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Die Power-Playerin by Steffi Kammerer | 31. August 2023 | Personalities

Das 40. Lebensjahr, es war jahrzehntelang die unsichtbare Schwelle: Danach hatten Frauen in Hollywood ausgespielt. Auch Reese Witherspoon bekam dies zu spüren und trat die Flucht nach vorn an: Starke Frauen auf die Leinwand zu bringen, wurde ihre Mission. Als Produzentin wurde sie zu einer Macht im Filmgeschäft.Das fröhliche Mädchen von nebenan: Über Jahre war das die Paraderolle von Reese Witherspoon.Reese Witherspoon bietet komplexen Protagonistinnen eine Bühne. Sie hat Hollywood verändert wie kaum eine Frau vor ihr. Oscar-Preisträgerin, Stanford-Absolventin, Geschäftsfrau, dreifache Mutter. Reese Witherspoon hat gut lachen. Die preisgekrönte und bitterböse HBO-Serie „Big Little Lies“ prägte Reese Witherspoon als Produzentin und Schauspielerin. Shailene Woodley, Nicole Kidman und sie spielen drei Mütter, deren Kinder die gleiche Grundschule in Kalifornien besuchen. Vergewaltigung, Mord und Erpressung trüben das Idyll.Es war ein kleiner Satz, der ihr Leben verändern würde. „Was sollen wir jetzt tun“, lautete er, und sie fand ihn zu­verlässig in so ziemlich jedem Drehbuch, das ihr angeboten wurde. Es war immer eine Frau, die ihn sagte, ratlos zu einem Mann blickend. Was all diese Bücher gemeinsam hatten: Sie waren von männlichen Autoren geschrieben worden. Reese Witherspoon traf sich mit Studiobossen: „Welche großen Frauenrollen habt ihr in der Pipeline?“ „Im Moment gar keine“, hörte sie. Ihr wurde klar: Sie musste handeln, die Filme, in denen sie spielen wollte, selbst produzieren. Das alles erzählte Witherspoon 2015 beim Glamour Women of the Year Award. Im Saal saß ihre Mutter, die ihr den Rat gegeben hatte: Wenn niemand anders etwas ändert, dann tu es selbst. Witherspoon fuhr fort: „Ich glaube nicht, dass Ehrgeiz ein Schimpfwort ist.“ Weil sie reichlich mit Südstaaten-Charme ausgestattet ist, klingt ein solcher Satz bei ihr nicht wie eine Kampfansage. Trotzdem, die Schauspielerin Witherspoon ist heute mindestens ebenso Geschäftsfrau und Aktivistin.Die 47-Jährige hat Hollywood verändert wie kaum eine Frau vor ihr. Hat komplexen und nuancierten weiblichen Charakteren eine Bühne geschaffen. Frauen, die sich mit Grauzonen und den Untiefen von Gefühlen auskennen, die nicht nur Liebe und Fürsorge kennen, sondern Hass und Gier und Rache; die Abgründe in sich tragen. Der „Vogue“ sagte sie vor ein paar Jahren: „Ich hatte die Nase voll davon, Drehbücher zu bekommen mit einer einzigen weiblichen Hauptrolle, schlecht geschrieben, um die sich dann alle Schauspielerinnen der Stadt rissen, einfach weil es nichts anderes gab.“2012 gründete sie ihre erste Produktionsfirma, daraus ging vier Jahre später das Medienunternehmen Hello Sunshine hervor, heute eine der ersten Adressen Hollywoods. Weil hier preisgekrönte Filme und Serien erdacht werden, die bei Kritikern und Publikum ankommen und die Kasse klingeln lassen. Zu den Hits gehören „Big Little Lies“ auf HBO, „Little Fires Every­where“ auf Hulu und „The Morning Show“ auf HBO: mit Jennifer Aniston und Witherspoon in den Hauptrollen, ein erzählerisch meisterhafter Kommentar zu #MeToo. Die Mission von Hello Sunshine ist unmissverständlich feministisch, sie steht als Begrüßungssatz ganz oben auf der Firmenwebseite: „Wir ändern das Narrativ für Frauen.“Aufgewachsen ist Reese Witherspoon in Nashville, Tennessee, sehr behütet. Ihre erste Filmrolle bekam sie im Alter von 14 Jahren. 2001 gelang ihr der Durchbruch als stets pink gekleidete Jurastudentin in „Legally Blonde“, fünf Jahre später bekam sie den Oscar für ihre June Carter Cash in „Walk the Line“. Die Trophäe brachte ihr wenig Glück, ihre Karriere geriet danach ins Stocken, Witherspoon war in einer Nische gefangen: das gut gelaunte Mädchen von nebenan.2014 war das Jahr, in dem sie sich neu erfand. Mit gleich zwei Filmen, die sie produzierte: dem Psychothriller „Gone Girl“ und „Wild“, beide für den Oscar in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ nominiert. In „Wild“ spielte sie selbst die Hauptrolle. Und Amerika bekam plötzlich kein Sweetheart zu sehen, sondern eine toughe Frau auf einem Selbstfindungstrip, die allein 2.000 Kilometer durch Wüsten und Gebirge wandert. Eine ehemals Heroin-Abhängige, die sich ohne viel Federlesens einen blutigen Zehennagel aus dem Fuß reißt. Die männlichen Mitwanderer, die sie trifft, sind Beiwerk, höchstens mal gut für schnellen Sex. Witherspoon wurde für den Oscar und den Golden Globe nominiert. „Wild“, wie fast alle Filme, die Witherspoon produziert hat, adaptiert eine literarische Vorlage. Sie hatte sich die Rechte gesichert, noch bevor das Buch erschienen war. Sie versteht viel von Geschichten: An der Stanford-Universität hat sie Englische Literatur studiert. Ein Arm von Hello Sunshine ist Reese’s Book Club mit 2,6 Millionen Followern auf Instagram. Jeden Monat empfiehlt Witherspoon einen Titel, immer steht eine Frau im Mittelpunkt. Einige Dutzend der von ihr geadelten Bücher sind „New York Times“-Bestseller geworden.

In wenigen Jahren hat Reese Witherspoon ein Medienimperium und eine Community aufgebaut, nutzt dafür alle Kanäle: Podcasts, YouTube, Instagram. Auf was für einem Haufen Gold sie saß, blieb nicht unbemerkt: 2021 hat sie die Mehrheitsanteile ihrer Firma verkauft, für sagenhafte 900 Millionen Dollar, der Deal machte sie zur reichsten Schauspielerin der Welt. Trotz aller Exponiertheit hat ­Reese Witherspoon es geschafft, ihr Privatleben und ihre drei Kinder vor allzu viel Neugier zu schützen, zwei Scheidungen gingen geräuschlos über die Bühne. Nur als der Skandal um Harvey Weinstein losbrach, dem einst mächtigsten Mann Hollywoods, wegen Sexualverbrechens verurteilt, da wurde sie persönlich. Sprach sich gegen die „Kultur des Schweigens“ aus. Machte öffentlich, dass auch sie von einem Regisseur sexuell belästigt wurde. Sie war 16, ihr Agent und ihr Produzent sagten damals, sie solle schweigen.

IssueGG Magazine 04/23
City/CountryUSA
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