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Das Glück der Berge by Steffi Kammerer | 3. Juni 2022 | Travel

Nirgendwo kommt man mehr zur Ruhe als hoch oben im Gebirge. Wo die Natur die Dinge geraderückt, das unendliche Panorama Klarheit verschafft. Lange waren die Alpen primär eine Winterdestination. Das hat sich geändert.

Es gibt Orte, die trägt man in sich, lange nachdem man sie verlassen hat. Diese Sehnsucht ist der Grund, dass so viele Menschen immer wieder zurückkehren ins „Waldhaus“ im schweizerischen Sils Maria, einer Trutzburg auf über 1.800 Metern Höhe, umgeben von zwei Bergseen. Mit breiten Fluren und dicken Teppichen und Schaukelstühlen vor riesigen Fenstern, neben bibliophilen Schätzen ein 100 Jahre alter Steinway-Flügel. Hier wurde schon entschleunigt, als es das Konzept noch nicht gab. Nachmittags gibt es Tee und Scones, dazu Livemusik. Ansonsten ist es wundersam still. Nur Gespräche sind zu hören und das Knistern unzähliger Zeitungen.

Wenig hat sich hier oben verändert seit der Eröffnung im Juni 1908. Renoviert wurde ständig – aber so, und das ist die Kunst, dass man es nicht sieht. Das Haus blieb immer in der Familie, heute führt es die fünfte Generation. Wie schon ihre Vorfahren es taten, begrüßen und verabschieden sie jeden Reisenden persönlich. 80 Prozent sind Stammgäste. Wie wohl kein anderer Ort zieht das „Waldhaus“ eine intellektuelle Elite an. Verleger, Autoren und Philosophen, Regisseure und Komponisten. Industrielle. Nobelpreisträger. Früher dauerten Aufenthalte gern monatelang, davon zeugen heute noch fünftürige Kleiderschränke.

In diesen Tagen öffnet das „Waldhaus“ für seine 115. Sommersaison. Durch den kühlen Wald führt ein Pfad hinab zum Yoga am Silsersee, auf dem Silvaplanersee kann man segeln und surfen oder auch Kajaks und Kanus mieten. Wer nicht zimperlich ist, nimmt ein Bad im sehr frischen Wasser. So vergehen hier die Tage. Dazwischen Tennis, Golf, Reitausflüge, Bergtouren. Dank E-Mountainbikes verliert die Höhe auch für weniger Geübte ihren Schrecken. Oder man schaut einfach aus dem Fenster: Das Grün der Tannen und Wiesen, das Blau des Wassers, das Weiß der Gletscher, diese Kombination verliert nie ihre Faszination.

„Der Sommer hat eine Dimension mehr. Weil es die Farben gibt, die im Winter fehlen.“ URS KIENBERGER

Erst in den 60er-Jahren öffnete das Waldhaus auch für komplette Wintersaisons. „Das Haus war ursprünglich fürden Sommer gedacht, und auf eine Art merkt man dasnoch. Zu Hause ist das Waldhaus eigentlich immer nochim Sommer“, sagt Urs Kienberger. Seine Urgroßeltern haben das Hotel gegründet, er selbst hat es viele Jahre geleitet. „Der Sommer hat eine Dimension mehr, weil es die Farben gibt, die im Winter fehlen.“ Mit der Sommerfrische ging der Tourismus im Engadin überhaupt los. Friedrich Nietzsche hatte in den 1880er-Jahren sieben Sommer in Sils verbracht. Mit einem roten Sonnenschirm spazierte er täglich am Seeufer entlang. St. Moritz, rund zehn Kilometer entfernt, war da bereits ein Badeort von Weltruf. Besonders Adelige und betuchte Engländer zog es in der warmen Jahreszeit her, nach mühseliger Anreise blieben sie oft, bis der Herbst nahte. Dass auch im Winter Gäste kamen, fing mit einer berühmt gewordenen Wette an. Johannes Badrutt, Gründer des damals noch jungen „Kulm Hotels“, soll 1864 ein paar seiner englischen Sommergäste mit dem Versprechen gelockt haben, wenn sie im Winter wiederkämen, könnten sie auch dann im Hemd in der Sonne sitzen. Sollte er Unrecht haben, würde er ihnen die Reisekosten erstatten. Die Engländer kamen und kehrten braun gebrannt nach London zurück. Durch Nachahmer entwickelte sich eine Wintersaison, die bald besser lief als alles andere. Berge bedeuteten nun vor allem Pisten und Partys. Dass die Alpen im Sommer vielleicht sogar noch schöner sind als im Winter, das war lange Zeit vergessen worden. Wanderungen, so schien es, waren etwas für Pensionäre. Spätestens mit Corona hat sich das geändert. Wer ein Chalet in den Bergen hatte, der zog sich im Lockdown hierher zurück – und blieb. Andere kamen zum ersten Mal her und entdeckten den Reiz der heimischen Landschaft. Und merkten vielleicht auch, dass es in Gipfelnähe mindestens so erholsam ist wie am Strand. Dass man nicht um die halbe Welt reisen muss, um das Glück zu finden.

Die Macht der Berge. Ihre Ruhe überträgt sich, sie geben uns Kraft. So manches Alltagsproblem löst sich mit Blick auf die Gipfel auf. Weil man in der Höhe das große Ganze sehen kann, weil Weitsicht manches relativiert. Die Berge zu bezwingen ist ein Hochgefühl, jede Faser des Köpers ist lebendig. Und so schaltet der Mensch im Gebirge ab. Konzentriert sich auf das Wesentliche, Schritt für Schritt.

Das „Gstaad Palace“ im Berner Oberland vermietet während der Sommermonate ein alpines Kleinod aus dem Jahr 1783: die „Walig Hütte“. Es ist eine neue Kategorie von einzigartigem Luxus. Nichts ist hier oben zu sehen – außer dem spektakulären Panorama. Die Hütte, von „Condé Nast Traveller“ als „Best Wilderness Hotel“ beschrieben, ist schnell ausgebucht, auch wenn es keine Dusche gibt und statt Wellness-Bereich ein Plumpsklo. 1.800 Franken für zwei Personen lassen sich die komfortgewöhnten „Palace“- Gäste die Ursprünglichkeit pro Nacht kosten. Internet gibt es nicht, dafür völlige Privatsphäre und Wiesen, die nach Wildblumen duften; morgens wird man von Kühen geweckt. Der Eigentümer des „Palace“, Andrea Scherz, sagt: „Der Trend zum Sommer ist über die Jahre langsam, aber ganz stetig gewachsen.“ Seine Gäste suchten die unberührte Natur, manche auch den Nervenkitzel beim Wildwasserrafting oder Paragliding, andere wollen ihren Kindern zeigen, woher Milch und Käse kommen. „Was wir auch beobachten: Die Sommerklientel wird immer jünger. Bei den Jüngeren erleben wir es auch, dass sie nach Saint-Tropez, Ibiza oder Mallorca fahren, und ab Mitte August kommen sie dann zu uns, um sich vom Partymachen zu erholen.“ Besonders beliebt: das 50-Meter-Außen-Schwimmbecken mit Blick auf die Berge, das schon vor fast hundert Jahren gebaut wurde. Im letzten Jahr kam zum „PISCINE“-Bereich eine Poolbar hinzu, die an Speisen und Getränken keine Wünsche offen lässt, an den Wochenenden legt ein DJ auf.

Dass die Saison in den Alpen längst das ganze Jahr dauert, dazu hat auch der Klimawandel beigetragen. Auf den Schnee mag bald kein Verlass mehr sein, also fingen die Gemeinden an, vorauszudenken, den Sommer attraktiver zu machen. Öffneten die Seilbahnen, die bis dahin nur im Winter betrieben wurden, für Wanderer und Mountainbiker. Riefen Musikfestivals, Golfturniere und Oldtimerrallyes ins Leben. Einer, der den Immobilienmarkt in Kitzbühel kennt wie kein Zweiter, sagt, auch beim Hauskauf spielten die Sommermonate heute eine entscheidende Rolle. „Wir haben in dieser Zeit sehr viele Besichtigungsgäste.“ Zwar ginge es potenziellen Eigentümern meist noch immer darum, Weihnachten im eigenen Chalet verbringen zu können. „Aber als Motiv kommt hinzu, dass Großstädter im Sommer nicht länger in ihrem Penthouse braten wollen.“ Immer häufiger würde der Hauptwohnsitz ganz nach Tirol verlegt. „Weil sich auch der Unternehmer aus Hamburg sagt, ich pendle und ermögliche mir und der Familie den alpinen Lebensstil.“

Issue3/22
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