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Die Entdeckung der Langsamkeit by Judka Strittmatter | 25. November 2016 | Travel

Fliegen ist zur Massenveranstaltung verkommen, auf See wird es manchem bald langweilig. Immer beliebter ist dagegen die gute alte Eisenbahn – in Form von Luxuszügen: Gemächliches Reisen auf Gleisen ist das neue Statussymbol.

Einsteigen – und alles abgeben: Koffer, Alltag, Stress. Tief in die Kissen sinken zwischen Wurzelholzwänden, Chesterfieldsofas und Samtvorhängen. Ein Glas Champagner nehmen, nichts mehr müssen. Das Hinkommen mit dem Dasein verbinden. So geht Reisen mit dem Luxuszug.

Nichts gegen eine Kreuzfahrt auf den Meeren, doch zwei Wochen lang bloß Wasser ­sehen? Und nur ahnen, was einem an Land entgeht? Die Schienenkreuzfahrt bedient da einen anderen Strang: Man ist ständig mittendrin – und schon wieder weiter. Städte und Landschaften, Bergpässe und Meerengen sind Weg und Ziel in einem. Natürlich gibt es auch den Zwischenstopp für Ausflüge, meist an Plätze, die historisch wertvoll sind: Chinesische Mauer, Taj Mahal, Victoria Falls. Oder die zum Einkaufen von Souvenirs besonders nahe liegen – Diamanten in Südafrika, Whisky in Schottland, Gewürze in Indien. Längeres Verharren fällt zwar aus, aber ist das nicht Abbild unseres Lebens? In dem alles Schöne flüchtig ist?

Andererseits erzeugt das sanfte Dauerrattern über Tausende Kilometer etwas, das man dringend sucht in unseren Zeiten: Entschleunigung, Verzückung, Kontemplation. Und die Grandezza alter Tage, als die Herrschaften noch mit Hut und Gehstock reisten, die Koffer schweins­ledern, Zofen eine dringliche Notwendigkeit. Glamouröses Reisen war damals reine Oberschicht-Domäne. Verglichen dazu ist das Luxuszugreisen heute weitgehend demokratisiert. Und so blitzt gegenwärtig eher Unisex-Funktionskleidung auf in den Abteilen, zum abendlichen Dinner auch schon mal ein Smoking. Ganz wie im Orient-Express, dem Urvater der Luxus­züge. Dessen Prominenz stieg noch, als Agatha Christie einen Roman-Mord in ihn verlegte. Sechs Filme spielen in diesem Zug, und weil der Mythos gar so schön ist, kommt 2017 das Remake des Sidney-Lumet-Klassikers von 1974 heraus.

Heute fahren übers globale Schienennetz auf allen Kontinenten Orient-Express-Ableger, die Waggons sind restauriert oder nachgebaut, die Zugnamen hübsch wie die Landschaften, die sie durchschnurren: Royal Scotsman, Pride of Africa, Andean Explorer, Northern Belle.

Selbst die Japaner, Erfinder des Hochgeschwindigkeitszugs Shinkansen, sind auf Retro-Zuckel-Tour – ihre Version heißt Seven Stars in Kyushu und durchkreuzt Vulkanberge, Bambuswälder und Fischerbuchten ihrer südlichsten Landesinsel. Schlafwagen oder überhaupt Abteile mit Komfort sind übrigens dem Amerikaner George Pullman zu verdanken. Auf einer Zugfahrt um 1860 verquetschte sich der junge Ingenieur über Nacht derart die Knochen in seinem schnöden Sitz, dass er schon bald Waggons mit Schlafkojen ersann, später dann Luxusabteile baute.

Vielerlei Annehmlichkeiten erwarten den Gast auf einer Reise à la Belle Époque: Das livrierte Personal ist aufmerksam, es selbst nächtigt eher in Verschlägen, ist aber nonstop von ausgesuchter Freundlichkeit. Richtet zum Lunch und Dinner Kristall und Silber an, wienert auch Schuhe und besorgt Ersatzbekleidung, wenn die Koffer via Anflug zum Startbahnhof verschüttgegangen sind. In Indien schlüpft der Fahrgast dann schon mal in ein „Kurta Pyjama“, Hose und Tunika, und stellt fest, dass diese baumwollene Einheimischenbekleidung sehr viel bequemer ist als Jeans und T-Shirt, stilechter allemal. Derart gewandet kann man den Tag dann in seiner Suite vertändeln und muss fürs Sightseeing nicht mal die Damast-Bettstatt verlassen – Panoramafenster machen’s möglich. Ein paar Tage gleitet man so stilvoll durch die Lande, in Luxuslinern wie diesen ist die Bahnreise eine Sinfonie. Man kann einen Luxuszug auch Nostalgiezug nennen, „rollendes Fünf-Sterne-Hotel“ stimmt immer.

Laptops und Tablets wirken in diesem Interieur zwar wie Techno­freaks auf einem Opernball, aber das ist die Verlinkung in die Neuzeit: Immer mehr jüngeres Publikum entert die Abteile, lange war die Klientel Ü50, wohlständige „Best Ager“, die ein paar tausend Dollar für das noble Cruisen übrighatten. Jetzt sind auch die Honeymooner ganz wild nach dem Reisen auf Gleisen. Freunden und Familie Hochzeitsbilder von der Transsibirischen Eisenbahn vorzulegen, das macht Eindruck, Karibikstrand kann schließlich jeder. Im Preis inbegriffen freilich ist Vollverpflegung, ein Arzt, mitunter auch ein Historiker. Im indischen Maharajas’ Express erzählt der einem ganz en passant, dass der Großmogul Shah Jahan, der das Ausnahme-Mausoleum Taj Mahal für seine verstorbene Frau bauen ließ, vom eigenen Sohn für diesen Liebesdienst weggesperrt wurde. Im Roten Fort von Agra! Für den Rest seines Lebens! Wegen Verschwendungssucht!

Für Ausflüge und Abendessen wartet im besonders opulenten Pride of Africa auch ein Friseur. Der föhnt zu jeder Zeit, zückt die Schere aber nur auf ruhigen, ebenen Trassen, keiner soll verschnitten bei ihm rausgehen.

Und so sind die Tage in der Bahn: Während sich die einen in der Bibliothek einen gepflegten Single Malt genehmigen oder beim Landschaftgucken Scones mit Clotted Cream genießen, spielen andere Bridge oder ruhen in der kabineneigenen Badewanne aus. Und draußen? Läuft das Leben weiter. Da ist zu sehen, wie es in den Städten wimmelt und über Feldern himmelt. Da schuften die Einheimischen in Reis- oder auf Baumwollfeldern und sind sehr oft ein Kind der Dritten Welt. Doch Anflüge von schlechtem Gewissen können ausgeblendet werden. Von außen gibt es keine Einsicht auf das Laissez-faire im Zug (getönte Scheiben), und vice versa gibt es gegen zu viel Elend Jalousien. Wahlweise auch Vorhänge. Die Welt ist ungerecht, das werden auch Luxuszugreisen nicht ändern. Die eine oder andere Freundschaft ist auf einer solchen Reise schon entstanden, vielleicht, weil Fahren im Luxuszug die individuellste Form der Gruppenreise ist und das kollektiv Gesehene und „Erfahrene“ besondere Bande knüpft. Und selbst auf Fahrten, in denen Beschwerlichkeiten schon qua Preis nicht existieren dürfen, wird doch klar, was Mark Twain einst erkannte: „Reisen ist fatal für Vorurteile, Bigotterie und Engstirnigkeit.“

IssueGG Magazine 01/17
City/Countrydiverse routes
PhotographyBelmond, Luxury Train Club
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