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Die Offenbarung by Juan Moreno | 6. September 2019 | Travel

Das Festival „The Epicure“ im ehrwürdigen „The Dolder Grand“-Hotel in Zürich ist ein Muss für Gourmets. Einmal im Jahr treffen sich hier die genialsten Köche der Welt. Am meisten aber profitieren Food- Ignoranten von einem Besuch, wie unser Autor Juan Moreno feststellte. Eine Verbeugung.

Meine Frau ist eine recht bekannte Restaurantkritikerin. Sie hat Meinungen zu Dingen, von denen ich nicht ahnte, dass man dazu eine Meinung haben kann. Sie weiß, ob sie Lust hat auf Bäckchen vom Ibérico Schwein mit zweierlei Petersilie oder doch eher auf die Terrine mit Mistel und gelierter Shiso Consommé. Die Chartreuse von Wachtelbrüstchen und Gänseleber in Apfel-Gewürztraminergelee könnte sie sich immer vorstellen – müsste aber wissen, wer „am Pass“ steht. Wer also bestimmt, ob sie gelungen genug ist, um sie zu servieren. Natürlich wird sie den Namen des Kochs kennen und seine bisherigen Arbeitsstationen. So eine Frau, machen wir uns nichts vor, ist ein Problem.

Mich hat mangelndes Wissen noch nie davon abgehalten, über Dinge zu diskutieren – oder zu schreiben –, sonst wäre ich nicht Journalist geworden. Das Problem ist, dass mich immer eine gewisse Angst beschlich, meine stolze Verteidigung einer leicht angekohlten neapolitanischen Pizza, die ich als Gipfel der Kulinarik ansah, könne eben auf dem fußen, was meine Frau mir vorwarf: Ahnungslosigkeit. Mir dämmerte, dass meine Witze über die französische Chichi-Küche vor allem bewiesen, dass ich nicht genug wusste. Und auch mir war aufgefallen, dass mir ein Satz in Erinnerung blieb, den ich mal gelesen habe: „Wenn man Frankreich wirklich kennt, wird man den Begriff ,Grande Nation‘ womöglich belächeln, aber niemals den Begriff ,Grande Cuisine‘.“

Ich muss daher zugeben, dass ich mich sehr freute, als dieses mutige Magazin mich fragte, ob ich nicht über ein Schweizer Food-Event der Spitzenklasse schreiben wollte. Ein Treffen internationaler Meisterköche in einem der fantastischsten Hotels der Welt, dem Fünfsternehotel „The Dolder Grand“ in Zürich. Treibende Kraft hinter der Veranstaltung ist Heiko Nieder, grandioser Koch und Chef im „The Restaurant“, das zum Hotel gehört. Nieder hat sich zwei Sterne erkocht, ist ein angenehmer, besonnener Mann, den man jederzeit mit einer heiklen diplomatischen Mission betrauen könnte. Wenn er durchs Hotel geht, braucht er eine halbe Ewigkeit, weil Stammgäste ihn erkennen und unbedingt mitteilen wollen, wie einzigartig ihr letzter Abend in seinem Restaurant doch war. „The Epicure“ heißt das Food-Festival, es findet in diesem Jahr vom 3. bis 8. September statt und trägt den durch und durch bescheidenen Beinamen „Days of Culinary Masterpieces“. Es gibt zahlreiche dieser Veranstaltungen weltweit, aber kaum eine auf so einem hohen Niveau. Das Festival ist hervorragend besucht. Einige Abende – zumal wenn die Gastköche eigens aus Asien oder den USA kommen – sind sofort ausgebucht. 2019 ist die sechste Auflage, der Ablauf immer ähnlich. Man bucht einen Abend, immer steht ein Gastkoch, der immer drei Sterne hat, mit Gastgeber Nieder am Herd. Es gibt ein atemberaubendes Menü und grandiosen Wein dazu. Billig ist es nicht, man ist mit knapp 600 Schweizer Franken pro Person dabei. Viel Geld, das sich aber schnell relativiert, wenn man das Gespräch zwischen mir und einem Kellner kennt, das ich im vergangenen Jahr während des Festivals führte. Ich hatte zwei Gläser eines sehr leckeren Champagners getrunken, dessen Name ich mir nie vorhatte zu merken, und stellte die Frage, die mir als Banause blendend zu Gesicht stand. Die nach dem Preis. Ich räusperte mich, beugte mich zum Kellner, der gerade mein Glas abräumen wollte, und fragte: „Entschuldigen Sie bitte, äh, was kostet das?“ Der Kellner überlegte kurz. So als frage er sich, ob er die Frage wirklich beantworten solle. Dann sagte er: „Ich würde sagen, so 100 Schweizer Franken. Im Einkauf. Vorausgesetzt man könnte ihn kaufen.“

Ich bin kein Gourmet, so viel dürfte klar geworden sein, darum sagte mir auch der Name des Mannes, der an dem Abend kochte, nichts: Heinz Beck. Es ist so, als würde man über Fußball schreiben und nicht wissen, wer Lothar Matthäus ist. Beck führt das einzige Dreisternerestaurant in Rom, „La Pergola“. Er leitet noch weitere Restaurants, die finden sich in Dubai und in London und einigen anderen Orten mehr. Beck, mit dem ich am Abend noch ziemlich an der Hotelbar versacken sollte, hat mich zutiefst beeindruckt. Ich verstand nun, warum Gourmets so ein Bohei veranstalteten ums Essen. Ich habe den Namen des Gangs vergessen. Aber was ich in meinem Leben nicht vergessen werde, sind die Tortellini, die Beck servieren ließ. Das Tellerbild war eine gemalte Landschaft, sehr schön, aber ich dachte, Tortellini, na und? Nudeln halt. Ich habe einige Zeit in Italien gelebt, dachte, ich wüsste, wie Pasta zu schmecken hat. Ich hatte in meinem Leben noch nie so gute Tortellini gegessen. Samtig weich, eine perfekte, hauchdünne Teigummantelung einer wunderbar zarten Entenfüllung. Meine Frau würde jetzt ein Adjektiv-Feuerwerk zünden. Es war unglaublich. Bei diesem Festival, das verstand ich an dem Abend, ging es nicht um gutes Essen, es ging um Perfektion. Um Genialität. Einer der Köche im letzten Jahr war Yosuke Suga, Lehrling von Jahrhundertkoch Joël Robuchon und Betreiber des „Sugalabo“ in Tokio. 20 Plätze, members only, meist nur wenige Tage im Monat überhaupt geöffnet. In Japan gilt Suga als kulinarische Sensation.

Ich habe eine einfache Definition für Genialität. Wirklich genial ist etwas, das jeder erkennt, sogar Laien. Wer noch nie ein Fußballspiel gesehen hat, erkennt, dass Maradona ein Genie war. Wer noch nie Musik gehört hat, wird verstehen, warum die Beatles so groß waren. Man muss nichts von Kunst verstehen, um van Goghs Einzigartigkeit zu erkennen. Beck macht angeblich die beste Pasta der Welt, und sogar jemand wie ich erkennt das. In diesem Jahr kommen zu diesem exklusiven Koch-Event Leute wie Alain Passard, Christian Jürgens, Alvin Leung und Esben Holmboe Bang. Meiner Frau traten Tränen in die Augen, als sie die Namen hörte, ich habe keine Ahnung, wer diese Menschen sind. Sie alle haben drei Sterne. Es ist nicht so, dass ich jetzt keine Pizza mit leicht verkohltem Rand mehr mag. Ich hänge mir auch kein Poster eines Impressionisten ins Büro oder installiere „Let it be“ als Klingelton auf meinem Handy. Aber „The Epicure“ hat mir klargemacht, dass da eine ganze Welt ist, von der ich nichts wusste. Es ist kein Gourmet-Festival, obwohl man so gut isst, dass man noch Monate später davon redet: Es ist eine Lektion in Demut.

IssueGG Magazine 04/19
City/CountryZurich, Switzerland
PhotographyThe Dolder Grand, David Biedert
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