin Forschungen im Bereich Life Sciences, und dieser Bereich interessiert uns, neben dem Meeresschutz, sehr. Die Stiftung pflegt mehrere Partnerschaften, darunter die Harvard Medical School und die EPFL in der Schweiz. Kürzlich haben wir unsere eigene Forschungszentrale für Neurowissenschaft in Genf gegründet. Dieser Campus Biotech wird das mit einer Milliarde ausgestattete EU-Projekt zur Erforschung des menschlichen Hirns beheimaten. Ich hoffe, dies wird neben Institutionen wie CERN die Schweiz an der Spitze bei Schlüsselwissenschaften halten und dafür sorgen, dass das Land weiterhin eine Heimat für Entrepreneure bleibt, die daran arbeiten, all diese Innovationen in Produkte umzuwandeln, um überall auf der Welt zu helfen, Leben zu verbessern. MC

 

IssueGG Magazine 01/15
City/CountryChagos Islands
PhotographyBertarelli Foundation
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