Die Einrichterin by Christina Libuda | 8. März 2019 | Personalities
Aufgewachsen auf dem Land, von vielen Männern zunächst belächelt, gilt Delia Fischer heute als Vorzeigegründerin. Mit ihrer kühnen Geschäftsidee, Möbel im Netz zu verkaufen, wuchs ihr Start-up zum börsennotierten Unternehmen. Heute bestellen bei Westwing rund eine Million Kunden aus elf Ländern.
Entspannt lässt sich Delia Fischer in die Kissen des Samtsofas fallen. Streckt die Beine aus, das Handy verschwindet in der Sofaritze. Man könnte meinen, wir sitzen im Wohnzimmer der 34-Jährigen: weicher Teppich, gläserner Couchtisch, Duftkerzen, indirekte Beleuchtung. Nur die Menschen, die an der Glastür vorbei über den Gang huschen, erinnern daran, dass wir uns in ihrem Büro in Münchens Industriegebiet befinden. Die Tristesse vor den Fenstern bleibt draußen.
Delia Fischer, Gründerin des Interior-Onlineshops Westwing, verdient ihr Geld damit, Orte wohnlich zu machen. Vor sieben Jahren gründete sie ihr Start-up, heute verschönert sie die Haushalte von rund einer Million Kunden jährlich. In ihrem einstigen Job als „Elle“-Redakteurin fiel ihr auf, dass es tolle Mode-Onlineläden gab, aber keinen für Interior. Jedenfalls keinen, der ihr gefiel und der einen beriet. „Dabei benötigt man gerade bei der Einrichtung Hilfe: Welche Farben passen? Wie groß muss der Teppich sein? Fragen, die einem niemand beantwortete.“ Ihre Idee war geboren.
Westwing war nicht Fischers erste Gründungsidee. Aber die einzige, an die sie wirklich glaubte. Wenn man es richtig macht, ahnte sie, würde sie das Interior-Shopping revolutionieren. Nur: Groß zu denken ist eine Sache, so zu handeln eine andere. Bis dahin war die damals 27-Jährige nie ein großes Risiko eingegangen. Sie wächst behütet in einem bayerischen Dorf auf, in der Nähe der Kleinstadt Nördlingen. Verwandte besucht sie mit dem Fahrrad, kennt jeden hier beim Namen. Nie hat sie im Ausland gelebt, sie zog nach dem Abi nach München und ist bis heute dort geblieben. Sicherheit und geordnete Verhältnisse sind ihr wichtig. So haben es ihre Eltern vorgelebt. Ausgerechnet ihre Mutter Johanna ist es, die den finalen Anstoß zur Gründung gibt. „Sie fragte mich, was ich schon zu verlieren hätte. Da war mir klar: Es gibt nichts.“
„Wenn man eine Idee hat, an die man glaubt, lohnt es sicher immer, dafür ein Risiko einzugehen.“
DELIA FISCHER
Fischer war jung, ledig, hatte keine Schulden, aber dafür die Gewissheit, als Journalistin wieder Fuß fassen zu können, falls das Start-up nicht funktionieren würde. Bis zur Kündigung ihrer Redakteursstelle vergehen gerade mal zwei Wochen – wer eine gute Idee hat, muss schnell sein. Ende Februar 2011 holt sie ihren Bekannten Stefan Smalla als Co-Gründer ins Boot. Der hatte da bereits ein Online-Freundesnetzwerk aufgebaut, einige Jahre bei einem Berliner Start-up gearbeitet und war sechs Jahre Manager bei einer der weltgrößten Unternehmensberatungen gewesen. Sein Branchenwissen zahlt sich aus: Schon im März folgt der erste Termin bei einem Venture Capital Fonds in München. Erfolgreich. Im Mai werden erste Mitarbeiter eingestellt, auch ein Büro gibt es nun. „Ich weiß noch, wie mein Vater uns beim Einzug half und meiner Mama besorgt erzählte, wir hätten uns total übernommen: Das Büro sei viel zu groß“, erzählt Fischer. Im Juli schon passen beim Jour Fixe nicht mehr alle Mitarbeiter in den Konferenzraum. 20 Leute waren sie da. Fast alle sind heute noch dabei. Ein halbes Jahr später, an Weihnachten 2011, wird Westwing mit Bestellungen überrannt. Alle Mitarbeiter – und auch wieder Papa – packen im Lager mit an, um die Masse zu bewältigen. „Da hab ich zum ersten Mal realisiert, dass das ganz groß werden kann.“
Innerhalb weniger Monate wird Fischer zur erfolgreichen Unternehmerin. Westwing expandiert weltweit. Doch das schnelle Wachstum birgt Probleme. Büros, etwa in Indien, müssen schließen, weil der Markt noch nicht reif ist. Jedes Land benötigt außerdem ein eigenes Logistikzentrum und Lager. Für Fischer eine aufwühlende Zeit. Mittlerweile hat sie sich ein dickes Unternehmerfell zugelegt – das muss sein, sagt sie, will man nicht ständig einen halben Nervenzusammenbruch bekommen. Das wäre auch denkbar schlecht bei der Größe, die Westwing mittlerweile hat: Der E-Commerce-Shop ist heute in elf europäischen Ländern vertreten, beschäftigt 1.200 Mitarbeiter (550 davon in München). Jahresumsatz: 220 Millionen Euro. Im Oktober 2018 ging Westwing an die Börse und fuhr damit 132 Millionen Euro ein. Westwing ist nicht mehr nur ein Onlineshop, sondern die E-Commerce-Plattform für Interior-Shopping.
Delia Fischer hat es geschafft. Schuhe von Christian Dior, am Handgelenk die goldene Rolex. Sie interessiert sich sehr für Mode und Beauty – das räumt sie offen ein. Es macht sie nicht weniger kompetent. Dennoch hatte sie mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Wurde als „schöne Doofe“ abgestempelt, nicht ernst genommen. Als sie 2011 auf einem Start-up-Event von ihrer Gründungsidee erzählte, bekam sie zu hören: „Ach Süße, lass das lieber bleiben!“ Die Runde von Männern hatte keine Ahnung, dass Fischer bereits eine erfolgreiche Finanzierungsrunde abgeschlossen hatte. „Früher hat mich das sehr verletzt, und ich habe überlegt, mich weniger modisch anzuziehen oder weniger Make-up zu tragen“, sagt sie. Doch sie blieb sich treu.
Die Quote von Frauen in Führungspositionen liegt bei Westwing über dem Durchschnitt vergleichbar großer Firmen. „Nicht weil wir Frauen den Vortritt lassen, sondern gerade weil wir nach Kompetenz gehen.“ Frauen müssten sich nur mehr trauen. Sie selbst hat damit keine Probleme mehr. Im Westwing-Impressum ist zu lesen: „Gründerin: Delia Fischer“, was ihren vier männlichen Mitgründern nichts auszumachen scheint. Auf ihrem Schreibtisch steht ein Schild „Girl Boss“. Ein Begriff, der für sie etwas ausgelutscht klingt, und dennoch: „Er steht dafür, dass es nicht kontrovers ist, feminin zu sein und ein Boss.“
Als freundschaftlich, beinahe schon zu persönlich, beschreibt sie ihren Führungsstil. Jeder wird geduzt, strikte Hierarchieebenen gibt es nicht, kommuniziert wird via WhatsApp, die Chefin gibt Feedback per Emojis. Im Headquarter in München wirkt es ohnehin so, als würden sich Freunde zur Arbeit treffen. Kein Wunder, viele sind extra für diesen Job aus dem Ausland hergezogen – das verbindet. Die Mitarbeiter stammen aus 40 Nationen, die meisten sind Anfang 30, Unternehmenssprache ist Englisch. Delia Fischer scoutet ihre Leute auf der ganzen Welt. Sie selbst ist für den kreativen Part zuständig, sie entscheidet, welche Produkte auf der Website landen und wie die Seite aussieht. Um den internationalen Geschmack der Kunden bedienen zu können, wird sie von rund 100 Scouts unterstützt, die in den Westwing-Ländern Trends und kleine Labels aufspüren. „So findet auch das kleine Tischwäsche-Label aus der Provence seinen Weg zu uns.“
Offline ist sie nie. Selbst im Bett scrollt sie durch ihren Instagram-Feed auf der Suche nach Interior-Trends. „Eine Trennung zwischen Job und Freizeit gibt es nicht, alles ist verwoben.“ Dafür, dass sie zu Europas Top-Expertinnen im Bereich Interior-Design zählt, verbringt sie selbst ziemlich wenig Zeit zu Hause. Der letzte Film, den sie gesehen hat? Keine Ahnung. „Aber ich mag’s so“, sagt sie.