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Der Housemeister by Dagmar von Taube | 3. September 2021 | Personalities

Der Brite Nick Jones hat mit seinem Soho- House-Konzept ein Imperium aufgebaut: 29 Privatclubs in 11 Ländern, bald kommen Rom, Paris und Brighton dazu. Im Juni gab er bekannt, in New York an die Börse gehen zu wollen. Dagmar von Taube hat Jones in den letzten Jahren mehrfach getroffen. Dabei hat sie viel über die Seele seines Memberclubs erfahren – auch über das Flirten im Funkloch.

„Du kannst einen Club oder ein Restaurant nicht erklären. Das musst du fühlen.“ NICK JONES

Das erste Mal traf ich ihn in Istanbul vor sechs Jahren, wo er ein Soho House über dem Bosporus eröffnete. Halb London war dafür eingeflogen. „Möchten Sie Kaffee? Türkischen Tee? Oder etwas zu essen?“, empfing mich Nick Jones. Wo möchten Sie sitzenan der Bar ist vielleicht noch zu früh? Wir können auch aufs Dach an den Pool. Von dort haben Sie einen Blick bis nach Asien!“ Der Mann ist ein Menschenfängerprofi. Es ist seine Ungezwungenheit, „at ease“ mit seiner Umgebung zu sein, wie man in England sagt. Entspannt gegen die Regeln des gutbürgerlichen Benehmens. Das Versprechen des Soho- House-Gründers an seine Members ist, Kreative zu vernetzen. Als er vor vier Jahren sein Londoner Hotel „The Ned“ einweihte, warfen Showgirls ihre Beine in die Luft, die Jazzkappelle drehte auf, Tanz, Drinks, Diners über elf Etagen. Jones liebt es zu feiern. Beim Interview am nächsten Morgen lag der Gastgeber quer über dem Sofa in der Hotelbar, bis ihn schwarzer Kaffee ganz langsam aufrichtete. Aus diesen Begegnungen ist damals dieses Gespräch entstanden.

Was ist das Wesen eines Clubs?

Nick Jones: Der Sinn eines Clubs ist es, Gleichgesinnte zusammenzubringen.

Das hätte Wikipedia nicht besser erklären können. Geht es noch etwas genauer, Mr Jones?

Nick, bitte nenn mich Nick. Ich hab’s nicht so mit dem Siezen. Ich bin auch kein Konzeptmann. Du kannst einen Club nicht erklären, oder ein Restaurant. Natürlich herrschen Regeln, dass man sich benimmt. Aber das musst du fühlen.

Viele Clubs in London entstanden, um Plätze zu schaffen, wo man privat weitertrinken konnte, wenn die Public Houses – also die Pubs – schlossen.

Ja, 1992 fing ich an mit dem „Cafe Boheme“ in der Greek Street in Soho: ein Raum, es gab Drinks, Snacks, Musik. Man kam und stand einfach rum. Im selben Haus entstand 1995 das erste Soho House. Unsere Formel ist ganz einfach: Essen, Trinken, Schlafen – denn das werden immer die menschlichen Bedürfnisse sein, in jeder Stadt, in jedem Land.

Aus der Formel ist eine internationale Members-only-Kette gewachsen mit heute 29 Klubhäusern in 11 Ländern. 2015 eröffneten Sie „Soho House Istanbul“. Wie verträgt sich ein westlicher Club mit der osmanischen Tradition und der modernen Türkei?

Dies war der erste Members-Club der Türkei für Männer und Frauen. Von mittlerweile 2.000 dortigen Mitgliedern sind 55 Prozent weiblich. Istanbul ist längst offen nach Westen, das war es immer, aber es wird spürbarer: Der Immobilienmarkt boomt. Der neue Flughafen ist einer der modernsten Europas. Auch in Istanbul gedeiht eine Start-up- Szene. Es gibt Film- und Musikfestivals, Mode, die Kunstszene, das Nachtleben: Istanbul rockt – und ich übertreibe nie. Wir sind ja kein politischer Club. Bei uns entfallen Regeln, die in anderen Teilen der Türkei noch gelten mögen. Es war etwas ganz Neues, und es hat funktioniert.

Das Gebäude war einmal Sitz der US-Botschaft und Agententreffpunkt.

Oh ja, ein Bienenstock amerikanischer Spionage und Diplomatie! Ist doch aufregend, wenn noch so ein alter Zauber in den Räumen hängt.

Damals war Garderobe kriegsentscheidend. Heute gilt in Istanbul wie in all Ihren Häusern: casual only. Warum die Attacke gegen Krawatte?

Keine Attacke. Wir sind auch gar nicht gegen Anzüge, ich trage sie ja selbst. Ich mag nur keine Suits, in denen man wie ein Brett dasteht. Kein Corporate-Gefühl, auch nicht diese After-Work-Stimmung, wenn dann so Leute ihren Angstschweiß vom Tag noch mit an die Bar tragen. Stell dir sechs Banker am Tresen vor, die wehen direkt von ihren Schreibtischen rein, der Stress klebt noch an ihnen – danke, nein. Oder diese Vertreter-Typen. Wenn zehn Menschen gleich aussehen, da schlaf ich ein. Ich bin einfach gegen Kleidungs-Hierarchie. Casual sagt nichts über Status aus, jeder ist erst mal gleich. Das macht es den Leuten einfacher, aufeinander zuzugehen. Unser Gedanke ist außerdem, Kreative zu versammeln, die ziehen sich für ihre Arbeit nicht extra um. Man trägt Kleidung, in der man am besten Raum zum Denken hat.

Sie haben viel Platz in Ihrem Hemd, Nick.

Ich esse und koche einfach für mein Leben gern. Wenn ich mich in enge Jacketts zwängen muss, bekomme ich schlechte Laune. Weil es unbequem ist und mich nur daran erinnert, weniger zu essen. Das hält mich ab von wirklich wichtigen Gedanken.

Wie geht gutes Casual?

Jeans, Poloshirts, barfuß in Espadrilles ist mir am liebsten. Ich trage auch gern Hemden, aber die dann über der Hose. Kleidung sollte so sein, dass sie weder Raum für Erklärung noch für Entschuldigung lässt. Es muss nach Selbstverständlichkeit aussehen.

Ihre New Yorker Dependance hat mal einen Aufnahmestopp für Banker verhängt, in L. A. duldete man zwischenzeitlich keine Hollywoodagenten. Wer ist das ideale Mitglied?

Wir haben überhaupt keine Restriktionen gegen Berufsgruppen, möglicherweise war unsere Aufnahmekapazität schlicht erschöpft. Was wir sicher nicht brauchen sind Wichtigtuer; wenn so eine Hybris über dem Raum schwebt. Andere wiederum funktionieren wie auf dem Schulhof nur mit ihrer Entourage. Dann hast du hier einen Pulk und da einen, und keiner traut sich, zur anderen Gruppe vorzustoßen. Wir wollen Individualisten, die sich mit anderen Individualisten verbinden wollen. Hey, easy. Offen, nicht gewollt.

Wo lernt man das?

In der Küche! Als Schüler war ich keine Leuchte, aber früh verrückt nach Food. Mit 17 ging ich in die Gastronomie, kellnerte, kochte. In einer dampfenden Küche hast du keine Zeit für komplizierte Sätze. Ich bin ein Bauchmensch, ich analysiere nicht. Ein Gericht, das sich nicht in drei Worten erklären lässt, kommt mir nicht auf den Tisch. Das ist mein Universalrezept und gilt für alles, auch für Menschen.

Ihre Soho Houses sind zweifelsohne sehr gemütlich. Gleichzeitig wirken sie in ihrer Perfektion von Cozyness, dieser drapierten Nostalgie und Ursprünglichkeit, auch ein wenig konstruiert. Dieses skurril Gewachsene, das, was man ja gerade an englischen Clubs so toll findet, fehlt etwas.

Mag sein, dass wir etwas überdekorieren. Unser Designteam ist sehr eifrig. Ich teste dann. Ich lasse mir Zimmer immer erst mal vorbauen, und dann gehe ich durch: gut, schlecht, prima, na ja, toll, geht gar nicht.

Was muss ein Hotelzimmer heute leisten?

Es muss verführen! Hast du nicht gestern gedacht: Schade, dass ich ganz allein hier bin?

Ich dachte eher an Schlafen.

Das ist auch erholsam, darum geht’s. Also, ich will genau sieben Kissen auf dem Bett und echte Kristallgläser in meiner Minibar, ich will ein Radio auf dem Nachttisch, alles wie zu Hause. Du willst keine Anonymität, aber auch kein billig-frivoles Gefühl im Raum. Du willst dich wohlfühlen. Unbeobachtet. Frei. Eben so, als wärst du in deinen eigenen vier Wänden. Oh, Licht ist wichtig! Wahnsinnig wichtig.

Licht heißt bei Ihnen Dunkelheit.

Dunkelheit heißt Intimität. Ich bin sehr schüchtern. Du nicht, Dagmar?

Sie interviewen mich? Nun, ich finde zum Beispiel das Broken English der Berliner Soho-House-Mitarbeiter sehr amüsant. Das Schönste am Berliner Club ist ja das Gebäude selbst. Es war ein jüdisches Kaufhaus, im Zweiten Weltkrieg Sitz der Reichsjugendführung, später Sitz des SED-Zentralkomitees. In den Kellern fanden Verhöre statt. Wie nähern Sie sich der Geschichte eines solchen Hauses?

Mit Respekt. Aber ich suche die Gebäude nicht, die Gebäude finden uns. Die Berliner Immobilie gehört The Vinyl Factory, einem sehr erfolgreichen Kreativ-Duo aus London. Von ihm stammt auch die Idee des dortigen Concept- Stores unter der Leitung der Londoner Kreativdirektorin und Designerin Alex Eagle.

Demnächst eröffnen Sie in Paris, Rom, Brighton. Die Frage ist: Wer braucht solche Flächen künftig noch, wo doch alles immer mehr virtuell abläuft?

Der Mensch wird trotzdem immer essen, trinken, schlafen müssen. Ich denke ja: Der digitale Nomade wird langfristig komplett bei uns einziehen, weil er nicht mal mehr weiß, wie man Wasser kocht.

Viele Clubkonzepte versuchen heute, das Arbeiten neu zu erdenken, um die künftigen Elon Musks reinzuholen. Nicht mit Pool, sondern mit Co-Working-Space. Ist das nicht eher die Zukunft?

Absolut. Wir haben Soho Works, wo unsere Mitglieder auch extrem preiswert Bürofl.chen buchen können. Office-Konzepte sind ja nichts Neues: Clubs, die häufig den Charme eines Labors verströmen – also gar keinen. Mein Ding ist das nicht. Trotz Digitalisierung habe ich immer noch eine Nase, einen Mund, Augen und keine Steckdose im Gesicht. Unser Ziel war immer, unseren Mitgliedern komfortablen Raum zu fairen Preisen zu bieten. Unsere jährliche Every-House-Mitgliedschaft beträgt 1.910 Euro. Damit kann man schon ab 180 Euro bei uns übernachten, sowie kostenlos alle Gyms und Events besuchen. Mitglieder haben mit der Soho-House-App die Möglichkeit, bargeldlos zu bezahlen und sich weltweit miteinander zu verbinden: Soho House für die Jackentasche, sozusagen.

Vor vier Jahren haben Sie „The Ned“ eröffnet, ein feudal-herrschaftliches Hotel im Londoner Finanzdistrikt, noch dazu in einem alten Bankhaus – wie passt das zu Ihrer Philosophie von Ungezwungenheit?

Ich bin kein Philosoph, ich entscheide, wie gesagt, nach Gefühl. „The Ned“ und die Soho Houses sind zwei komplett getrennte Konzepte. Ich wurde angesprochen vor ein paar Jahren, es gebe da diese alte Midland Bank, das Gebäude stehe seit zehn Jahren leer. Ich habe es mir aus reiner Höflichkeit angeschaut – und mich schlagartig verliebt: elf Stockwerke, Riesensäle, 29.000 Quadratmeter. Wie gemacht für ein Hotel.

Sie mögen doch keine preppy Anzugtypen, haben Sie gesagt – aber haben sich dann doch an die Kaufkraft dieser Leute erinnert?

Die Idee für dieses Hotel entstand aus der Lage, und die hat einfach Sinn gemacht für mich:
Shoreditch liegt um die Ecke mit all seinen Kreativos, genauso Clerkenwell. Finanzdistrikte erleben gerade einen spannenden Wandel, auch in vielen anderen Städten, denn da mischt es sich international.

200 Millionen Pfund hat die Immobilie und ihre Verwandlung gekostet. Das Interieur – zehn Meter hohe Decken, persischer Marmor, Goldtapeten, muschelfarbener Samt, alles im Stil der 20er-Jahre – erinnert an die große alte Zeit, in der man noch Muße hatte.

Der Stil, neoklassizistisch, Art déco, war durch den Architekten Sir Edwin „Ned“ Lutyens vorgezeichnet. Er hat das Haus 1924 designt. Ein Stararchitekt seiner Zeit. Er hat halb Neu-Delhi erbaut, auch viele englische Landhäuser. Unser Design-Team ist vier Jahre lang in der ganzen Welt einkaufen gegangen: Feinstes Kristall aus Tschechien, alte Möbel aus dem New Yorker „Plaza“-Hotel, Himmelbetten von Java. Einer unserer Kronleuchter hing früher im Devonshire House.

Es macht Spaß, das alles anzuschauen. Aber wer sucht heute noch die Pracht eines Grandhotels, in dem man sich einst im Speisesaal von Fabrikantenfamilie zu Fabrikantenfamilie grüßte? Eigentlich will man doch nur einchecken und verschwinden; aus einem Panoramafenster schauen, aber unsichtbar sein.

Richtig. Und wir haben 800 Angestellte, die kriegst du gar nicht mit. Das ist das Geheimnis!

Was muss ein High-End-Hotel in einer luxusverwöhnten Stadt wie London heute bieten?

„Luxus“, „High-End“, solche Schnickschnackwörter gibt es nicht bei uns. Heute geht’s ums Runterkommen, um wieder raufzukommen: Kaum einer hat mehr Zeit. Unsere Idee war, eine Art Racket-Club zu schaffen: Fitness, Social, Spa, Essen, Trinken, Schlafen, alles unter einem Dach. Du kannst dir die Nägel machen lassen, danach nimmst du einen Drink im „The Vault“, unserer Tresor-Bar. Oder gehst schwimmen, im Pool wurden früher die Goldbarren gelagert. Keiner stört. Show, stiff upper lip – wirst du nicht erleben.

Warum braucht man neun Restaurants und 15 Bars in einer Lobby?

Weil das „Ned“ 250 Zimmer hat. Hinzu kam, dass wir das Riesenentree bespielen mussten, was nicht leicht war, schon wegen der 92 Säulen, die dort stehen. Da haben wir überlegt: Machen wir doch einen Food-Park, durch den man zwischen hawaiianischen Poke Bowls, Malibu Kitchen, französischem Café oder New Yorker Delikatessen wandelt wie in einem Lustgarten.

Mit Verlaub, der Handyempfang ist nicht der allerbeste. Eigentlich ein K.O.-Kriterium für jede Location heute.

Der Handyempfang ist miserabel, stimmt. Das liegt am dicken Mauerwerk. Hat aber auch Vorteile: Im Funkloch kann man besser flirten.

In der Minibar: zwei Sorten Champagner. Auch das Bad ist gut sortiert: 14 Creme-, Dusch-, und Haarprodukte, selbst Kondome liegen bereit.

Ist doch schön, wenn von allem genug da ist.

Vermieten Sie auch stundenweise?

Das ist uns noch nie in den Sinn gekommen.

Hotelzimmer stehen oft leer. Der Flughafen ist nicht weit vom „Ned“ entfernt, kurz mal duschen, hinlegen zwischen zwei Flügen: einbuchen und nur für die Zeit zahlen, die man bleibt – das wär doch sehr ökologisch.

Wird’s bei uns nicht geben. Bei uns bucht man klassisch 24 Stunden.

Alle sprechen heute von Achtsamkeit und der Lust auf ein bewussteres Leben. Man will am liebsten gar nichts mehr, aber das vom Allerfeinsten. Wie reagieren Sie darauf?

Es geht mir um die richtige Balance. Ich hab gern ein bisschen von allem. Das war auch der Ansatz, als wir das „Soho Roc House“ eröffnet haben, neben dem „Scorpios“ (dem angesagtesten Strand-Spot auf der Insel Mykonos, Anmerkung der Redaktion). Mykonos ist als Party-Insel bekannt geworden, aber in den letzten Jahren, denke ich, etwas ruhiger geworden. Wir wollten dort ein „home away from home“ für unsere Mitglieder schaffen, das ein bisschen was für jeden bietet : Wellness, gutes Essen, gute Drinks und entspannte Bereiche, auch für Konzerte, DJ-Auftritte und um Abends zu feiern.

IssueGG Magazine 04/21
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