Eis mit Stil by Irina von Gagern | 24. November 2017 | Personalities
Das Suvretta House in Sankt Moritz ist ein Ort von diskretem Charme. Über 100 Jahre ist das Luxushotel alt, viele Familien wählen es über Generationen als Rückzugsort. Hier die Weihnachtstage verbringen? Nur Geduld, die Warteliste ist lang. Das hat viel mit der Handschrift des Gründers zu tun. Seine Nachfahren betreiben das Hotel bis heute.
„Du fährst ins ,Suvretta House‘?“ Mein Gegenüber bekommt glänzende Augen. Und erzählt von ersten Skistunden beim hoteleigenen Lehrer, heißem Kakao vor dem Kaminfeuer in der Lobby und den vielen Freunden aus aller Welt, mit denen sie die Hotelflure unsicher gemacht hat. Mein Gegenüber ist 70. Die Baronin aus Süddeutschland fährt mittlerweile mit ihren Kindern und Enkeln in das legendäre Grandhotel in den Schweizer Bergen – jedes Jahr zur gleichen Zeit. Heute sind es ihre Enkelkinder, die die Hotelflure unsicher machen, oft mit den Enkeln der Freunde von damals. Wie ein riesiges Schloss thront das „Suvretta House“ auf einem Hochplateau nah an den Wolken, wenige Kilometer von St. Moritz entfernt. Als Hotelier Anton Bon das Hotel 1912 eröffnete, setzte es völlig neue Maßstäbe. 250 Zimmer und 110 „private“ Badezimmer waren ein nie da gewesener Luxus. Dabei hatte Bon zunächst viel Kopfschütteln und Unverständnis geerntet, als er sein neues Hotel auf dem grünen Hang plante. Damals galt es als schick, Hotels mitten in die Dörfer zu bauen: Das „Kulm“ und das „Palace“ – Luxushotels, die bis heute bestehen – lagen und liegen mitten im Dorfzentrum von St. Moritz. Doch Bon sah die Zukunft des Tourismus in der Nähe zur Natur. Seine Gäste sollten ihre Ferien umgeben von blühenden Bergwiesen oder tief verschneiten Hängen verbringen, ohne dabei auf den gewohnten Luxus zu verzichten. „Heute ist gerade diese Lage mit der großartigen Aussicht das Besondere am ,Suvretta House‘“, sagt Martin Candrian, der Urenkel von Anton Bon. Recht hat er. Versunken in einen der großen Fauteuils genießt man beim Afternoon Tea mit englischen Scones und Sandwiches den Blick auf verschneite Tannenwipfel. Die untergehende Sonne taucht die Berge in ein leuchtendes Rosa. Kein anderes Haus in Sicht. Kein Trubel. Kein Firlefanz. Entspannung pur. Ob es das ist, was Thomas Mann am „Suvretta“ so schätzte? Oder König Faruk von Ägypten? Oder der Schah von Persien mitsamt seiner Familie, der Kronprinz von Japan (der heutige Kaiser) oder Evita Perón?
„Heute ist gerade diese Lage mit der großartigen
Aussichtdas Besondere am ,Suvretta House‘.“
Martin Candrian, Urenkel des Gründers
Die Liste der Prominenten, die das „Suvretta House“ über die Jahre zu ihrem Ferienquartier machten, ist lang. In den 20er-Jahren veröffentlichten die Hotels noch stolz ihre Gästelisten im „Engadin Express and Alpine Post“; Prinz Nikolaus von Rumänien ist darauf genau so verzeichnet wie die deutschen Unternehmerfamilien Reemtsma, Gerling und Stinnes. Heute gelten die Besucher des „Suvretta“ als gut gehütetes Geheimnis. „Unsere Gäste genießen die Diskretion“, sagt Hoteldirektor Peter Egli. „Zu uns kommt man, um Privatsphäre zu haben, und nicht unbedingt, um gesehen zu werden.“ Der schöne englische Ausdruck Understatement kommt einem immer wieder in den Sinn, wenn man sich im „Suvretta House“ aufhält. Der Service ist perfekt und unaufdringlich, die Gäste elegant und entspannt. Viele kennen sich seit Generationen. Wer hier die Weihnachtsfeiertage verbringen möchte, braucht allerdings viel Geduld, denn die Warteliste ist sehr, sehr lang. Wenn man dann endlich an der Reihe ist, muss man für mindestens zwei Wochen buchen und dabei tief in die Tasche greifen. Ein einfaches Zimmer ist ab 950 Euro pro Nacht zu haben, die Suite für über 4.500 Euro, Halbpension inklusive. Die echten Stammgäste vom „Suvretta House“ schreckt das nicht. Wie die Stammgäste gibt es auch Stammpersonal. Marco Pavesi, Maître d’Hôtel, arbeitet seit 27 Jahren im „Suvretta“. Er hat 70 Kellner unter sich. Im Grand Restaurant mit der aufwendig geschnitzten Decke aus Eichenholz – original aus dem Jahr 1912 – gilt bis heute der Dresscode Anzug mit Krawatte. „Wir sind eines der wenigen Hotels in St. Moritz, die noch diese Regel des Dresscodes am Abend beibehalten haben“, erzählt Pavesi voller Stolz. Selbst für Kinder gilt: Jackett und Krawatte.
„Zu uns kommt man, um Privatsphäre zu
haben, und nicht unbedingt, um gesehen zu werden.“
Peter Egli, Hoteldirektor
Nachdem viele der Gäste sonst in wärmeren Gefilden leben, lassen sie am Ende ihres Aufenthalts ihren Pelzmantel oder auch ihre Abendgarderobe zur Aufbewahrung im „Suvretta House“ zurück. Darum kümmert sich Esther Egli, die Ehefrau des Hoteldirektors, persönlich. Oben im Speicher gibt es einen Schrankraum, in dem die wertvollen Stücke in großen Kleidersäcken verstaut werden. Den Schlüssel dazu hat nur sie. Auch die Skiausrüstung lassen viele Gäste gleich da. Wenn sie im nächsten Jahr wiederkommen, stehen die Skischuhe in ihrem eigenen Schrank im Keller, und Abendkleid, Smoking und Pelz warten im Hotelzimmer. Als Anton Bon das Hotel am 16. Dezember 1912 eröffnete, war Skifahren noch kein Breitensport. Nur wenige Wagemutige stürzten sich damals auf Holzbrettern ins Tal, nachdem sie vorher stundenlang den Berg erklommen hatten. Vor allem Schlittschuhlaufen und Curling waren en vogue. Also ließ Bon für seine Gäste einen Curling- und einen Eisplatz bauen. Zu den Walzerklängen vom Orchester Caligari liefen elegante Paare bei strahlender Sonne Schlittschuh. Und das tun sie noch heute. Das Orchester ist zwar verschwunden, doch dafür werden Glühwein und Punsch gereicht. Damit das Eis für die Hotelgäste trotz der warmen Sonnenstrahlen immer perfekt ist, beschäftigt das „Suvretta House“ einen eigenen Eismeister: Alessandro Domenighini sorgt Nacht für Nacht dafür, dass die Eisfläche stets dick genug und spiegelglatt ist. 1935 ließ das „Suvretta House“ einen der ersten Skilifte der Schweiz bauen. Noch heute ist das Hotel das einzige in ganz St. Moritz mit direktem Zugang zum Skigebiet, eine der Corviglia-Pisten endet direkt vor dem Hotel. Die eigene Skischule mit 120 Lehrern steht nicht nur den Gästen zur Verfügung.
Zum „Suvretta House“ gehören auch zwei externe Restaurants. Hoch oben auf über 2.200 Metern Höhe, an der Bergstation des Sessellifts, liegt das bei Skifahrern und Wanderern sehr beliebte Bergrestaurant „Trutz“. Schauspieler Rupert Everett schwört auf die selbst gebackenen Kuchen von Wirtin Sylvia Jeuch. An der Talstation des Lifts liegt das „Chasellas“. Am Tag einfache Hütte mit deftiger Kost, verwandelt sich das Restaurant am Abend in ein Mekka für Gourmets. Hier sitzen deutsche Dax-Vorstände dicht gedrängt neben Schweizer Verlegern, französischen Skiassen und englischen Aristokraten und genießen das Menü von Sternekoch Steven Müller. Egal welche Nation, eines eint die Klientel des „Suvretta House“: die Unaufgeregtheit von Menschen, die über Geld nicht mehr sprechen müssen. Wer Champagnerkorken knallen will, ist im nah gelegenen St. Moritz besser aufgehoben. Hier oben gibt es für derlei Auftreten weder Bühne noch Verständnis. Was hier zählt, sind einzig Erholung und Genuss, ganz so wie es sich Anton Bon vor über 100 Jahren vorgestellt hat.