Judith Dommermuth by Michaela Cordes | 4. März 2022 | Personalities
Seitdem die Jogginghose offiziell ins Homeoffice einzogen ist, steigt das internationale Sweatpants-Fever. Dass casual auch elegant funktioniert, ist die Philosophie von Juvia-Gründerin Judith Dommermuth. Die Loungewear-Unternehmerin über neu gewonnene Männer-Kunden, das richtige Outfit für Angela Merkel und die nötige Portion Bauchgefühl.
Auffallend dezent erscheint Judith Dommermuth in lässigen Teilen ihrer eigenen Kollektion in ihrem Büro in Montabaur. Sandfarbener Kaschmirpulli, beigefarbene Jogginghosen – nur die hellbraunen Wildlederstiefel gehören nicht zu ihrem Juvia-Sortiment. „Wir fokussieren uns ausschließlich auf Lounge- und Leisurewear. Das macht uns einzigartig!“, erklärt die Gründerin und Geschäftsführerin lachend, nippt an ihrem Kaffee und nimmt an ihrem Schreibtisch Platz. Was vor der Pandemie für einige noch als revolutionär galt, setzt die Loungewear-Unternehmerin auch für sich privat schon seit über acht Jahren konsequent um.
Mit Kaschmir gefütterte, kuschelweiche Sweatshirts, T-Shirts aus 100 Prozent Baumwolle und natürlich Jogginghosen – gleich in sechs verschiedenen Passformen, gemustert oder uni. Auch privat trägt Judith Dommermuth nur noch ihr eigenes Label: „In meinem Kleiderschrank hängen einige Abendkleider und sonst nur Juvia!“ Insgesamt 380 in Portugal gefertigte und miteinander kombinierbare Kollektionsteile bietet das Label seinen Kunden pro Saison an. Die wachsende Lust an bequemen, aber dennoch schicken Outfits fürs Homeoffice und Zuhause ist ein internationales Phänomen, das mit Ausbruch von Covid einen ungeahnten Run erlebte. Allein in den USA stieg innerhalb der ersten drei Monate der Pandemie der Umsatz von Jogginghosen um 80 Prozent. Und laut Branchenprognosen wird der weltweite Umsatz von Loungewear bis zum Jahr 2026 auf zehn Milliarden USDollar ansteigen. So freut sich auch das deutsche Modelabel über eine stetig wachsende Nachfrage: „Auch im vergangenen Jahr konnten wir uns über ein schönes Wachstum freuen“, erklärt die Textil-Unternehmerin.
GG: Frau Dommermuth, Sie galten schon vor Ausbruch der Pandemie als Instanz für Loungewear und haben Ihren Kunden beigebracht, dass man es sich auch elegant gemütlich machen kann. Wie wirkt sich die neue Realität mit etablierten Homeoffice-Zeiten und Zoom-Meetings auf Ihr Geschäft aus?
Neben unserem Stammgeschäft mit dem Damensortiment haben wir seit 2020 einen enormen Zuwachs im Herrensegment erlebt und unseren Umsatz verdoppelt. Ich denke, mit der Konzentration auf das Leben zu Hause haben sich auf einmal auch die Männer gefragt: Gibt es nicht etwas Gemütliches, was ich im Homeoffice tragen kann und das trotzdem schick aussieht? Wir haben festgestellt, dass viele Frauen für ihre Männer mitbestellen. Locker geschnittene Blazer – aus Sweatshirtstoff – sind beispielsweise sehr gut angekommen. Grundsätzlich hat bei Juvia einfach das Timing gestimmt. Auch unser Onlineshop ist kurz vor der Pandemie fertig geworden, was uns natürlich sehr geholfen hat. So konnten wir trotz Lockdown weiterhin gut performen.
Ansichten wie der ikonische Satz von Karl Lagerfeld, „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, wirken angesichts solcher Entwicklungen plötzlich weltfremd. Inwiefern haben auch junge Streetwear-Designer, wie der Designer Virgil Abloh, der im vergangenen Jahr gestorben ist und für den Luxuskonzern LVMH tätig war, Ihr Label sichtbarer gemacht?
Der Trend zu „Casualwear“ ist heute einem breiteren Publikum zugänglich. Glücklicherweise war Juvia aber schon gestartet, bevor der große Run auf Loungewear begann. Als der Hype um High-Fashion-Marken wie Ablohs Off-White dann losging, hatten wir schon ein gut aufgestelltes Sortiment. Als Boutiquen kurz danach nach Loungewear- Brands suchten, waren wir die erste spezialisierte Marke in Deutschland, auf die man sofort zurückgreifen konnte. Insofern waren wir dem Trend voraus.
Mittlerweile sind die Sweatpants in jeder Designer- Kollektion fest verankert und zum It-Piece avanciert. Woran merken Sie persönlich, dass sich die Akzeptanz verändert hat?
Heute falle ich im Supermarkt nicht mehr auf (lacht)! Früher war ich oft die Einzige, die in Loungewear einkaufen ging. Mit der Pandemie wurden plötzlich Menschen, die in Büroklamotten an der Kasse anstanden, immer seltener.
Was macht Ihre Kollektion so einzigartig?
Wir fokussieren uns ausschließlich und ganz bewusst auf Lounge- beziehungsweise Leisurewear. Das ist ein lässig-eleganter Lifestyle, mit dem man, je nachdem wie man die Teile kombiniert, immer gut angezogen ist. Accessoires sind dabei sehr wichtig. Kombiniere ich ein unifarbenes Set mit schicken Schuhen und auffallendem Schmuck, sieht der Look direkt sophisticated aus. Wähle ich einen auffallenden Print und verbinde ihn mit Sneakern und beispielsweise einer Cappy, habe ich ein Streetstyle-Outfit – so kann man die Looks immer beliebig up- oder downdressen. Wichtig ist mir, dass die Teile alltagstauglich sind, also gut waschbar, ohne an Qualität zu verlieren. Was uns wirklich einzigartig macht, sind unsere unterschiedlichen Passformen. Denn die wenigsten Frauen sind wie ein 18-jähriges Model gebaut, und natürlich sollen sich alle in unseren Sachen wohlfühlen. Wenn eine Kundin zum Beispiel die Slim-Fit-Hose mag, findet sie diese immer wieder bei uns – auch Monate später in einer anderen Kollektion, oder die Regular Fit – die hat Taschen auf dem Po und wirkt angezogener als die ohne Taschen. Bei den Tops funktioniert das ähnlich. Zusätzlich zu den Basics bieten wir auch immer wieder besondere Fashion-Pieces, aber letztendlich machen die Basics circa 75 Prozent unseres Umsatzes aus.
Wer ist Ihre typische Kundin?
Wir haben eine sehr breit gefächerte Zielgruppe. Es beginnt bereits mit unserer Mini Me Kids Collection und meiner neunjährigen Nichte, die laut protestiert, wenn sie zur Schule keine Juvia-Hose anziehen darf. Und es geht bis hin zu ihrer Gro mutter, die Juvia genau so schützt und liebt. Juvia ist alterslos. Die junge Kundin kauft natürlich ein anderes Modell als eine ältere. Beim Entwerfen versuche ich, mich immer an der Mitte zu orientieren. Es gibt kein einziges Teil für Erwachsene, das ich nicht persönlich vorher anprobiert habe.
Bis heute sind Sie das Fittingmodel für Ihre eigene Marke. Die zündende Idee für eine eigene Loungewear-Linie entstand vor zwölf Jahren, als Sie als Model um die Welt geflogen sind. Woher kam die Idee für Juvia?
Ich habe eine eineiige Zwillingsschwester, und zusammen sind wir schon als Fünfjährige zum ersten Mal für Werbefilme gebucht worden. Als Teenager haben wir das dann wieder aufgenommen, später, um unsere Ausbildung zu finanzieren. Nach dem Vordiplom – wir haben beide BWL studiert – nahmen wir uns ein Jahr Auszeit, aber statt zurückzukehren, haben wir das Modeln professionell fortgesetzt. Damals habe ich viel über das Modegeschäft gelernt. Weil mir leicht kalt wurde und ich es viel bequemer fand, habe ich schon damals immer Jogginghosen getragen. Auch weil die vor Shootings keine Abdrücke auf der Haut hinterließen. Die Loungewear-Kollektionen, die es seinerzeit in den USA gab, gefielen mir nicht und waren mir entweder zu laut und glitzerig oder zu sportlich und steif. Ich wollte etwas Puristisches. Elegant und zurückgenommen, angenehm auf der Haut zu tragen, und musste feststellen: So etwas gab es nicht!
2013 haben Sie dann den Sprung gewagt und Ihre erste Musterkollektion entworfen. Geburtshelfer waren dabei zwei Männer – Ihr Ehemann Ralph Dommermuth und Ihr Ex-Mann (und heutiger Co-Geschäftsführer) Bernd Berger.
Am Ende meiner aktiven Modelkarriere hatte ich nebenbei begonnen, für Modefirmen Fotoshootings zu organisieren, und spielte kurz mit dem Gedanken, eine Werbeagentur aufzumachen. Aber dann nahm mich mein Mann Ralph zur Seite und sagte: Du redest so oft von dieser Loungewear-Idee – worauf wartest du eigentlich? Er sagte damals den für mich bis heute entscheidenden Satz: Es ist doch keine Schande zu scheitern! Es ist aber schade, später einmal zu bereuen, es nichtprobiert zu haben. Das war der nötige Push, der mir den Mut gab, Juvia zu starten.
Ihr Ex-Mann Bernd Berger half Ihnen mit der Produktion der ersten Kollektionsteile. Was war beim Start Ihre größte Herausforderung?
Bernd kommt aus einer Textilfamilie und kennt sich sehr gut mit Qualitäten von Stoffen und allen technischen Fragen aus. Da er beim Start von Juvia noch im Familienunternehmen eingebunden war, empfahl er mir eine Freelance- Designerin, mit deren Hilfe ich meine Ideen umsetzen konnte, denn ich bin ja selbst keine gelernte Designerin. Ich überzeugte den hochwertigsten Showroom für die nächste Messe und hatte damit gleich Kontakte zu den besten Einkäufern. Als die ersten 20 Teile fertig waren, fühlte ich plötzlich: Das ist noch nicht perfekt. Ich entschied dann, die gesamte Kollektion noch einmal völlig neu zu konzipieren und dem Showroom abzusagen. Das war ein entscheidender Moment, so konsequent zu handeln. Mit einer neuen Designerin, die bis heute bei Juvia ist, entwarf ich dann 40 neue Teile, die für mich perfekt aussahen und miteinander zu kombinieren waren. Die finale Kollektion kam dann so gut an, dass wir gleich 42 Boutiquen zeichneten.
Obwohl angeblich heutzutage nur digitales Marketing zum Erfolg führt, schalteten Sie Print-Anzeigen in den großen Frauenmagazinen, um auf Ihre neue Marke aufmerksam zu machen. Welche Strategie steckte dahinter?
Auch der zweite, wichtige unternehmerische Rat kam von meinem Ehemann. Nachdem die erste Kollektion gut angekommen war, riet er mir: Du hast da eindeutig den Zeitgeist getroffen – jetzt musst du Marketing machen! Ich hatte mein eigenes Erspartes von Modeljobs in die Musterkollektion gesteckt und war froh, wenn der Rest für die Produktion reichen würde. Für Marketing fehlte mir das Geld. Daraufhin sagte er: Ich gebe dir einen Kredit, zu marktüblichen Zinsen. Ich war erst ein wenig irritiert, dass mein Mann mir das Geld nicht einfach gab. Aber er erklärte mir: Du wirst später stolz sein, wenn du es ganz alleine geschafft hast. Daraufhin habe ich dann zeitgleich zur Messe, bei der wir unsere zweite Saison vorstellten, Kampagnen in den Mode-Zeitschriften geschaltet. Und es funktionierte! Es kamen viele neugierige Kunden mit der Anzeige in der Hand in den Showroom, und ein paar Tage später hatten wir 120 Boutiquen gewonnen! Heute, rund acht Jahre später, verkaufen wir Juvia in 20 Ländern – am stärksten in Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz. Wir betreiben zwei eigene Showrooms in München und Düsseldorf und suchen gerade einen dritten in Zürich. Vor drei Jahren habe ich den Kredit an meinen Mann zurückgezahlt. Heute bin ich tatsächlich dankbar. Denn natürlich bediene ich oberflächlich gesehen das typische Klischee: Model macht so ein bisschen Mode mit dem Geld ihres erfolgreichen Ehemannes. Ich kann in den Spiegel schauen und weiß, dass ich alles zurückgezahlt habe – plus Zinsen und auch einen Kredit, den ich zusätzlich bei der Sparkasse aufgenommen hatte. Das Unternehmen ist jetzt eigenfinanziert. Ohne den guten Rat meines Mannes – schnell zu expandieren – und ohne mein tolles Team hätte die Entwicklung unserer Marke wesentlich länger gedauert.
Stimmt es, dass Angela Merkel sich mal bei Ihnen erkundig hat, was Loungewear eigentlich sei?
(lacht) Ja! Ich war mal zu einer Diskussionsrunde im Kanzleramt eingeladen. Als ich Frau Merkel erklärte, was ich mit Juvia mache, sagte die damalige Bundeskanzlerin: „Ah, das ist etwas, wofür ich nie Zeit habe.“ Eigentlich müsste ich ihr jetzt, wo sie sich in den Ruhestand verabschiedet hat, ein Paket schicken!
Was würden Sie für einen Loungewear-Beginner wie Angela Merkel zusammenstellen?
Da sie sich sicher erst einmal an das Thema gewöhnen müsste, würde ich Einsteigermodelle vorschlagen: beispielsweise die Loose-Fit- Sweatpants, die angezogener wirken und die man umkrempeln kann. In Dunkelblau oder Sandtönen, dazu vielleicht einen hochwertigen Kaschmir-Mix-Pulli – ganz puristisch, aber so weich, dass man ihn gar nicht mehr ausziehen möchte.
Angefangen haben Sie mit vier Freundinnen, heute beschäftigen Sie 38 Mitarbeiter und verkaufen an 850 Point of Sales. Wo sehen Sie sich mit Juvia in den nächsten zehn Jahren?
Hätte mich das vor ein paar Jahren jemand gefragt, hätte ich nicht gewagt zu träumen, wo wir jetzt stehen. Um das Unternehmen der dynamischen Entwicklung anzupassen, haben wir gerade neue Mitarbeiter eingestellt, die sich den Themen Logistik, Personalentwicklung und Online widmen. Das ist ein Kulturwandel – für das weitere Wachstum aber notwendig. Was die Zukunft angeht, bin ich hin- und hergerissen: Einerseits gibt es Expansionsmöglichkeiten in weitere Länder, andererseits fehlt mir Zeit. Für mich ist Juvia nach wie vor ein moderner Familienbetrieb. Und der soll vor allem Freude bringen – für unsere Kunden, meine Mitarbeitenden und mich.