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The Wings of Change by Silke Bender | 3. September 2021 | Personalities

Rolls-Royce steht seit 1904 für britische Eleganz. Nun hebt die traditionsreiche Marke gleich doppelt ab: mit Autokarosserien nach Maß und dem bisher schnellsten Elektro-Flugzeug der Welt.

„480 km/h! Mit diesem E-Rennflieger wollen wir zeigen, was technisch möglich ist. Und Menschen für die E-viation begeistern.“ MATHEU PARR, PROGRAMMMANAGER „SPIRIT OF INNOVATION“ BEI ROLLS-ROYCE HOLDINGS/ACCEL

Kaum eine britische Marke ist so bekannt wie Rolls-Royce. Doch es sind nicht nur luxuriöse Straßenkreuzer, die den Namen tragen, viel größer ist heute der Flugzeugkomponenten- und Technikkonzern. Die seit 1973 getrennten Firmen stehen jede auf ihre Art für Exzellenz made in Great Britain.

„Man traut sich eine neue Exzentrik. Scheue Naturen fahren eh keinen Rolls-Royce.“ TORSTEN MÜLLER-ÖTVÖS, CEO ROLLS-ROYCE MOTOR CARS

Nur die „Spirit of Ecstasy“, die wohl berühmteste Kühlerfigur der Welt, ist die alte. Seit 1911 ziert die silberne Lady mit den wehenden Flügelärmeln jeden Rolls-Royce. Ansonsten ist am „Boat Tail“ nichts wie jemals zuvor. Auf 5,80 Metern Länge präsentiert sich das Cabriolet auf den ersten Blick wie eine Jacht für die Straße, mit viel maritimen Details und in nuancierten Blautönen, die am Heck in ein Holzdeck übergehen. Auf Knopfdruck öffnet sich das Deck elegant wie Schmetterlingsflügel. Zum Vorschein kommt eine sogenannte Hosting-Suite: mit Champagnerkühlschrank, Kompartimenten für Besteck und Geschirr sowie zwei Cocktailtischen und Hocker. Das Ganze wird bekrönt von einem Sonnenschirm, der sich wie ein Teleskop ausfahren lässt. Von der Karosserie bis zur Innenausstattung: Alles made to measure. Mit 23 Millionen Euro ist der „Boat Tail“ der teuerste Neuwagen der Welt, seine Entwicklung hat vier Jahre gedauert, im Mai wurde er präsentiert. Er markiert nicht nur preislich, sondern auch handwerklich die Spitze dessen, was im individuellen Luxusautobau heute möglich ist. Wem der Wagen gehört, ließ Rolls-Royce offen, die britische Zeitung „The Telegraph“ mutmaßt, dass es die Superstars Jay-Z und Beyoncé sind.

„Der stylishste Picknickkorb der Welt“, sagt Torsten Müller-Ötvös über das einzigartige Cabriolet. Der CEO von Rolls-Royce Motor Cars gibt via Videocall persönlich Auskunft über die neue Sparte Coachbuild – handgefertigte Autounikate nach Kundenwunsch. „Coachbuild ist die Königsklasse unserer Marke. Diese Kunden müssen zu Rolls-Royce passen und mit unserem Hause schon länger verbunden sein, Zeit mitbringen und Leidenschaft.“

Exzentrische Autos wie dieses waren schon mal der große Renner, in den 1960ern. Man denke an den psychedelisch bemalten Blumen- Rolls von John Lennon, den goldenen von Zsa Zsa Gabor oder den silberglitzernden, den Las-Vegas-Star Liberace zu seinem Markenzeichen machte. Irgendwann aber trauten sich die berühmten Menschen aus Sicherheitsgründen nicht mehr, mit so auffälligen Autos herumzufahren. Kommt die Ära zurück? „Absolut“, sagt Müller-Ötvös. „Besonders die jüngere Generation – unser Kundendurchschnittsalter liegt heute bei 43 Jahren – traut sich eine neue Exzentrik. Das sind vor allem Selfmade- Millionäre, die ihr Vermögen nicht geerbt, sondern selbst erarbeitet haben. Wer einen Rolls- Royce fährt, lenkt schon von ganz allein die Aufmerksamkeit auf sich. Auch ein schwarzer ,Phantom‘ ist und bleibt eine seltene Erscheinung auf der Straße. Scheue Naturen werden sich andere Autos kaufen.“

2019 verkaufte das Unternehmen, das seit 1998 zu BMW gehört, so viele Wagen wie nie: 5.152. Die Mitarbeiterzahl kletterte auf knapp über 2.000. Der gebürtige Düsseldorfer Müller-Ötvös ist seit 2010 bei Rolls-Royce im südenglischen Goodwood, er kam von BMW. „Die außergewöhnliche Kunstfertigkeit, eine solche Craftsmanship im Autobau, findet man sonst nirgends, auch nicht in Deutschland. Wir sind dadurch in der Lage, so individuell auf Kundenwünsche einzugehen, wie man es sonst nur in der Top-Hotellerie, bei Juwelierhäusern, in der Architektur oder in der Mode findet“, sagt er. „Und das ist eine Eigenschaft, die ich auch typisch britische Gastfreundschaft nennen würde. Typisch britisch ist auch die Neigung, dabei nicht immer bierernst oder rational zu sein wie wir Deutschen, sondern durchaus auch schrill oder exzentrisch. Wir wollen keine Geschmackspolizei sein, sondern erlauben uns und allen Kunden eine gewisse Narrenfreiheit.“

Mit Coachbuild geht Rolls-Royce zurück zu den Anfängen seiner Geschichte im Jahr 1904. Damals begründeten der Bau von Fahrgestellen und Motoren den Erfolg von Charles Rolls und Henry Royce. Damit unterschieden sie sich von anderen frühen Autobauern, denn in dieser Zeit waren es eigentlich Karosserien, die typischerweise den Erfolg brachten. Royce war ein begnadeter Motorentüftler und Rolls ein aristokratischer Patriot, der England seine erste eigene Automarke schenken wollte, erzählt Neil Chattle vom Rolls-Royce Heritage Trust. Mit dem „Silver Ghost“ bauten sie ihren ersten Rolls-Royce. Der galt bald als das leiseste und zuverlässigste Auto der Welt. Rolls begeisterte sich auch schnell fürs Fliegen und überquerte 1910 als erster Pilot in einem Nonstop- Hin-und-Rückflug den Ärmelkanal, wenige Wochen später verunglückte er bei einer Flugschau tödlich.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg klopfte die britische Regierung bei Royce an, um Flugzeugmotoren für die Royal Aircraft zu entwickeln. Royce, traumatisiert vom Absturz seines Partners, wollte zunächst nicht, baute dann aber doch das Eagle-Triebwerk für den „Vickers Vimy Bomber“, mit dem 1919 der welterste Transatlantikflug von Neufundland nach Irland geflogen wurde.

Die Flugzeugtechnik wurde nach und nach immer bedeutender, bis 1971 eine problematische Neuentwicklung eines Triebwerktyps das gesamte Unternehmen in den Konkurs stürzte. Rolls-Royce wurde zunächst verstaatlicht, die Automobil- und die Triebwerksparte getrennt.

Seit der Reprivatisierung 1987 hat sich der heute breit aufgestellte Aeronautik-Spezialist prächtig entwickelt. In mehr als 35 zivilen Flugzeugtypen – auch in den bekannten Ferienfliegern von Boeing bis Airbus – drehen sich heute Rolls-Royce-Triebwerke. Mehr als 45.000 Angestellte arbeiten an Standorten rund um den Globus. Deutschland hat mit rund 10.000 Mitarbeitern an 14 Standorten nach dem Vereinigten Königreich die zweitgrößte Belegschaft.

Im westenglischen Gloucester wartet jetzt Projektleiter Matheu Parr auf einen neuen Meilenstein in der Luftfahrt: Den Jungfernflug der „Spirit of Innovation“. Der emissionsfreie E-Rennflieger soll in diesem Jahr mit 480 km/h einen neuen Weltrekord aufstellen. Dafür wird die Maschine zunächst zum Militärflugplatz Boscombe Down transportiert – über die Straße. Der Flug als solcher wird nämlich nur acht Minuten dauern, länger halten die Batterien bei Maximalgeschwindigkeit noch nicht. „Das Flugzeug soll unser State-of-the-Art sein: zeigen, was möglich ist mit dieser Technologie. Um Menschen für die E-Viation zu begeistern“, sagt er. Die „Spirit of Innovation“ ist jedoch mehr als eine Kraftdemonstration, ihre Technik soll die emissionsfreie Luftfahrt auf ein neues Level katapultieren: „Wir haben schon elf verschiedene kommerzielle Flugzeugtypen mit unseren E-Antrieben ausgestattet und auf über 1.500 Testflügen eingesetzt“, so Parr weiter. „Mit Vertical Aerospace in Bristol arbeiten wir konkret an E-Fliegern für vier Passagiere, mit denen man wie mit einem Helikopter punktgenau innerstädtisch landen kann. Ab 2025 werden sie zum Einsatz kommen und auf einer Distanz von etwa 500 Kilometern fliegen.“ Die Zulassungen bei der EASA, der europäischen Agentur für Flugsicherheit, laufen bereits.

Auch die Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ wird bald mit auf einer Karosse mit E-Antrieb die Nase in den Wind halten. „Noch in diesem Jahrzehnt werden wir einen vollelektrischen Rolls-Royce vorstellen“, sagt Torsten Müller-Ötvös. Ab 2030 werden auf Großbritanniens Straßen nämlich keine Neuwagen mit Verbrennungs- oder Hybridmotoren mehr zugelassen sein. Landauf, landab bereitet sich die Insel jetzt auf die „grüne industrielle Revolution“ vor, die Premierminister Boris Johnson vorschwebt. Und Rolls- Royce ist vorn dabei.

IssueGG Magazine 04/21
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