Roadtrip by Julia Dettmer | 5. März 2021 | Destinations
Der Roadtrip erfuhr durch die Pandemie ein Comeback, Ferien im Campingbus sind der letzte Schrei. Haben Sie Lust auf eine Tour durch Italien? Unsere Autorin hat es vorgemacht. Ganz entspannt folgte sie ihrem eigenen Takt.
Es ist vier Uhr morgens, gleich beginnt es zu dämmern. Mein Mann und ich kriechen schlaftrunken aus dem Bett, die Kaffeemaschine rattert, langsam erwachen unsere Lebensgeister. Wir haben Großes vor, die Koffer sind gepackt: Für unsere Sommerferien heben wir nicht ab, sondern bleiben am Boden – im Auto durch Italien.
Schon gebe ich unser erstes Ziel ins Navi ein: Venedig. Natürlich vertippe ich mich erst mal vor Aufregung. Dann rechnet das Gerät und spuckt eine Route über Salzburg aus. In gut fünf Stunden sollen wir da sein. „Fünf Stunden im Auto, und wir fahren direkt rein in ein ganz anderes Lebensgefühl“, freue ich mich, während ich mich mit meinem neun Monate großen Babybauch auf dem Beifahrersitz einrichte. Das hier ist unser Babymoon, das letzte Mal Dolce Vita zu zweit. Deshalb sollte es mal was anderes werden als der übliche Strandurlaub. Vor zwei Jahren hatten wir unsere Roadtrip-Kompatibilität in den Südstaaten der USA schon erprobt. Da war das Gefühl allerdings ein anderes, weil wir ja trotzdem mit dem Flugzeug anreisen mussten und die Ferien eben nicht an der Autotür in München begannen.
Für mich hat das Fliegen zwei Vorteile: Man weiß beim Einsteigen, erstens wo und zweitens wann man ankommt. Spontaneität muss man allerdings daheim lassen. Und auch sonst ist alles ziemlich beschränkt: die Gepäckmenge, das Essen, der eigene Radius. Platztechnisch habe im Auto nur ich Probleme wegen des Bauchs, unser übersichtliches Gepäck war im Kofferraum schnell verstaut. Noch während der Morgendämmerung lassen wir Deutschland hinter uns, zum Sonnenaufgang durchkreuzen wir Österreich, und an unserem ersten Urlaubsmorgen sind wir schon angekommen im Land, wo die Zitronen blühen. Bei mir stellt sich mit den ersten italienischen Ortsnamen ein richtiges Feriengefühl ein. Venezia und Verona klingen einfach besser als Regensburg und Rosenheim.
Kilometer für Kilometer sinke ich tiefer in den Autositz. Die mediterranere Vegetation fliegt am Fenster vorbei, Säulenzypressen, Pinien, Mohn- und Sonnenblumenfelder wechseln sich ab. Über allem spannt sich ein kräftig blauer Himmel, und meine Gedanken gleichen mehr und mehr den luftigen kleinen Wölkchen. Sie fliegen einfach an meinem Hirn vorbei, ohne sich zu verhaken, ohne mich zu stressen. Noch so ein Vorteil: Man kann sich ungestört unterhalten. So viel gequatscht wie auf diesem Roadtrip haben mein Mann und ich lange nicht mehr. Und so viel geschwiegen auch nicht. Nicht umsonst heißt es, dass man mit seinem Partner nicht nur reden, sondern auch schweigen können soll.
Dann startet unsere Städtetour. Die Touristenmagneten Venedig, Florenz und Siena lassen sich ohne jegliche Menschenansammlungen gemütlich erkunden, sodass genug Zeit für das eigentlich Reizvolle an einer Autoreise bleibt: Abstecher aufs Land in die verschlafenen Städtchen und Dörfchen, in denen man den italienischen Charme wirklich erleben kann. San Gimignano, Montalcino und Montepulciano, herrliche Orte für Brunello-Weinproben (natürlich nur für meinen Mann), Pasta und viele kleine Auszeiten. Den Geschmack des frischen italienischen Büffelmozzarellas versuche ich immer noch wiederzufinden. Einmal brausen wir einfach Richtung Meer, schließlich ist es in Italien nie weit weg. Wir wurden ein richtig gutes Roadtrip-Team. Mein Mann lenkte uns zielsicher durch die Campagna und über die engsten Serpentinen der hügeligen Landschaft, ich sorgte für Getränke und die richtige Musik. Zu Italo-Pop über die leeren Landstraßen fegen, Fenster runter, Sonnenbrille rauf, dabei noch nicht wissen, wo man am Abend schläft – entspannter und individueller bin ich noch nie gereist. Unabhängiger auch nicht. Kein nerviges Einchecken, keine strengen Boardingzeiten, einfach kein Raster, in das man passen muss, sondern stattdessen beliebig viel Rasten.
Angenehm: In unserem Transportmittel waren wir die einzigen Passagiere, während im Flugzeug fremde Ellbogen die eigenen streifen und sich jeder auf seinem begrenzten Platz möglichst anonym einigelt. Bei uns im Auto gab es nur absolutes Vertrauen, sodass ich immer mal wieder ein Erholungsschläfchen einlegen konnte.
Wir waren im letzten Jahr längst nicht die Einzigen, die ihr Ferienglück auf den Straßen fanden. Da Corona fast alle Reisepläne vereitelte, sattelten unerwartet viele aufs Automobil um, die Campingbranche meldete Rekordumsätze. Bei Airstream erhöhte sich laut Geschäftsführer Armin Heun in Deutschland die Nachfrage um ganze 20 Prozent, sodass die schnittigen silberfarbenen Wohnwagen im Frühjahr über Wochen ausverkauft waren. Auch bei Europas größtem Campingbus-Vermieter Roadsurfer ist der neu ausgebrochene Boom zu spüren. Mitgründerin Susanne Dickhardt berichtet, nach anfänglichen Umsatzeinbrüchen seien mit den Lockerungen der Einschränkungen im Frühsommer die buchungsstärksten Tage seit der Firmengründung 2016 angebrochen.
Das eigentlich Reizvolle an einer Autoreise: Abstecher in verschlafene Städtchen.
Eigentlich hatten wir vor, nach Siena eine Woche in einem Landhotel zu entspannen. Doch nach einer Nacht war uns das zu langweilig. „Wieso fahren wir eigentlich nicht noch nach Rom?“, fragte ich meinen Mann. Es folgte eine kurze Pause, ein Blitzen in seinen Augen und ein Anruf bei der Rezeption mit der Bitte um vorzeitigen Check-out. „Klar, zischt ab! So leer seht ihr Rom nie wieder“, kommentierte der nette Herr und ließ uns wieder frei.
Aufgekratzt packten wir – mittlerweile sehr routiniert – unsere Siebensachen und düsten los. Normalerweise ist ein Rom-Besuch mindestens so anstrengend wie beeindruckend. Ich kannte die Ewige Stadt bis dahin nur von Bildern, Erzählungen und natürlich aus dem Audrey-Hepburn-Klassiker „Ein Herz und eine Krone“. Einen besseren Zeitpunkt, um mir mein eigenes Bild zu machen, hätte ich nicht wählen können. Lässig steuerte mein Gatte direkt aufs Kolosseum zu, und wir umrundeten das Wahrzeichen zum Start ein paarmal.
Leider nur dauerte unser Roadtrip nicht mehr ewig. Normalerweise will ich die Heimreise einfach nur schnell hinter mich bringen, jetzt freute ich mich richtig, dass wir von Rom zurück nach München noch zwei Tage unterwegs sein würden. Allerdings war es jetzt nicht mehr ganz so bequem, denn das komplette Auto war mit Weinkisten (Brunello, was sonst) und Olivenöl vollgeschichtet. Irgendwann hat man einfach gelernt, dass Kleidungsstücke, die man auf Reisen kauft, auch nur dort gut aussehen – dass sich aber mit dem Öffnen der mitgebrachten Weinflasche aus Italien noch ein Schluck Ferienlaune genießen lässt.
„Mir fehlt jetzt schon das Gefühl der ständigen Bewegung. Wo fahren wir als nächstes hin?“, fragte ich meinen Mann, während mein Blick sich in den vorbeirauschenden bayerischen Feldern verlor. Bald schon würden wir wieder zu Hause sein. „Wie wäre es mit Flitterwochen in Großbritannien? Wir könnten eine Rundreise über die ganze Insel machen: England, Schottland, Wales“, schlug er vor, ohne lange zu überlegen. Was für eine grandiose Idee, der Plan für den nächsten Sommer nach unserer Hochzeit steht.