Rockstars & Royals unter sich by Dagmar von Taube | 6. März 2020 | Personalities
Wer hier ist, gehört dazu. So einfach ist das auf Mustique. Der Karibik-Insel mit königlichem Gefolge, durch die Netflix-Serie „The Crown“ nicht mehr nur Insidern bekannt. Keine sechs Quadratkilometer groß, ohne Straßenschilder und Paparazzi. Was auch fehlt, sind DJs und Remmidemmi. Legendäre Partys gibt es umso mehr.
„Willst Du lieber einen Cocktailshaker von Asprey oder ein Stück Mustique zur Hochzeit geschenkt bekommen?“ COLIN TENNANT, 3. BARON GLENCONNER
Der Blick aus dem Inselhopper ist ein türkisfarbener Wahnsinn. Selbst auf einem SchwarzWeiß-Bild könnte man die Farbe dieses Wassers fühlen. So klar ist es – als schwämmen die Fische durch die Luft. Es entgeht einem nicht mal die durchsichtige Glasgarnele im Meer. Zum Glück leuchtet der Strand so weiß, dass der Pilot erkennt, wo er runtermuss. Und so landet man aus Europa nach zwölf Reisestunden endlich vor einer Holzhütte – in den knuffigen Armen von Jeannette Cadet. Die 71-jährige Insulanerin empfängt seit mehr als 30 Jahren die Besucher auf Mustique. Mick Jagger, David Bowie, Bill Gates, die englische Königsfamilie. Prinzessin Margaret kannte sie gut. „Sie rief immer erst aus London an: ,Ist mein Haus skorpionfrei?‘“ Ihre Gäste begrüßt Jeannette gern mit Witzchen: „Seit gestern, muss ich leider sagen, haben wir abscheuliches Wetter“ – und verteilt dann lachend Eiswasser.
28 Grad. Mit dem Golfcart geht es los, von einem Hügel zum anderen, über holprige Wege durch einen geordneten Dschungel. Die Häuser darin, riesige Anwesen zum Teil, zeigen sich kaum. Einfahrten und Hecken lassen nur ahnen, was dahinter so liegt. 15 Milliardäre besitzen auf Mustique ein Feriendomizil, 105 private Villen sind es insgesamt. Die meisten kann man mieten. Als wäre man ein privater Hausgast: Man schläft in ihren Betten, isst von ihrem Geschirr. Man duscht, träumt, lebt in den Nestern der Happy Few aus aller Welt – Industrielle, kreative Genies, mit geerbtem oder erarbeitetem Geld. Man braucht nicht mal einen Schlüssel, die Häuser stehen offen, das Personal empfängt an der Tür.
37 Sicherheits-Guards bewachen die Insel. Es gibt eine Ankunftsliste. Bevor Sie gelandet sind, weiß man schon, wer Sie sind und was Sie machen, ob Probleme bestehen mit einer Bank oder Regierung. Es gibt zwei Hotels, zwei Strandcafés, zwei Bars. Doch im Grunde spielt sich auf Mustique alles privat ab, hinter den Hecken, wo man sich seit Urzeiten kennt und trifft. Jeder weiß, wer wo wohnt, darum gibt es auch keine Straßenschilder. Wie in einem exklusiven Privatclub: Man genießt das Entre-nous-Sein und pflegt noch sehr bewusst den Unterschied. Money talks. Wealth whispers.
Mit Colin Tennant, dem dritten Baron Glenconner, fing es 1958 an. Der exzentrische Sohn eines englischen Großgrundbesitzers schipperte auf einer Rückreise von Trinidad an der Insel vorbei, auf der es nichts gab außer Baumwolle, Kokosnüssen und Moskitos. Er verliebte sich in das Gestrüpp-Eiland und erwarb es für 45.000 Pfund. Aus der Wolle machte er Pyjamas, die er nur schwer in London verkaufte. So kam ihm die Idee, Mustique zu beleben, indem er Freunden Land schenkte mit dem Auftrag, ihre Entouragen mitzubringen – aber bitte nur die Gutaussehenden! Prinzessin Margaret war eine der Ersten: „Willst du einen Cocktailshaker von Asprey oder ein Stück Mustique?“, fragte er die Freundin, als sie 1960 Lord Snowdon heiratete. Über den ersten Inselblick von ihrer Flitterwochen-Yacht aus äußerte sich die Prinzessin in ihrer üblichen Art – enttäuscht. „Es sah aus wie Kenia, komplett verwüstet. Die Insel bestand aus einem Trampelpfad, da hockten wir dann im Unterholz und schlugen auf die Moskitos ein. Eigentlich hielt man es nur unter Wasser aus.“ Colins Feste aber waren zügellos und legendär, und so folgten Rockstars, Bohemiens und Aristokraten und amüsierten sich im bekifften Rausch, sorglos, leicht und definitiv nicht jugendfrei auf der bis heute sagenumwobenen Insel. Im Büro sitzt Roger Pritchard. Niemand pflegt Kontakte so virtuos wie der Brite – verbindlich und so diskret, dass man von ihm nur schwer etwas erfährt. „Hach, der alte Colin“, lacht er kratzig über seinem Morning Tea. „Er war nicht nur der Gründer von Mustique, er hat es geprägt mit seiner Persönlichkeit. Ein guter Finanzmann und Unternehmer war er allerdings nicht.“ Wenn eine Straße gebaut werden musste, verkaufte er halt eins seiner Gemälde. Die Lebensmittelversorgung war chaotisch. Und wenn sich zur Cocktail Hour die Damen fönten, hockte die komplette Insel wegen Stromausfalls plötzlich im Dunkeln. Irgendwann wurde es den Leuten zu bunt, sie forderten ein anständiges Management. Und so wurde vor 50 Jahren die Mustique Company gegründet, deren Chef Roger Pritchard ist.
Mustique in die Zukunft zu führen, das ist sein Job. Seinen Charme zu bewahren und diesen Ort gleichzeitig weiterzutragen. Für die nächsten Generationen zu öffnen, für eine neue Klientel, weil sich die Zeiten ändern. Ein Balanceakt. Wie Fürst von Lampedusa in seinem Buch „Der Leopard“ schreibt: Es muss sich alles ändern, damit alles bleibt, wie es ist. Wer kann die Mustique-Gesellschaft von morgen sein: Fußball-Könige? Fashion-Kids? Silicon-Valley-Nerds? Die Kardashians, Araber, Chinesen, Astronauten? Es hat mit Auswahl zu tun und kann schnell kippen. Roger: „Man muss es behutsam kuratieren.“
Imelda Marcos wollte mal ein Haus kaufen – abgelehnt. Oligarch Abramowitschs Versuch, die Villa „Great House“ des verstorbenen Colin zu erwerben, die heute Mode-Tycoon Lawrence Stroll gehört – gescheitert. Selbst als der Russe sein Angebot verdoppelte. Der alte Esprit soll bleiben. „Wir sind keine Heiligen und müssen auch niemandem gefallen“, sagt Roger. Er lacht. 40 Prozent sind Engländer, Amerikaner kommen, Venezolaner, Schweizer, Italiener. Drei deutsche Familien. „Wir hätten nichts gegen eine breitere Mischung und auch mehr Gäste über das ganze Jahr verteilt“, sagt Roger. Die Hausbesitzer suchen Mieter. „Inflation“, brummt er. Die Dynamik der Wirtschaft, alles wird teurer. Und auch Klospülungen wollen nicht nur an Weihnachten und Ostern betätigt werden.
Ein junger Unternehmer – er stammt aus einem kleinen europäischen Land und möchte seinen Namen hier nicht lesen – kühlt sich am Mustique-Mule im Silberbecher auf seiner weiten, weißen Terrasse. „Wir kommen seit Jahren. Weihnachten bis Neujahr ist unser Haus mit zwölf Personen, Familie und Freunden, gemütlich belegt. Den Rest der Zeit aber steht es leer. Die Feuchtigkeit greift die Möbel an, die Polster muffeln, das Personal ist arbeitslos.“ Einmal nur hier aufzuwachen kostet einen Mieter etwa 2.000 Euro. Das Problem sei, steigt die Gattin ein, dass man aber auch nicht jeden wolle. „Ein paarmal hatten wir diese ,Hedgefondies‘. Einer gab hier gleich eine Party für 200 Leute. Unsere Sofas – voll mit Sonnencreme und Bananenchips. Gut, bei unserem Mietpreis darf man vielleicht nicht so empfindlich sein, aber etwas Benehmen sollte man schon verlangen können.“ Inselsorgen. Nicht leicht, es allen recht zu machen. Die „newer people“, wie Roger sie nennt, möchten Action, Sushi, Shops, Disco, Golf, Dschungelbeleuchtung. Andere wollen bloß nichts ändern. „Ich lehne nichts von vornherein ab“, sagt der Chef. Nur eins steht fest: „Privatjets landen hier nur über meine Leiche. Ich will den Lärm nicht. Wer weiß außerdem, was dann so einfliegt?“
Als Tourist kann man sich im Hotel „The Cotton House“ einquartieren oder eben in einem jener 84 Häuser, die hier vermietet werden. Im „Palm Beach“ von Designer Tommy Hilfiger: Riesenatmosphäre durch Riesenbetten in Riesenschlafzimmern mit Riesenblick auf das Riesenmeer (L’Ansecoy Bay). Das „Plantation House“ (mietet immer Tom Ford) hat ballsaalgroße Terrassen; der Pool, so wirkt es, verschwimmt mit dem Meer dahinter. In Patrick Lichfields Villa „Obsidian“ im typisch geschnitzten „Gingerbread“-Kolonialstil von Bühnendesigner Oliver Messel: körbeweise Korbmöbel. In der ehemaligen Villa „Les Jolies Eaux“ von Prinzessin Margaret war mal alles pfirsichfarben.