Hier wird an der Zukunft gebastelt by Silke Bender | 6. Dezember 2019 | Personalities
Nicht nur technologisch wetteifern Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft um den ersten Platz. Auch mit dem futuristischen Design ihrer Firmensitze wollen sich die fünf Tech-Giganten übertrumpfen. Sie verwandeln ihre Headquarter in begehbare Objekte, in denen mutige Visionen für morgen verwirklicht werden sollen.
Alexa, open the Spheres!“ Mit diesen Worten eröffnete Amazon-Chef Jeff Bezos im Januar 2018 das Herzstück des erweiterten Headquarters in Seattle. Die digitale Assistentin antwortete „Okay, Jeff“, und ließ einen LED-Ring unter der Kuppel wie einen Heiligenschein pulsieren. Der Mann befiehlt, und die virtuelle Frau gehorcht. Das soll die Zukunft sein? Immerhin lachten die Gäste und der Chef mit ihnen. „The Spheres“ – das sind drei gigantische, futuristische Glaskugeln, die nun wie Seifenblasen vor dem schwarzen 37-stöckigen Amazon-Turm aufquellen. Darin 40.000 Pflanzen, 50 Mammutbäume, Wasserfälle, Baumhäuser und Hängebrücken – eine Reminiszenz an den Amazonas, dem der Internethändler seinen Namen entlieh. Was fehlt sind abgeschlossene Büros, Konferenzräume oder gewöhnliche Schreibtische. Die Architekturfirma NBBJ hat andere Vorstellungen: Meetings in einem Vogelnest auf rund 20 Meter Höhe? Rauschende Ideenströme unterm Wasserfall? Platz gibt es genug: Die größte Kuppel ist über 27 Meter hoch und hat einen Durchmesser von fast 40 Metern.
Lange stand die „Space Needle“, ein Aussichtsturm aus den 60er-Jahren, für Seattles Zukunftsverliebtheit. Doch dessen futuristische „Star Trek“-Ästhetik ist in die Jahre gekommen. Die Zukunft stellen wir uns heute anders vor: ökologischer, transparenter, menschelnder. Wer könnte es besser wissen als die Big Five, die Digitalunternehmen, die unseren Alltag in Lichtgeschwindigkeit umgekrempelt haben – und die sich jetzt daran machen, ihre und unsere Zukunft zu entwerfen. Nicht nur „The Spheres“ beweist: Bei den Internet-Giganten sind Türme out. Die Zeit für eine neue, weniger phallokratische Unternehmenskultur ist gekommen. Die sogenannten GAFAM-Firmen (das Wort besteht aus den Anfangsbuchstaben der fünf Riesen) haben die Welt zum globalen Dorf gemacht: Es ist das neue Paradigma der Architektur und heißt jetzt Campus. Mit Parks, Restaurants, Cafés, Shops, Eventflächen, Sport- und Vergnügungsangeboten.
„Die Welt wird zum Dorf und die Firma zur Welt.“ SILKE BENDER
Auch Google macht sich flach bei seinem Neubau, dem „Charleston East“ im nordkalifornischen Mountain View, dessen Fertigstellung in diesen Wochen erwartet wird. Der neue Campus sieht von oben aus wie eine Mischung aus Manta-Rochen und Gürteltier mit Schuppen aus Solarpaneelen. Die zeltähnliche Struktur ist nur zwei Stockwerke hoch, erstreckt sich aber über gut 55.000 Quadratmeter, fast acht Fußballfelder. Dank der Sonnenmodule soll das Gebäude mindestens 40 Prozent seines Energiebedarfs sauber produzieren. Zugänglich ist es durch einen Park mit Lauf- und Fahrradpisten, Parkplätze werden unter die Erde verbannt.
Die dänische Bjarke Ingels Group und der Brite Thomas Heatherwick haben den Anbau entworfen. In einem Interview gab Heatherwick Einblick in die neue Mentalität der GAFAM-Firmen, die offen um die originellsten Bauprojekte konkurrieren: „Sie sind an Ideen interessiert. Niemand will reich aussehen. Sie wollen clever aussehen, egal wie viel Geld sie haben. Google will den Kopf hochhalten können und sagen, dass wir x Dollar pro Quadratmeter ausgegeben haben.“
Noch gibt es zum Google-Bau keine Zahlen, auch keine spekulativen, der Apple-Neubau in Cupertino aber soll über fünf Milliarden US-Dollar gekostet haben. Der kreisrunde, flache Ring („Apple Park“) ist mit seinen 1,6 Kilometern Umfang größer als das Pentagon und erinnert an das Click Wheel des ersten iPods. Seine schwimmende Konstruktion auf unterirdischen, beweglichen Sockeln macht das ufoähnliche Gebäude erdbebensicher und buchstäblich zu einer Art fliegenden Untertasse. Es ist die letzte Produktidee des Firmengründers Steve Jobs, der kurz vor seinem Tod 2011 ankündigte, das beste Bürogebäude der Welt zu bauen, mit Platz für 12.000 Mitarbeiter. Von den persönlich ausgesuchten Steinfliesen im zweistöckigen Yoga-Center bis hin zu den Obstbäumen im Innenpark versteht sich das Gebäude als Jobs Vermächtnis. Er gewann dafür den Pritzker-Preisträger Lord Norman Foster.
Jobs liebte die Farbe Weiß, asiatisches Zen und technoide Kühle – und sein „Apple Park“ übersetzt das in runde Geometrien aus Glas, Holz, Stein und Stahl. Die Raumstation aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ soll als Idee Pate gestanden haben. Die fast 14 Meter hohen Glasfenster sind made in Germany und wurden vom schwäbischen Mittelständler Seele maßgefertigt. Während die anderen vier Großen zumindest Teile der neuen Headquarters auch für die Öffentlichkeit zugänglich machen, gibt sich Apple verschlossen. Führungen im Ring soll es nur in Ausnahmefällen geben, anders ließen sich die vielen vertraulichen Informationen nicht schützen, meinte CEO Tim Cook. Das „Apple Park“-Besucherzentrum liegt außerhalb.
Während Facebook mit den Daten seiner 2,7 Milliarden User bekanntermaßen intransparent umgeht, bemüht sich die neue Headquarter-Erweiterung in Menlo Park um Offenherzigkeit. Das von Frank Gehry entworfene, total verglaste „MPK 21“ (Menlo Park 2021) ist ein nachhaltiges Gebäude; auf seinem 1,5 Hektar großen Dachgarten stehen 200 Bäume. Outdoor- Büros befinden sich in „The Town Place“, einem Grünbereich mit zwölf Meter hohen Redwood-Bäumen. „The Bowl“ ist ein Innenhof im Amphitheater-Stil, der das „MPK 21“ mit dem älteren „MPK 20“ verbindet. Kunstinstallationen, Restaurants und eine Eventhalle für 2.000 Gäste runden das Ganze ab.
„Den Firmen geht es um Ideen. Keiner will reich aussehen. Sie wollen clever aussehen, egal wie viel Geld sie haben.“ THOMAS HEATHERWICK
Der Microsoft Redmond Campus bei Seattle ist der älteste seiner Art und nach über 30 Jahren in die Jahre gekommen. Zurzeit wird er umgebaut, ökologisch nachhaltig. Zwölf alte Gebäude werden abgerissen, 17 neue entstehen. Unter der Federführung eines Architektenkonglomerats, darunter NBBJ, die für Amazon die Seifenblasen schufen, entsteht ein erweiterter Komplex, in dessen 131 Gebäuden bis zu 55.000 Mitarbeiter Platz finden sollen. Die Architektur mag auf den ersten Blick eher konventionell wirken, dennoch punktet Microsoft: Seiner ist der einzige Campus, der sich um eine Schienenanbindung bemüht. Ab 2023 müssen sich die Angestellten nicht mehr über verstopfte Freeways quälen, sondern können mit der Link Light Rail anreisen.
Eines ist allen GAFAM-Neubauten gemeinsam: Die Trennung von Arbeit und Freizeit verwässert immer mehr; zwischen Fitnessstudios, Restaurants, Arztpraxen und Reinigung lebt und arbeitet man in einem fast autarken Kosmos. Facebook plant bereits das „Willow Village“ gleich neben seinem Headquarter – hier sollen Tausende mietvergünstigter Wohnungen entstehen. Die Welt wird zum Dorf und die Firma zur Welt. Die Seifenblasen von Amazon in Seattle schimmern verheißungsvoll, allerdings ist der Traum von einem zweiten Headquarter in New York gerade geplatzt. Die schöne, neue Welt der Arbeit, die Amazon in einem riesigen Waterfront-Campus für 25.000 Angestellte in Queens plante, erschien den protestierenden Anwohnern als Alptraum. Sie befürchteten steigende Mieten, noch überfülltere Nahverkehrszüge und die Verdrängung alter Bewohner und setzten sich gegen den Internet-Giganten durch. Nun geht das „HQ2“ von Amazon nach Virginia. Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten.