Der Stilmacher by Eva Müller-May | 23. November 2018 | Personalities
Er hat nicht nur den Geschmack der Briten verändert – auch Wohnzimmer und Küchen auf der ganzen Welt: Sir Terence Conran. Mit leuchtend bunten Farben und geradlinigen Formen begeisterte der Designer Studenten, die Beatles und sogar die Queen. Ein Treffen mit dem 87-jährigen immer noch sehr aktiven Unternehmer in seiner Heimatstadt London.
Ganz entspannt, als sei es Tea Time bei ihm zu Hause, empfängt Sir Terence Conran in einem „Karuselli Lounge Chair“ zum Interview. In der Linken eine mächtige kubanische Zigarre, neben sich sein Gehstock. Der Sessel steht aber nicht in seinem Wohnzimmer, sondern im Hotel „Andaz“ in London, einem 5-Sterne-Haus im East End. Selbstverständlich nicht in irgendeinem Raum, sondern im neuesten Meisterstück des 87-jährigen Multidesigners Conran: in der „Red Suite“. Höchstpersönlich hat er diese 80 Quadratmeter eingerichtet. Wer die Suite bucht, unterstützt mit 30 Prozent des Übernachtungspreises die „(RED)“- Foundation, 2006 von Bono und Bobby Shriver im Kampf gegen Aids gegründet. „Ich kenne Bono gut, die Gestaltung der Suite war mir eine Herzensangelegenheit“, erzählt er. Im Conran-Blau (Maßhemden in der Farbe trägt er bevorzugt) ließ er eine Wand streichen und suchte im ConranShop Lieblingsstücke zusammen: die Eames Stühle etwa, die Castiglioni-Lampe „Snoopy“ oder die Replik seiner Coffee-Table-Kreation. Und natürlich den „Karuselli“-Sessel. Den gibt es in der Suite gleich zweimal: in Cognac und in Rot. „Der ist so bequem, dass ich in meinem schon so manche Nacht verbracht habe – zu Hause auf dem Land in Berkshire, nach einem guten Film und einem Whiskey. Zum Leidwesen meiner Frau“, sagt er und schmunzelt. „Nur das fuchsia-pinke Sofa hier war ein Fehler. Ich dachte, es in Rot geordert zu haben, aber als es dann so kam, gefiel es mir fast besser.“
Echte Fehler kann Sir Terence in den über 65 Jahren seiner Weltkarriere kaum gemacht haben. Er gründete und leitete gleich vier Unternehmen: 1949 seine erste Möbelmanufaktur, 1956 die Conran Design Group, 1964 Habitat, 1990 Conran and Partners. Er besaß und gestaltete Hotels, weltweit Hunderte Shops, unzählige Restaurants, Cafés und Bars, schrieb über 40 Bücher, darunter viele Kochbücher. Von der Gabel bis zum Inneren eines Flugzeugs fiel ihm etwas ein, er sanierte sogar ganze Stadtviertel. 1983 wurde Terence Conran für seine Verdienste von der Queen geadelt.
Sein Vermögen wird auf 85 Millionen Pfund geschätzt. 1989 gründete und finanzierte er das Design Museum in East London. Das Haus platzte schon bald aus allen Nähten, 2016 wurde die gefeierte Institution in Kensington neu eröffnet. Mit dreimal so viel Platz wie bisher, in einem Gebäude, das vom Architekten John Pawson grandios umgebaut worden war. „Das war vielleicht der wichtigste Moment in meinem Leben“, sagt Conran.
Der so vielfach begabte Ästhet hat den Lifestyle und den Geschmack der Briten verändert. Auf der ganzen Welt hat er die Art des Wohnens demokratisiert, indem er schon in den 60ern stylishe Haushaltswaren, Möbel und Dekoration für den breiten Markt erschwinglich machte. „Ganz London war in den 60ern bei Habitat in der Abteilung für Küchenutensilien“, sagt er, „selbst die Beatles.“ Mit seinen Möbelmodulen für Habitat, die man, so Conran, „auf einer Vespa transportieren konnte“, aber selbst zu Hause zusammenbauen musste, ebnete er den Weg für den späteren Erfolg von IKEA.
Er selbst sagt zu all dem: „Ich war nur ein Diener für die Menschen, um ihnen zu helfen, ihr Leben besser zu genießen.“ Geld habe ihn nie interessiert. „Ich habe immer nur getan, was mir Spaß macht.“ Das mag erklären, dass er in seinem hohen Alter noch immer arbeitet. Er liebt, was er tut. „Ich war ein Kriegskind. Bei uns war alles grau.“ Nur die Natur auf dem Land sei opulent und bunt gewesen. „Besonders die Wildblumen und die Schmetterlinge. Das hat mich geprägt. Farbe ist wichtig für mich, und wir lernten schnell, das Beste aus sehr wenig zu machen.“
Als Zehnjähriger baute er sich aus alten Brettern ein Bücherregal. „Ich fühlte eine glückliche Ekstase, als es fertig war.“ Seine Mutter unterstützte sein Talent, richtete im Schuppen ein Atelier ein und kaufte ihm Werkzeug. Später, so sagt er, sei „pure Frustration“ die treibende Kraft gewesen für seinen frühen Start als Unternehmer: Er studierte Textildesign in London, sein gemietetes Studentenzimmer war grauenvoll möbliert und er fand nirgendwo für ihn akzeptable Einrichtung. So baute er seine Möbel eben selbst.
Nach Studienende, mit gerade 18, teilte er sich mit seinem Freund Eduardo Paolozzi eine Werkstatt. Das war im Jahr 1949, das Material noch knapp. Aber an einem von Conrans ersten Sitzmöbeln aus dünnen Metallrahmen, Rückenlehne und Sitzfläche aus weißen Seilen, fand sogar Picasso Gefallen. „Er orderte zwei für sein Atelier in Frankreich.“ Einige Jahre später standen Conrans Kreationen – für den damaligen Kontext eigenwillig geradlinig – in den gängigen britischen Einrichtungshäusern zum Verkauf. „Sie wirkten dort wie Fremdkörper und waren eher Ladenhüter.“ Conran entschied sich, für eine junge Klientel in größerem Rahmen zu produzieren und Design, das ihm gefiel, in eigenen Shops anzubieten. Eine Reise in die Dordogne sollte 1953 ein Wendepunkt für den jungen Unternehmer sein. Die französische Lebensart faszinierte ihn, besonders das hervorragende Essen. Er begann zu kochen, eröffnete Cafés und Restaurants. Insbesondere begeisterten ihn die Wochenmärkte. „Obst und Gemüse waren zu hohen Pyramiden gestapelt.“ Dieses Prinzip einer überbordenden Präsentation sollte er später in seinen Habitat-Shops perfektionieren. Geschirr, Gläser, Küchenutensilien – alles war ohne Verpackung oft bis unter die Decke gestapelt.
Ist guter Einrichtungsstil heute anders als früher? „Nein, Design sollte immer simpel, schön, funktional sein – und überraschen! Aber ohne Bling-Bling. Guter Stil ist für mich Understatement“, sagt er. „Angelehnt an Bauhaus-Design, mit einem Hauch kräftiger Popart-Farben, Modulregalen und italienischem Lichtdesign.“
Sein Privatleben ist so vielschichtig wie alles bei diesem Mann: Er war vier Mal verheiratet und hat fünf Kinder. Es war zu lesen, er habe seine Beerdigung bereits geplant: Seine Asche solle bei Händels Feuerwerksmusik in den Himmel geschossen werden. Sir Terence lacht. „Vorher gibt es noch so viele Projekte zu realisieren. Als erstes werde ich heute Abend auf dem Land Flusskrebse aus meinem Bach genießen. Mit frischem Knoblauch aus dem Gemüsegarten.“ Zubereitet von seiner Ehefrau. Und danach wartet der „Karuselli“-Sessel.