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Lanserhof by Michaela Cordes | 4. Dezember 2020 | Personalities

Kann Architektur heilen? Findet man sich als Gast im Gesundheits-­resort Lanserhof wieder, scheint man die belebende Ruhe der reduzierten, sehr natürlich anmutenden Architektur mit allen Sinnen wahrzunehmen. Für jeden der Standorte gilt: Hier dreht sich alles um die Regeneration des Darms und die Präventivmedizin. Viel Holz, natürliche Farben, keinerlei Kunst an den Wänden, der Blick stets nach draußen gerichtet. Verantwortlich für die besondere Ästhetik ist der deutsche Architekt Christoph Ingenhoven. Nach Lans in Tirol, Tegernsee, Hamburg und London baut der Düsseldorfer gerade auf Sylt den bisher
aufwendigsten Lanserhof. Im Sommer 2021 soll er eröffnen.

Herr Ingenhoven – Sie bauen gerade den fünften Lanserhof. Wie kam es dazu, dass Sie sozusagen zum Hofbaumeister des Lanserhofs auserkoren wurden?
Christoph Ingenhoven: Die Zusammenarbeit begann im November 2011. Ich war damals schon mehrmals selbst Gast im Lanserhof gewesen, da rief mich Christian Harisch, der Besitzer der Lanserhof-Gruppe, eines Tages an und sagte, er säße am Flughafen in Athen und hätte gerade einen Artikel in der Zeitung über uns gelesen, es ging ihm um das Neubauprojekt am Tegernsee. Genau zwei Jahre später haben wir eröffnet, wir brauchten tatsächlich nur rund 24 Monate für Planung und Bauen. Anschließend haben wir den ursprünglichen Lanserhof in Lans erweitert und erneuert und im Sommer 2019 Dover Street eröffnet, eine Kooperation des Lanserhofs mit The Arts Club, London. Jetzt bauen wir auf Sylt, Mitte nächsten Jahres wollen wir eröffnen. Wir planen gemeinsam auch eine neue Form des Lanserhofs in der HafenCity
Hamburg. Es gibt darüber hinaus weitere, teils exotische Ideen für die Zukunft. Das geht vom Mittelmeer bis nach Asien, es waren auch schon Malibu und Montauk im Gespräch, aber man muss natürlich immer die Kapazitäten berücksichtigen. Für Christian Harisch und mich sind diese Projekte immer mit sehr viel Arbeit verbunden, da muss man aus den sich bietenden Möglichkeiten das Richtige heraussuchen.

Der erste Lanserhof wurde 1974 als Ferienhotel erbaut und hat sich seit 1984 zu einem bedeutenden Gesundheitszentrum in Österreich entwickelt. 1998 wurde der Lanserhof von den Unternehmern Anton Pletzer und Christian Harisch übernommen, 2009 stieß Stefan Rutter hinzu. Basierend auf der F.-X.-Mayr-Philosophie hat man hier über die Jahre das Lans Med Concept entwickelt sowie das Ernährungsprogramm Energy Cuisine. Die Gebäudeform des Lanserhof am Tegernsee in Deutschland erinnert an ein modernes Kloster. War das Ihre Inspiration?
Das kann man so sagen, in dieser schönen und berühmten Landschaft des Voralpenlandes mit seinen Seen und dem Blick auf die verschneiten Gipfel gibt es zwei traditionelle architektonische Großformen: das Kloster und den Gutshof. Beide sind um Innenhöfe herum angeordnet, zum Schutz vor Wind und Kühle. Am Tegernsee, oben auf dem Steinberg, haben früher Mönche gelebt, da ist man allein mit sich. Der Lanserhof dort ist ja ein großes Projekt.
70 mal 70 Meter, drei Geschosse hoch, ungefähr 17.000 Quadratmeter, 70 Zimmer, also durchaus verwandt mit einem Kloster. Das passte natürlich alles gut, weil man während der Kur auch eine Art klösterliches Dasein führt. Man fühlt sich, wenn man so hungert, anfangs auch mal nicht ganz so fit, und man hat vielleicht sogar ein bisschen schlechte Laune. Ich sage immer, wenn man als Paar dorthin fährt, muss man schon etwas gefestigt sein, sonst kommt zur Kur-Krise noch die Paar-Krise hinzu (lacht). Aber wenn man die ersten Tage überwunden hat, kommt desto mehr Energie zurück, man fühlt sich erneuert, erfrischt und gereinigt. Für dieses Gefühl nehmen die Gäste einiges auf sich.

Ich dachte, am Tegernsee kann man eher als Paar kuren als in Lans in Österreich. Weil dort doch so viel großzügiger gebaut worden ist.
Platz ist der Luxus, den wir den Gästen dort gewähren können. Zu essen gibt’s ja wenig, Alkohol, Zigaretten, Zucker auch nicht, also die üblichen Methoden, den Gast für sich zu gewinnen, hat man nicht. Und Platz hat natür­lich auch eine Auswirkung auf das Befinden. Nach dem Motto: „Lass mich mal in Ruhe, ich brauche eine Auszeit von allem.“ Aufgrund der Kur ist einem auch eher mal kalt, weil man anfangs weniger Energie hat. Man braucht daher eine gewisse Wärme, sitzt wahnsinnig gerne draußen in der Sonne und schläft auch draußen während des Tages. Man schläft eh mehr als sonst, das gehört ja auch zur Entgiftung. Entgiften ist anstrengend.

„Ich sehe mich weniger als Stilisten,
eher als jemanden, der an einer
Aufgabe mitwirkt.“ CHRISTOPH INGENHOVEN

Wie haben Sie das architektonisch aufgefangen?
Jedes Zimmer, sogar die Bäder, haben alle eine Loggia. Man kann daher geschützt unter einem Dach draußen sitzen und auch schlafen, dort ist man auch vor Blicken geschützt. Das haben wir beim Badehaus in Lans dann auch übernommen, und das machen wir jetzt auch auf Sylt so, wo wir jedem Gast seinen privaten kleinen Außenraum geben, eine Art Privat­terrasse, eingeschnitten im Reetdach. Das funktioniert sehr gut, man ist ein wenig für sich. Es sind drei Seiten geschlossen, und nach vorn schaut man auf Sylt zum Meer oder in die Düne, am Tegernsee auf den See. Das ist ein bisschen der räumliche Luxus dort.

Inwiefern helfen die Materialien, die Sie im Lanserhof verwenden, bei dem Entgiftungsprozess?
Wir erhalten die Beziehung zur Natur stets aufrecht, selbst wenn man sich als Gast während der Kur viel drinnen aufhält. Man wird ja viel untersucht, behandelt und geht anderen Aktivitäten nach, macht Sportübungen oder schwimmt. Übrigens haben wir ganzjährig einen Salzwasser-Pool im Freien. Wir haben dafür gesorgt, dass, wer drinnen ist, trotzdem immer draußen sein kann. Der Blick ist offen, alles ist großzügig verglast, man kann die Türen öffnen und sich draußen aufhalten. Dann gibt es ein zweites Thema: Man möchte natürlich nicht konfrontiert werden mit den normalen Genüssen des städtischen oder ländlichen Lebens. Der Lanserhof am Tegernsee etwa liegt inmitten eines Golfplatzes, aber man sieht die Golfspieler nicht. Wir wollten verhindern, dass da Leute vorbeiziehen, die auf einmal die Butter­stulle auspacken. Essensgerüche, zum Beispiel aus der Küche, wollen wir auf gar keinen Fall im Lanserhof. Während des Tages Schnitzel­geruch? Braucht man nicht! Wir erlauben dem Gast Cocooning auch in seinem privaten Bereich. Das kleinste Zimmer ist 54 Quadratmeter groß, da kann man sich schon bewegen. Ebenso haben wir reichlich Platz in den öffentlichen Räumen, daher haben wir überhaupt kein Problem mit Corona. Weil wir sehr großzügig Distanz halten können. Es hilft natürlich auch, dass die Lanserhöfe stets Kliniken sind. Also den Standards entsprechen, die man für solch eine Klinikzulassung braucht. Wir durften daher auch während des Lockdowns offen sein. Das Restaurant oder die Terrasse sind nicht voll­gestopft, die Lounge ist riesig. Es ist alles groß. Und alle Materialien sind, was sie sind. Holz ist Holz, Metall ist Metall, „what you see is what you get“. Es gibt keine Verkleidungen, alles ist wirklich und unverstellt, man könnte auch sagen, alles ist auf das sinnvolle Minimum reduziert. Wir sagen: „Wenn du etwas wegnimmst bei unserer Architektur, dann ist ein Loch drin.“

Wovon haben Sie sich persönlich inspirieren lassen, als Sie angefangen haben mit dem Konzept für den Lanserhof? Gibt es eine Corporate Identity, die Sie mit Ihrer Architektur geschaffen haben?
Die Architektur ist stets vom jeweiligen Ort inspiriert. Von traditionellen Bauformen und den wertvollen Erfahrungen, die Menschen am Ort mit dem Klima und den verfügbaren Materialien gemacht haben. Wir interpretieren diese immer kontemporär, auch radikal neu. Wir verwenden gesunde, nicht emittierende Materialien, helle Eichenfußböden, naturfarbene Stoffe, weiße Decken. Keine Dekoration, keine Kunst, aber goldene Vorhänge. Moderne klare Möbel der besten Designer, oft die meines Freundes Antonio Citterio. Wir gestalten alle Gärten zusammen mit meinem Freund Enzo Enea. Wir geben schon Geld aus, aber die Zimmer sehen nicht danach aus, das sind alles gute Materialien, aber durchaus zurückhaltend, und es sind auch nicht die teuersten Materialien. Angemessenheit ist das Wort, das unseren Anspruch gut beschreibt.

„Wir bauen seit 30 Jahren nachhaltig.
Aber mit Corona hat sich das Bewusstsein
noch mal verschärft.“ CHRISTOPH INGENHOVEN

Das passt alles in unsere Pandemie-Zeit. Wo wir uns plötzlich bewusst werden, dass wir gar nicht so viel brauchen, um glücklich zu sein. Diese wohltuende Reduktion zelebrieren Sie schon seit einigen Jahren mit dem Interieur Ihrer Lanserhöfe.
Das ist eine wichtige philosophische und persönliche Frage für mich als Architekt. Nehmen wir als Vergleich die Boote, mit denen um den America’s Cup gesegelt wird. Bei denen gibt es nicht die kleinste Kleinigkeit, die über das absolut notwendige Minimum hinaus hinzugefügt wird. Einen solchen Segler würde man niemals dazu kriegen, auch nur zu viel Lack auf sein Boot zu packen, geschweige denn irgendwelche Verzierungen; der wird sich um jedes Gramm kümmern. Und am Ende, wenn diese Boote eine Weile entwickelt und verbessert wurden, wenn sie ihre Leistungsform, wie ich das nenne, erlangt haben, dann sind sie sehr schön. Wie kann etwas so schön sein, an dem gar nichts Unnötiges dran ist? Ja, genau – deswegen sind sie ja so vollendet. Ich glaube daran, es gibt eben sehr schöne Dinge, an denen nichts Überflüssiges dran ist. Wenn wir an unseren Häusern nichts mehr weglassen können, dann sind wir fertig. Es ist wie bei einem Maler, der genau wissen muss, wann er aufhört, wann das Bild fertig ist, sehr schwierig.

Ist die Reduktion auf das Wesentliche immer schon Ihre Philosophie gewesen, bevor Sie den Lanserhof übernommen haben? Oder hat sich das so mit den Lanserhof-Projekten entwickelt?
Das war immer da, aber es hat ein bisschen eine andere Ausprägung bekommen, speziell der Lanserhof ist ja ein Ort für „Staycations“. Die Leute sind nicht nur für ein paar Tage dort, sondern für zehn, vierzehn Tage, manche sogar länger, viele kommen jedes Jahr wieder. Daher muss das Ganze Bestand haben, etwas Zeitloses, das man sich in zehn, zwanzig Jahren immer wieder ansehen kann. Dazu kommen Nachhaltigkeits- und Gesundheitsaspekte. Alle Materialien, auch alle Bauorte werden von Baubiologen und von Rutengängern, also Menschen, die sich mit Magnetismus auskennen, geprüft.

Das machen Sie auch alles?
Ja, klar, das nehmen wir alles sehr ernst. Es gibt auch viele nicht beweisbare Dinge. Ich bin jetzt nicht der große Esoterik-Fan, aber es gibt ja Dinge wie etwa Störungen im Magnetfeld, die sind objektivierbar, und damit muss man sich beschäftigen. Dazu versuchen wir auch stets auf die örtlichen Kulturen einzugehen. In Bayern ist das eine großzügige Landschaft, eine landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft. Der große Hof, die strenge Form, unbehandeltes Lärchenholz. Das wird langsam grau und fügt sich, meiner Ansicht nach, sehr schön in die Landschaft ein.

Und jetzt auf Sylt? Die Friesen sind ja auch so ein Volk für sich.
Ja, das ist vergleichbar. Diese seefahrenden, strandräuberischen Friesen! Das war gar nicht so einfach, man hat dort ein durchaus gesundes Misstrauen Investoren gegenüber, aber ich habe sie dann doch auch als sehr hilfsbereit empfunden, da sind Freundschaften entstanden. Die haben uns wirklich willkommen geheißen. Und es war ja sehr, sehr schwierig, dort zu bauen. Man darf nicht vergessen: In all den Fällen, in denen wir bauen, haben wir es mit komplizierten Bauplätzen zu tun. Und auf Sylt gab es da kein gewöhnliches Baurecht. Das ist ein ehemaliges Offiziersheim mit Offiziersunterkünften der Deutschen Marine, 1934 gebaut. Da hatte man offenbar das Gefühl, man müsse sich gegen drohende Überfälle aus Dänemark wappnen, und hat damals einige Tausend Angehörige der Marine auf Sylt stationiert. Der Stil dieser Häuser ist ja so ein bisschen Sylt plus „Blut und Boden“-Architektur. Säulen vor großem Reetdach, solche Geschichten, wo man denkt, was haben die jetzt hier zu suchen? Das alles stand komplett unter Denkmalschutz. Zusätzlich haben wir dort Küstenschutz, Dünenschutz, Naturschutz und Vogelschutz.

Wahnsinn! Das klingt nach einer echten Herausforderung.
Wir haben diese ganzen Schutzziele gegenüber dem politisch gewollten Vorzeigeprojekt abwägen müssen, dem wurde stattgegeben. Wir konnten einen Teil der Gebäude durch Neubauten ersetzen. Teilweise im gleichen Volumen, teilweise auch größer. Das große Offiziersheim restaurieren wir und ergänzen es nur dort, wo es bereits zerstört war. Ein Unterkunftsgebäude durften wir abreißen und wesentlich größer wieder aufbauen, als Hauptgebäude des Lanserhofs. Ein Vorschlag unsererseits war, ein Reetdach zu bauen, was ich faszinierend finde, denn Reet wollte ich immer schon einmal verwenden; ein Material, das freie, geschwungene Formen ermöglicht. Und dann sind wir hergegangen und haben das wie ein richtiges Friesenhaus konzeptioniert. Die Friesen haben ihre Häuser mit maximal einem, sehr niedrigem Geschoss gebaut. Wenn man von Weitem schaut, geht die Düne direkt in das Dach über, das machen wir hier auch.

„Wenn wir nichts mehr weglassen können,
dann sind wir fertig.“ CHRISTOPH INGENHOVEN

Das Thema „nachhaltige, gesunde Architektur“ beschäftigt Sie schon länger. In Düsseldorf eröffnet gerade Ihr jüngstes Projekt: der Kö-Bogen II. Ein Shoppinggebäude mit über 30.000 Heckenpflanzen, wohl „Europas größte Grünfassade“. Hat sich dieser Trend, gesund bauen zu wollen, mit Covid-19 verstärkt?
Ja, Fondsanleger fordern schon länger Häuser mit Umweltzertifikaten. Aber Corona hat das Bewusstsein nochmals verschärft. Es ist wirklich so, dass viele internationale Großkonzerne und Großmieter heute als Erstes sagen: „Übri­gens, ist ja wohl völlig klar, es muss bitte das höchste Green-Building-Label haben“, dann fangen die überhaupt erst an zu reden. Das hat durch Corona noch mal eine ganz andere Selbstverständlichkeit gewonnen, und auch durch Fridays for Future ist enormer Druck von der nächsten Generation entstanden.

Sie haben selbst fünf Kinder – spüren Sie selbst diesen Druck?
Ja, ich habe fünf eigene Kinder und mit meiner Partnerin noch zwei mehr. Es sind sieben zwischen 18 und 32 Jahren, dazu mittlerweile drei Enkelkinder, der Druck ist also erheblich. Obwohl ich mich ja immer für vorbildlich halten würde (lacht). Aber die finden immer wieder eine Menge Punkte, wo sie nachhaken, wie: „Bist du vegetarisch oder vegan, oder isst du gar immer noch Steak?“, „Du fährst zu schnell Auto!“ oder „Du fährst das falsche Auto“ oder „Du fährst überhaupt Auto“ oder „Du fliegst ja noch!“.

Sind das zwei verschiedene Themen? Ob man nachhaltig baut, gesund für den Planeten? Oder gesund für mich selbst als Individuum?
Man muss heute beide Aspekte berücksich­tigen, biologisch und ökologisch. Das böse Beispiel ist Styropor. Wenn man es einmal hergestellt hat, ist es eigentlich okay, aber die Herstellung ist grausam. Also, kann okay für mich sein, ist aber nicht gut für den Planeten – diese Unterscheidung darf man nicht mehr machen. Das Thema nachhaltiges Bauen, das wir mit dem Begriff „supergreen®“ für uns beschreiben, ist insgesamt kein leichtes. Wir machen das seit über 30 Jahren, und wir haben uns immer bemüht, ganz weit vorn dabei zu sein. Was wir aber vor 20 Jahren weit vorn fanden, das ist mittlerweile selbstverständlich. Also, es bleibt spannend, und es bleibt anstrengend, vorn dabei zu sein, aber es macht Spaß.

Sie kommen aus einer Architektenfamilie. Stand für Sie immer fest, dass Sie ebenfalls in die Architektur gehen würden?
Kurz bevor ich mich damals für ein Architekturstudium entschieden habe, bin ich noch mal in Versuchung gekommen und wollte Meeresbiologie studieren, aber dann habe ich mich doch für Architektur entschieden. Mein Vater war Architekt, einer meiner Brüder ist Architekt, in erster Ehe war ich mit einer Architektin verheiratet und hatte einen Architekten zum Schwiegervater, nicht ungefährlich! Ich habe dann lieber ganz früh mit 25 Jahren mein eigenes Büro gegründet.

Gibt es Privatkunden, die zu Ihnen kommen und Sie bitten, weil Sie die Lanserhöfe geprägt haben: „Bau mir mal ein Haus, das mich gesund hält“?
Das ist noch nicht passiert – nein (lacht). Ich habe genau zwei Einfamilienhäuser in meinem Leben gebaut, eins für einen sehr guten Freund, der auch noch ein Freund ist, in Zürich, und eines für mich selbst auf dem Land bei Düsseldorf. Ich baue allerdings jetzt noch mal ein Haus für uns im Engadin, es wären dann also drei. Wir haben natürlich auch Aufträge abgelehnt. Die Botschaft, die wir nach draußen senden, ist ja nicht: „Komm und frag mich, ob wir dir ein Einfamilienhaus bauen“ (lacht). Das ist für uns als Architekturbüro in unserer Größe wirtschaftlich eher schwierig.

Sie sind derzeit in Deutschland und Japan, Hongkong, Singapur, Australien, der Schweiz und Großbritannien aktiv. Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie in Ihrem Büro in Düsseldorf?
Es sind derzeit um die 125 Mitarbeiter in Düsseldorf und Singapur, die an insgesamt mehr als
40 Projekten arbeiten, außerdem gibt es noch rund 20 Wettbewerbe pro Jahr, an einem Projekt arbeiten zwischen zwei und 20 Mitarbeiter.

Gibt es Architekten, die Sie selbst sehr bewundern oder die Sie inspirieren bei Ihrer Arbeit?
Richard Neutra, Charles Eames, Albert Frey, John Lautner, Frei Otto, Jørn Utzon, Glenn Murcutt und viele mehr. Am meisten aber bewundere ich Architekturen, die nicht von Architekten entworfen wurden: Bauernhäuser, Scheunen, Zelte. Für mich zählt nicht so sehr eine bestimmte Form, sondern eine offene, experimentelle, nicht deterministische Herangehensweise, die schätze ich sehr. Ich habe viel Sympathie für diejenigen, die vielleicht auch mal auf der Kante balancieren zwischen populär, elitär und intellektuell.

„Auf Sylt bauen wir ein Haus mit Reetdach. Das war schon
immer mein Traum.“ CHRISTOPH INGENHOVEN

Frank Gehry erzählte mir mal im Interview, er sähe sich mehr als Künstler und völlig missverstanden und nicht akzeptiert von der Architektenwelt. Ein Richard Meier dagegen betrachtet sich ganz streng als Architekt und will nicht als Künstler verstanden werden. Wo sehen Sie sich?
Das sind nicht meine Sorgen. Als Stilisten, der mit einem starken Konzept im Gepäck kommt und überall mehr oder weniger das Gleiche baut, sehe ich mich gar nicht. Das ist für mich ein veraltetes Konzept, das ist nicht mehr das, was wir in Zukunft brauchen. Ich sehe mich eher als jemanden, der an einer Aufgabe mitwirkt. Nämlich diese Welt für die Menschen, die auf ihr leben, weiter zu ermöglichen. Durchaus komfortabel, aber vielleicht braucht es eine neue Definition von Komfort statt der, die wir bisher hatten. Man sollte sich stets gut verständlich ausdrücken, auch und gerade architektonisch. Man sollte das, was man tut, auch erklären können und darüber einen fruchtbaren Dialog führen können. Viele denken, das Nichterklären und die Unerklärlichkeit seien ein Qualitätskriterium. Das ist meines Erachtens Unsinn. Die Zeit der einsamen Gestalter ist definitiv vorbei, es werden dringend dialogische, offene, erklärbare und nachprüfbare Konzepte gesucht.

Sie leben und arbeiten in Düsseldorf. Die Düsseldorfer Schule hat interessante Persönlichkeiten und Künstler hervorgebracht. Spüren Sie diese Energie, wenn Sie in Ihrem Büro sitzen?
Ja! Da gab und gibt es eine sehr lebendige Szene, Marius Müller-Westernhagen, Die Toten Hosen, Kraftwerk, Wim Wenders, Zero, Charles Wilp, Immendorff, Lüpertz, Richter, Beuys, die Düsseldorfer Fotografen und so viele mehr. Das Rheinland ist kulturell anders als andere Teile Deutschlands, stark romanisch-französisch geprägt. Nicht nur durch die Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg, sondern natürlich schon durch die Jahrzehnte unter napoleonischer Regierung und die 400 Jahre als römische Kolonie. Wir leben in Symbiose mit den Niederlanden, Belgien und Luxemburg, das prägt. Es gibt eine Offenheit und Liberalität, die die Menschen hier prägt und die es unseren Mitarbeitern, die aus sehr vielen unterschiedlichen Ländern stammen, leicht macht, sich hier zu Hause zu fühlen.

„Durch die Fridays-for-Future-Bewegung ist ein enormer Druck
von der nächsten Generation entstanden.“   CHRISTOPH INGENHOVEN

Sammeln Sie selbst Kunst?
Ja, ich sammle ein wenig Fotografie, das liegt vielleicht bei einem Düsseldorfer nahe. Das hat damit angefangen, dass man mir ein bedeutendes Foto von Thomas Struth anstelle einer Mietzahlung anbot, als Naturalmiete. Das hat sich dann noch einmal wiederholt, aber diesmal war es Malerei. Und da mir diese Bilder nicht so sehr gefielen, habe ich sie gegen Fotografien getauscht. Daraus ist dann eine Begeisterung für Fotografie entstanden. Die hatte mich zwar immer schon interessiert, aber eben nicht so intensiv, und seitdem mache ich das. Ich bin kein großer Sammler, aber mir macht es Spaß. Ich mag die Großformate der Düsseldorfer. Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Axel Hütte, aber ich bin auch – das gilt genauso für Literatur – ein großer Verehrer amerikanischer Künstler. Stephen Shore, Saul Leiter, Richard Prince, Irving Penn. Mich begeistern spezielle Dinge. Irving Penn ist ja ein sehr berühmter Modefotograf gewesen, aber ich sammle von ihm keine Modefoto­grafie, sondern Blumen. Ich sammle ein wenig Hiroshi Sugimoto, ein Japaner, der Ozeane fotografiert, und die Blumenbilder von Nobuyoshi Araki. Ich habe eine Zeit lang auch politische Reportage-Fotografie gesammelt, das tue ich auch immer noch, aber dieses Sujet ist nicht so leicht zu sammeln, weil es nicht so viel auf dem Niveau gibt, wie ich das mal angefangen habe. Robert Capa zum Beispiel, Fotografien aus dem Spanischen Bürgerkrieg und von der Landung der Alliierten in der Normandie. Oder die Arbeiten von Josef Koudelka, ein tschechischer Fotograf, der während der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Russen fotografiert hat. Oder Fotos aus dem Vietnamkrieg, vom Attentat auf Robert Kennedy und vieles andere mehr. Ich sammle nur, wenn mir das betreffende Bild wirklich persönlich etwas bedeutet. Und wenn es in der außerordentlichen Qualität angeboten wird, die die Abzüge immer haben sollten. Es ist also alles radikal subjektiv. Es ist auch mit einem gewissen investigatorischen Aufwand verbunden, sich in dieser Szene zu orientieren, aber ich lerne dazu.

Eine letzte Frage. Haben Sie irgendeinen Traum, den Sie sich erfüllen möchten – ein Gebäude an einem bestimmten Ort zu bauen?
Als jemand, der Hochhäuser baut, will man natürlich ein Hochhaus in New York bauen, das wäre der Ritterschlag. Allerdings ist New York eine sehr von Geld und vom Geldverdienen geprägte Stadt, die nicht unbedingt die beste Architektur hervorbringt. Unsere Projekte brauchen eine Sorgfalt und auch eine Hingabe zum Detail. Das wäre schwer durchsetzbar in einer vom kommerziellen Bauen geprägten Stadt. So ein Projekt ist uns bis jetzt noch nicht angeboten worden, aber vielleicht klappt es ja noch …

Issue1/21
City/CountryGErmany/Sylt
PhotographyAlexander Haiden; Portraits: Mark Seelen