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Tradition der klaren Linie by Steffi Kammerer | 2. September 2016 | Personalities

Mit einem Treteimer aus Metall fing alles an. Heute reicht das Vipp-Portfolio von der Spülbürste bis zum Fertighaus. Das Haus ist eine Erfindung von CEO Kasper Egelund, dem Enkel des Firmengründers. Wie jedes Vipp-Produkt ist es schnörkellos und elegant, bis ins Detail durchdacht. Das dänische Unternehmen Vipp besticht aber nicht nur durch sein edles Design. Sondern durch die gemeinsame Vision und den Zusammenhalt einer Familie.

Die Übergabe war elegant und klar, ganz wie die Produkte des Hauses Vipp. Als ihr Sohn, der einige Jahre in New York das US-Geschäft aufgebaut hatte, nach Kopenhagen zurückkehrte, feierten sie eine Party, er hielt eine kleine Rede vor den Mitarbeitern. Jette Egelund, seine Mutter und bis dahin auch seine Chefin, schob ihm einen Zettel zu. Darauf stand: „Jetzt bist du an der Reihe.“ Gut vier Jahre ist das her, seither ist Kasper Egelund der Direktor des Unternehmens. Jette hatte keine Probleme loszulassen. Im Gegenteil, sagt sie. Es freut sie, den Erfolg der nächsten Generation zu Lebzeiten mitzubekommen.

„Ein Haus muss nicht groß sein. Nur großartig.“ Kasper Egelund

Aus New York hatte der junge Firmenchef eine Idee mitgebracht. Entstanden in einem dieser brütend heißen Sommer in Manhattan. Da sehnte er sich nach Ruhe und Natur, nach einem Häuschen im Grünen, das perfekt eingerichtet vom Himmel fallen solle. „Es muss nicht groß sein. Nur großartig“, dachte er sich. In seiner Familie träumt man nicht nur, man setzt Dinge um. Und so kommt es, dass wir uns an diesem Morgen an einem einsam gelegenen schwedischen See treffen, hier nämlich steht seit November 2014 der Vipp-Shelter, als begehbares Objekt für Interessenten. Ein 25 Tonnen schweres Fertighaus auf Stahlpfeilern, die Wände mit Filz verkleidet. Durch Skylights fällt Sonne auf den Herd, decken­hohe Fenster lassen sich per Schiebetür zum Wasser hin öffnen. Über ein Jahr hat Kasper nach dem Standort gesucht. Dann hat ein Kran das Haus an seinen Platz gebracht. „Ein bisschen ist es, als wenn man ein Auto oder ein Boot kauft“, sagt er, „alles ist fertig.“ Fünf-Sterne-Camping nennt er es auch.

„Ich halte mich im Hintergrund. Heute ist Kasper derjenige, der die Zügel in der Hand hat.“ Jette Egelund

Auch innen: alles Vipp. Das heißt: hochwertig, aufs Notwendige reduziert und teuer – selbst die Klobürste kostet im Laden 165 Euro, dagegen sind die Handtuchhaken für 89 Euro fast schon ein Schnäppchen. Produziert wird auf der ganzen Welt: Das Porzellan kommt aus China, Handtücher aus Portugal, Armaturen aus Italien, die Fenster stammen aus der Schweiz. Von überall dort, wo die jeweils besten Hersteller sitzen. Bis ein neuer Vipp-Artikel auf den Markt kommt, dauert es; er muss nicht nur ästhetisch bestehen, sondern auch im täglichen Gebrauch, sagt Kasper. Und: „Er muss ins Jahr 2016 passen. Wir wollen keine Retro-Produkte.“

„Das Design muss ins Jahr 2016 passen. Wir wollen keine Retro-Produkte.“ Kasper Egelund

Angefangen hat die Geschichte des Unternehmens Vipp mit einem Treteimer. Den hatte Holger Nielsen entworfen, der Vater von Jette. Als der 1993 starb, war der Eimer eben nur das: ein Behältnis für Abfall. Einer, der sich gut verkaufte zwar, besonders an Arztpraxen und Krankenhäuser – aber dass er heute im Museum of Modern Art in New York stehen würde? Neben Design-Klassikern von Charles und Ray Eames, Arne Jacobsen und Mies van der Rohe? Es war Jette Egelund, die das Potenzial erkannte. Die den Eimer ihres Vaters unter den Arm nahm und auf internationale Designmessen fuhr, ihn im Conran Shop in London platzierte. Und die den kleinen dänischen Betrieb bald weltbekannt machte. Jette war Mitte 40 und arbeitete als Sozialarbeiterin in Kopenhagen, als ihr Vater starb. Ihre Mutter und ihre Schwester hatten kein Interesse, die Firma weiterzuführen. Jette entschied sich, ihrem Leben eine völlig neue Richtung zu geben, setzte alles auf den Treteimer. Pendelte zwischen Kopenhagen und der Vipp-Betriebsstätte am anderen Ende von Dänemark, schlief in ihrem alten Kinderzimmer im Haus der Mutter, lernte schweißen, dachte an wenig anderes als an die Zukunft von Vipp. Ihre Ehe ging darüber zu Bruch, Geld hatte sie auch keins mehr. Um sich zu finanzieren, sang sie an den Wochenenden im Kirchenchor. „Es war die schwerste Zeit meines Lebens“, sagt sie. Ans Aufgeben aber dachte sie nie. „Nein, niemals. Ich habe es vom ersten Tag an geliebt. Mein eigener Chef zu sein, Entscheidungen zu treffen.“ Der Umsatz von Vipp damals: weniger als eine Million dänischer Kronen im Jahr. Heute sind es rund 100 Millionen. „Ja, die Summe hat sich verhundertfacht“, sagt sie mit selbstbewusster Ruhe.

„Was wir erreicht haben, wäre ohne meine Kinder niemals möglich gewesen.“ Jette Egelund

Der Erfolg sei auch ihren Kindern und deren speziellen Kenntnissen zu verdanken, sagt sie. Sofie hat Grafikdesign studiert und Kasper Wirtschaft, beide fingen gleich nach der Universität bei Vipp an. Schon vor vielen Jahren gab Jette jeweils ein Drittel der Firmenanteile an die Kinder ab. „Ich dachte einfach, sie bekommen sie eines Tages sowieso. Und außerdem haben beide so hart gearbeitet“, sagt sie. „Was wir erreicht haben, wäre ohne sie nicht möglich gewesen.“

Auch als es um die schwierige Entscheidung ging, wer das Unternehmen in der nächsten Generation führen sollte, sie also zwischen Sohn und Tochter wählen musste, fand sie eine Lösung. Kasper ist CEO, Sofie kümmert sich mittlerweile um das Amerikageschäft. Dieser Übergang war nicht ganz leicht, wie Jette selbst sagt. Aber einer, den sie als Familie hinbekommen haben. Viermal im Jahr treffen sie sich zu Boardmeetings in Kopenhagen. Seit einigen Jahren ist eine Anwältin dabei, einfach um sicherzustellen, dass sie auf professio­neller Ebene sprechen, nicht als Mutter und Kinder oder Schwester und Bruder. Sie trennen das klar: In der Firma begegnen sie sich wie Kollegen, Familie findet außerhalb statt. In den großen Ferien kommen alle fünf Enkelkinder zu Jette ins Sommerhaus an der dänischen Westküste.

Für den Shelter hat sich bisher noch kein Käufer gefunden, wohl aber sind ein paar Dutzend Interessenten aus aller Welt an den See gereist. „Dies hier“, sagt Kasper und deutet auf das Innere des Wohnzimmers, „ist nichts für einen Impuls-Kauf.“ Immerhin kostet das kleine Haus 485.000 Euro, Transportkosten kommen noch hinzu. Dafür sind dann aber auch schon die Betten bezogen, das Geschirr steht im Regal. Das Projekt sei mit nichts vergleichbar, was Vipp bisher auf den Markt gebracht habe. Als sie etwa vor vier Jahren mit Küchen anfingen, auch diese zu einem stolzen Preis, habe es nur vier Monate gedauert, da war die erste verkauft. Beim Shelter hingegen müssten Interessenten erst einmal nach geeignetem Land suchen. Nun träumt Kasper Egelund davon, einen weiteren Platz für den Shelter zu finden. Vielleicht auf einem Stadtgarten in New York.

IssueGG Magazine 04/16
City/CountryImmeln/ Sweden
PhotographyMark Seelen
Vimeo

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