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Jochen Zeitz by Steffi Kammerer | 5. März 2021 | Personalities

Jochen Zeitz ist ein Meister darin, sich neu zu erfinden. Als Puma-Chef beeindruckte er mit Superlativen, in Afrika gründete er ein hochkarätiges Museum und eine Öko-Lodge, nun soll er Harley-Davidson in die Zukunft führen.

Es gibt Begegnungen, die verändern ein ganzes Leben. Manchmal sofort, manchmal dauert es eine Weile. Und der Zeitpunkt muss stimmen. Als Jochen Zeitz, damals Puma-Chef, auf den Benediktinerpater Anselm Grün traf, war die Zeit reif. Er hatte in der Wirtschaft erreicht, was man nur schaffen konnte, war mit fast zehn Millionen Euro Jahresgehalt Deutschlands bestbezahlter Manager. Aber ihn trieben lange schon Fragen um, die weit über den Kontostand hinausgingen.

Kennengelernt hatten sie sich im Sommer 2008, bei einer Podiumsdiskussion im Nürnberger Presseclub. Hier der Mönch in Ordenstracht, da der Boss eines globalen Unternehmens, die schnell bemerkten, dass sie viele Werte und Interessen teilten. Der Pater schlug Zeitz vor, eine Woche in seinem Kloster zu verbringen. Der Puma-Chef folgte der Einladung. Stand morgens um 4.30 Uhr auf, betete mit den Mönchen. Die beiden begannen einen intensiven Dialog, bald verfassten sie ein gemeinsames Buch – „Gott, Geld und Gewissen“ –, es erschien 2010. Kurz darauf veränderte der Manager alles, was in seinem Leben bisher gegolten hatte. Er verließ den Chefsessel bei Puma, nach 17 Jahren. Und er ließ sich scheiden, nach mehr als 18 Jahren Ehe. Natürlich ist der Neuanfang nicht allein dieser einen Begegnung zuzuschreiben – aber sie hat etwas ausgelöst.

Jochen Zeitz kam 1963 in Mannheim zur Welt. Beide Eltern waren Ärzte, die Vorfahren genauso, eine stolze Familientradition seit dem 16. Jahrhundert. Und so begann auch er zunächst ein Medizinstudium. Dann aber brach er das erste Mal aus. Sattelte um auf Wirtschaft. Von da an ging es geradlinig weiter, deutlich auf der Überholspur. Bei Colgate-Palmolive in New York lernte er, wie erfolgreiches Marketing geht. Und dann, kaum 30 geworden, übernahm er 1993 den fränkischen Sportartikelhersteller Puma. Damals alles andere als eine Luxusmarke, das Unternehmen war so gut wie bankrott, das Image lausig. Zeitz aber reizte die Herausforderung. Angst hatte er keine, selbsbewusst war er immer.

Einen jüngeren Chef eines börsennotierten Unternehmens hatte es in Deutschland nie gegeben, „just out of kindergarten“, spottete die „Financial Times“. Die Kritiker aber verstummten schnell. Zeitz krempelte den angeschlagenen Konzern um, zweistellige Wachstumsraten wurden zur jährlichen Normalität, schnell folgte ein Rekord auf den nächsten. Sneakers als Fashion-Statement, damit hatten die Rapper angefangen, Zeitz erkannte den Trend als einer der ersten, machte aus seinem Unternehmen eine weltweite Lifestylemarke. Madonna, Brad Pitt, Leonardo DiCaprio fingen an, Puma zu tragen, Alexander McQueen und Jil Sander designten Kollektionen für Zeitz.

Sein Privatleben schien so sortiert wie seine sagenhafte Karriere. Mit seiner langjährigen Ehefrau Birgit lebte er – wenn er mal nicht durch die Welt jettete – in Nürnberg, völlig zurückgezogen. Es findet sich kein gemeinsames Foto aus all den Jahren, keine Schlagzeilen in der Klatschpresse, keine Talkshow-Auftritte. Nur mustergültige Bilanzen.

Doch Jochen Zeitz hatte begonnen, mehr und mehr über die wirklich großen Linien nachzudenken. Für Puma ließ er 2010 als erster Konzern eine Ökobilanz erstellen, eine schonungslose Gewinn- und Verlustrechnung. Er kam auf globale Umweltschäden in Höhe von 145 Millionen Euro, die sein Unternehmen verursacht hatte. „Es ist Zeit, die Geschäftsmodelle zu ändern“, schlussfolgerte er damals und legte sich fest, in der Herstellung zukünftig viel stärker auf Nachhaltigkeit zu achten.

Zeitz bezeichnet sich als Hobbypsychologen, er hat Kant, Freud und Schopenhauer gelesen, Konfuzius und Sartre, hat Zen-Meister und Schamanen studiert. Und irgendwann war klar: Nein, er wollte nicht länger nur Turnschuhe verkaufen – er wollte den Planeten retten, echte Visionen umsetzen. Nachdem er das Unternehmen verlassen hatte, wurde er zunächst Nachhaltigkeitsbeauftragter beim Pariser Luxusgüterkonzern PPR, heute Kering. Innerlich aber zog es ihn nach Afrika, einen Kontinent, der ihn schon seit Jahren faszinierte. Bald verbrachte er die Hälfte seiner Zeit hier. Schon 2005 hatte er eine 200 Quadratkilometer große Fläche auf dem kenianischen Laikipia-Plateau gekauft, dreimal so groß wie Manhattan, 45 Flugminuten von Nairobi entfernt. Aus ein paar heruntergekommenen Gebäuden entwickelte er eine luxuriöse Öko-Lodge: „Segera“. Acht hölzerne Pavillons auf Stelzen, mit einem einmaligen Blick über die Savanne. Nachts hört man Löwen und Hyänen brüllen, vom Liegestuhl aus sieht man Elefantenherden, Büffel, Leoparden, Zebras und Gazellen.

Seinen Afrika-Traum inszeniert Zeitz bis ins Detail. An den Wänden alte Hemingway-Briefe und Fotos, selbst das berühmte Flugzeug aus dem Film „Jenseits von Afrika“ gehört zu „Segera“, er hat es auf einer Auktion ersteigert und restaurieren lassen. Einen Pilotenschein hat einer wie er natürlich auch, er steuert die Maschine am liebsten selbst. Die wartenden Angestellten begrüßt er in ihrer Sprache, er hat sich mit CDs selbst Suaheli beigebracht. Ein halbes Dutzend andere Sprachen kann er außerdem.

Schon 2008 hatte Jochen Zeitz eine Umweltstiftung gegründet, die seinen Namen trägt und die Bewahrung der weltweiten Ökosphäre zum Ziel hat. Tourismus spielt dabei eine wichtige Rolle – „Segera“ wurde zum nachhaltigen Vorzeigeprojekt der Stiftung. Mit Solarstrom und eigener Abwasseraufbereitung, für Reisende mit endlosen Ressourcen, die bereit sind, für ein gutes Gewissen sehr viel Geld zu bezahlen.

Jochen Zeitz hat sich in der Lebensmitte neu erfunden. Er wurde nicht nur Rancher, sondern auch Kunstmäzen, im Hafen von Kapstadt eröffnete er ein spektakuläres Museum auf sieben Etagen, weltweit eins der wichtigsten für zeitgenössische afrikanische Kunst. Schon 2012 gründete er mit Richard Branson das B-Team, eine Non-Profit-Organisation, die ein Umdenken unter Topmanagern erreichen will. Weg vom kurzfristigen Gewinndenken, hin zum langfristigen Wohl der Menschen, des Planeten und eben auch der Wirtschaft.

Das alles sei sein „zweites Lebenswerk“, erklärte Zeitz vor ein paar Jahren. Und er sagte den schönen Satz: „Achte darauf, dass du nicht dein Leben lang eine Leiter hochkletterst, nur um festzustellen, sie steht an der falschen Wand.“ Auch optisch hat er sich verändert. Die Haare sind länger, er trägt einen 7-Tage-Bart und Koteletten. Und er hat wieder geheiratet. Seine zweite Frau ist eine britische Filmproduzentin. Die beiden haben zwei kleine Kinder, sie haben sie benannt nach den legendären amerikanischen Banditen Frank und Jesse James. Zeitz ist großer Wildwest-Fan und in seinem Kern ein Abenteurer.

Er war, so schien es, völlig und für immer ausgestiegen aus der Welt der Hierarchien und Konferenzräume. Dann aber kam Harley-Davidson auf ihn zu. Zeitz sitzt seit 2007 im Aufsichtsrat des Motorradherstellers aus Milwaukee. Seit 2015 waren die Verkaufszahlen des Unternehmens geschrumpft, Harley war nicht mehr angesagt, die jüngere Zielgruppe interessierte sich nicht mehr für die Maschinen, die Peter Fonda in „Easy Rider“ unsterblich gemacht hatte, laute und teure Benzinschleudern, das passte so gar nicht mehr in die Zeit.

Im Februar vergangenen Jahres räumte der langjährige CEO seinen Posten. Sein Nachfolger wurde Zeitz, es sollte aber, so hieß es zunächst, eine Übergangslösung sein. Dann, drei Monate später, wurde er ganz offiziell und dauerhaft zum Harley-Boss erklärt. Der Europäer soll die uramerikanische Marke in die Zukunft retten. Millennials erreichen, Motorräder wieder cool machen, das geht vor allem über gute Ideen und glaubhaftes Storytelling. Und das kann keiner besser als Zeitz mit seiner ungewöhnlichen Geschichte.

Er ist frei. Er macht die Regeln. An ein Büro ist er nicht gebunden.

In einem zentralen Punkt passt er hervorragend zum Image von Harley: Er ist beneidenswert frei. Galt er früher als Mr Puma, so ist er heute vor allem eins: Jochen Zeitz. Er macht seine eigenen Regeln. Sein Instagram-Account sieht so aus, als könne er auch nach seiner Rückkehr in die Vorstandswelt sehr autark entscheiden, wo er sich gerade aufhält. Mal ist er mit der ganzen Familie in Kenia, mal auf seiner Ranch in Santa Fe, New Mexico. Zwischendurch macht er auch mal Station in Milwaukee, aber Zeitz hat schon vor zehn Jahren in einem Interview gesagt: „Ich bin ein virtueller Arbeiter. Ich bin nicht an ein Büro gebunden.“

Trotzdem, er ist bekannt für sein Mikromanagement. Bei Puma, so heißt es, hat er sich jede Reisekostenabrechnung vorlegen lassen. Und was ihm am Herzen liegt, das verfolgt er. Schon 2011 hat er auch bei Harley ein Nachhaltigkeits-Komitee ins Leben gerufen. Das Modell „LiveWire“, das erste Elektromotorrad von Harley-Davidson, hat noch sein Vorgänger auf den Markt gebracht, im September 2019. Allerdings war Zeitz sehr deutlich an dieser Entwicklung beteiligt. Mit seiner Hilfe wurde in Milwaukee ein ganz neuer Freiheitsbegriff definiert. Die Freiheit nämlich, in einer intakten Umwelt zu fahren. „Wir glauben, Elektrik muss eine wichtige Rolle in der Zukuft von Harley-Davidson spielen“, sagt Zeitz.

Bisher hat der neue Chef rund 700 Stellen gestrichen, Entscheidungsprozesse abgekürzt, das Unternehmen verschlankt. Dass er erfolgreich sein wird, das scheint ihm ganz sicher. Am Tag nachdem er CEO wurde, hat Jochen Zeitz Harley-Aktien im Wert von mehr als zwei Millionen Dollar gekauft.

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