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The Super Tuscans by Michaela Cordes | 31. August 2023 | Personalities

Wir sitzen draußen, im gut besuchten Restaurant „Cantinetta Antinori“ im Stammhaus der Familie Antinori in Florenz. „Praktisch im Garten meiner Eltern“, sagt Albiera Antinori. Noch vor ein paar Jahren wäre niemand in ihrer Familie auch nur auf die Idee gekommen, den historischen Innenhof des in den 1460er-Jahren erbauten Palazzo Antinori, in dem bis heute ihre Eltern leben, für die Gäste zu öffnen, erklärt sie mir. Doch die 26. Generation der weltberühmten Winzer-Familie muss heute kreativ denken.

Sie muss ihre Türen öffnen, um das traditionelle Unternehmen auch für die Zukunft attraktiv aufzustellen. Vielleicht ein glücklicher Umstand, dass erstmals in der über 600 Jahre alten Geschichte der ­Marchesi Antinori mit ­Albiera Antinori (und ihren Schwestern Al­legra und Alessia, beide Vizepräsidentinnen) drei Frauen an der Spitze des berühmten Weinimperiums stehen.Albiera Antinori, die Präsidentin des Familienunternehmens, ist etwas gehetzt zum Interview erschienen. Der Grund sind aufwendige Vorbereitungen auf die Hochzeiten ihrer beiden Kinder, Verdiana und Vittorio, die beide innerhalb von nur acht Wochen ihre jeweilige Trauung feiern. Beide Kinder, so erklärt mir ihre Mutter stolz, sind ebenfalls im Familienunternehmen aktiv.GG: Signora Antinori, wie schafft man es, über 26 Generationen die eigenen Kinder für das Familienunternehmen zu begeistern? Vererbt man in einem Unternehmen wie dem Ihren die Leidenschaft für Wein gleich mit?Albiera Antinori (lacht): Das Weingeschäft ist eine so wunderbare Welt, in die man sich glücklicherweise nur verlieben kann. Denn man ist mit dem wunderschönen Land verbunden und mit einem fabelhaften Produkt. Hinzu kommt, dass man in einem Familienunternehmen immer etwas beisteuern kann. Wenn man sich zum Beispiel nicht so sehr für die Landwirtschaft, dafür aber für Finanzen begeistern kann, ist auch dieses Know-how immer willkommen.GG: Nun stehen Sie seit ein paar Jahren an der Spitze und lenken, gestützt von Ihren Schwestern, die Geschicke des Unternehmens, das in den letzten mehr als 600 Jahren immer nur von männlichen Nachfolgern geführt wurde. Wie kam es, dass Antinori nun auf einmal von Frauen geleitet wird?AA (lacht): Meinem Vater blieb ja nichts anderes übrig, er hatte nur uns drei Töchter. Insofern gab es gar keine Alternative, und ich als Älteste bin schon früh – mit 18 Jahren – ins Geschäft hineingewachsen. Daher hat dieser Übergabeprozess nicht an einem bestimmten Tag stattgefunden, sondern war fließend. Heute sind sogar drei Generationen gleichzeitig im Unternehmen integriert, und das ist gut so, da meine Kinder so noch die Chance haben, von ihrem Großvater lernen zu können.Anmerkung der Redaktion: Albiera Antinoris Vater Piero ist heute 85 und gilt unter Weinkennern als lebende Legende. Gegründet wurde das Unternehmen 1385 von Giovanni di Piero, aber der weltweite Ruhm kam erst durch den unternehmerischen Mut von Piero Antinori: In den 1970er-Jahren entwickelte er mit seinen bis dahin völlig unüblichen Traubenkombinationen legendäre Weine wie den „Tignanello“ oder den „Solaia“ – die sogenannten „Super Tuscans“. Es war ein Schritt, der den gesamten Weinbau Italiens revolutionierte und den Antinoris hohes Ansehen verschaffte. Heute macht das Unternehmen Marchesi Antinori einen jährlichen Umsatz von 240 Millionen Euro.

GG: Ihr Vater hat mit der Produktion der ersten Super-Tuscan-Weine der Firma zum internationalen Durchbruch verholfen?

AA: Ja – er hat sozusagen das Schicksal der Familie bestimmt, als er Ende der 1960er-Jahre von seinen Reisen um die Welt zurückkehrte. Er war damals aufgebrochen, um zu verstehen, was in Sachen Wein auf der Welt passiert. Er kam mit dem Verständnis zurück, dass man auch fremde Weinsorten anbauen sollte und diese mit unseren traditionellen Trauben zu neuen interessanten Weinen verbinden kann. Dieser Moment markierte eine starke Innovation des Produkts und gleichzeitig aber auch ein Festhalten an der Tradition. Der neue Wein reift in kleineren Fässern, statt zwei Jahre nur 14 bis 16 Monate, und bekommt nicht mehr den Namen der Familie, sondern des Weingutes. Es war die Geburt des Super Tuscans! Damit war auf einmal klar: Wir können hier in Italien internationale Qualitätsweine produzieren. Dadurch geriet eine neue Weinbewegung in Gang, und es entstanden um uns herum weitere Super-Tuscan-Weine. Das Ziel meines Vaters war es stets, den besten Wein herzustellen, den sein Land produzieren konnte. In den letzten 40 bis 50 Jahren hat sich die Qualität dieser Weine dann immer weiterentwickelt.

GG: Sie haben ähnlichen unternehmerischen Mut bewiesen, als Sie Anfang 2000 das Architekturbüro Archea mit dem Bau des Weinkellers Antinori nel Chianti Classico 40 Minuten außerhalb von Florenz beauftragten: Ein spektakulär moderner Bau, der wie in den Weinberg eingelassen wirkt und einen starken Kontrast zu den traditionellen Vine­yards Ihrer Heimat darstellt. Mein erster Gedanke, als ich das beeindruckende Gebäude sah und das dazugehörende Museum: Die Familie Antinori öffnet sich und lädt ein, hineinzuschauen.

AA: So etwas gab es Anfang 2000 zwar schon an anderen Orten, wie zum Beispiel im Napa Valley, aber etwas Derartiges war in Italien unüblich: ein Platz, an dem man als Besucher versteht, wie der Wein entsteht. Wir spürten den Druck des zunehmenden Interesses unserer Kunden, uns nicht nur besuchen zu wollen, sondern auch lernen zu wollen, wie genau wir unsere Weine herstellen.

GG: Als wir zusammen dort waren, haben Sie mir erzählt, dass Sie anfangs viel Kritik einstecken mussten und nur wenige Menschen an das Projekt glaubten. Heute werden Sie für Ihre Vision bewundert.

AA: Wir brauchen ein sehr großes Gebäude. Aber von den traditionellen, historischen Häusern gab es kein einziges, das sich geeignet hätte, 160 Menschen unterzubringen, die hier täglich arbeiten. Und das dazu den Raum bietet, 40.000 Touristen willkommen zu heißen, die uns jedes Jahr besuchen. Und da ich kein Fake-Gebäude im Stil des 14. Jahrhunderts bauen lassen wollte, blieb nur die Idee eines ganz modernen Neubaus. Nur so konnten wir die Effizienz garantieren und gleichzeitig eine zeitlose Ästhetik schaffen, denn dieses Gebäude soll ja die nächsten Jahrzehnte überleben und die Marke Antinori nachhaltig präsentieren.

GG: Im hauseigenen Museum liegt fast demons­trativ ein überdimensional großes Buch aus, in dem die Seite des Testaments ihrer Urahnen abgedruckt ist. Da ist in großer Schreibschrift zu lesen: „Antinori darf nur an einen Mann vererbt werden.“

AA (lächelt): Ja, das war damals so, aber langsam, ganz langsam verändern sich zum Glück die Zeiten. In den letzten 40 Jahren hat sich viel getan. Viele Firmen haben heute eine Frau im Vorstand, ebenso große Companys, die an der Börse zu finden sind. In Italien gibt es mittlerweile ein Gesetz, das eine gewisse Prozentzahl von Frauen in Unternehmen vorsieht. Ich gehöre noch einer Art Übergangsgeneration an. Denn ich wurde noch nicht so vorbereitet mit Universitätsausbildung und den dazugehörigen Ambitionen. Meine Tochter, die heute 29 ist, ist viel gezielter ausgebildet worden. Dazu ist sie tough und karriereorientiert, genau wie ihre Brüder. Aber ich glaube, die Männer hier in Italien müssten die Frauen noch stärker unterstützen, wenn man gemeinsam Kinder bekommen möchte: Erst wenn es ein Verständnis gibt, das beide Teile 50/50 auch im Haushalt helfen, gibt es aus meiner Sicht die tatsächliche Gleichberechtigung.

GG. Ein Verständnis, das in den USA bei vielen längst existiert.

AA: Aber nicht hier – oder in anderen lateinischen Ländern …

GG: Zeigt sich dieser Wandel, dass Frauen aufholen, auch bei Ihren Konsumenten? Interessieren sich heute genau so viele Frauen wie Männer für gute Weine? Und falls ja: Wirkt sich das auf ihr Verhalten aus? Ich habe bisher keine Frau erlebt, die mir stolz ihren Weinkeller und ihre teuersten Weine präsentiert, wie man es immer noch häufig bei Männern erlebt.

AA (lacht): Das stimmt! Aber wir stellen fest, dass es immer mehr Frauen gibt, die sich bei Weinen sehr gut auskennen – sie sind ja auch oft die Personen, die den Wein für die Familie einkaufen –, vor allem bei Weiß- und Rosé­weinen.

GG: Erinnern Sie sich an Momente, als Sie gespürt haben, dass es als Frau im Geschäft nicht immer einfach ist? Und man überrascht war, nicht mit einem Mann zu verhandeln?

AA: Eigentlich kaum. Es ist mir nur einmal passiert, als ich für unser Unternehmen von einem traditionellen älteren Partner Trauben kaufte. Ihm war das suspekt, dass ich – damals noch sehr jung – den Vertrag mit ihm machte. Aber so ist das: Man verliert einige, dafür gewinnt man andere hinzu.

GG: Wenn Sie heute bei Familienfeiern zusammensitzen, drei Generationen an einem Tisch, wie muss man sich das vorstellen. Prallen da auch mal traditionelle, alte Sichtweisen, wie man ein Unternehmen führen sollte, auf radikal neue Ideen?

AA: Absolut! Aber das sind für mich gerade die spannenden Momente: dynamische Diskussionen. Wie erst kürzlich, als mein Vater mit meinem Sohn über das Für und Wider der Einführung der 4-Tage-Woche diskutierte! Ich hörte gebannt zu und fand: Beide haben recht. Mein Vater hat sich ja eigentlich aus dem Geschäft zurückgezogen, aber tatsächlich kommt er jeden Tag ins Büro. Das ist sehr schön und gibt dem Geschäft eine große Stabilität.

GG: Was motiviert Sie persönlich heute mehr: die Verantwortung, das Unternehmen heil an die nächste Generation zu übergeben, oder die Möglichkeit, Ihre eigenen Ideen und Visionen umzusetzen?

AA: Es ist eine Mischung. Je älter ein Unternehmen ist, desto größer wird auch das Gefühl der Verantwortung, gut auf das aufzupassen, was die vorherige Generation an uns übergeben hat. Dazu kommt das Bewusstsein, dass man fürs Weingeschäft Geduld und Zeit braucht. Ich wundere mich daher immer, wenn Menschen in Weinunternehmen investieren und nach zehn Jahren ihr Geld zurück möchten und den Ruhm dazu. So funktioniert es nicht.

GG: Ihr Unternehmen gehört nicht nur zu den ältesten, sondern auch größten privaten Weinunternehmen Italiens. Pro Jahr verkaufen Sie weltweit 22 Millionen Flaschen. In welchen Ländern sind Sie am erfolgreichsten?

AA: Der größte Markt ist Italien, darauf folgen die USA, dann Deutschland und der Rest Europas wie die Schweiz, Österreich und Großbritannien. Wir haben auch sehr erfolgreich nach Russland und in die Ukraine geliefert, aber das war vor dem Krieg. Verrückterweise läuft das Geschäft mit China nur sehr langsam an.

GG: Woran liegt das?

AA: Anders als die Koreaner, die sich uns Italienern sehr verbunden fühlen, unsere Küche und auch unsere Weine lieben, sind die Chinesen nicht so aufgeschlossen. Italienische Weine transportieren sich nun mal am besten über das italienische Essen. Für uns sind daher italienische Restaurants das beste Vehikel, unsere Weine zu kommunizieren. Ein Grund, warum wir unsere „Cantinetta Antinori“-Restaurants heute von Florenz bis nach Zürich, Monte Carlo und Wien betreiben.

GG: Um diesen Bereich kümmert sich Ihre Schwester Allegra. Alessia ist dagegen verantwortlich für alle Bereiche, die mit Kunst zu tun haben. Mit Geschwistern zu arbeiten – ist das immer harmonisch?

AA: Natürlich sind wir nicht immer einer Meinung. Aber für uns steht am Ende die gemeinsame Firma im Fokus. Dazu kommt, dass wir Frauen sind. Da steht das Ego nicht so sehr im Weg, wie das bei Männern oft der Fall ist.

GG: Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich aktuell konfrontiert?

AA: Zurzeit nehmen wir einen wachsenden Trend wahr, der stark aus Nordeuropa kommt und uns an den Beginn einer neuen Prohibition erinnert: pro Gesundheit und contra Alkohol. Genauso müssen wir auch mit dem Wandel des Klimas umgehen – wir erleben in unseren Anbaugebieten weniger Regenfälle und mehr Hitzeperioden. Da es immer wieder ganz neue Herausforderungen gibt, müssen wir die nächste Generation gut aufstellen, damit sie gut ausgebildet und glücklich ist, zu übernehmen, wenn es an der Zeit ist. Dafür erwarten wir heute, dass jedes Familienmitglied, das ins Unternehmen einsteigt, eine Zeit lang bei einer anderen Firma gearbeitet hat und einen Master mitbringt. Denn sonst wären all die Anstrengungen meines Vaters und auch meiner Schwestern und von mir umsonst.

GG: Das klingt, als wäre es sicher, dass Marchesi Antinori auch auf die nächsten Jahre in Familienbesitz bleibt?

AA: Ja – das haben wir so geregelt und 2012 einen Trust gegründet, der erst in 90 Jahren aufgelöst wird. Insofern gibt es keine Gefahr des Verkaufs oder der Teilung des Unternehmens.

GG: Hilft es in diesem Geschäft – wie beim guten Wein –, älter zu werden?

AA (lacht): Definitiv! Unsere Partner wissen, dass wir lange im Geschäft sind und sehr transparent und ohne Attitüde auftreten. Bei uns gilt wirklich: What you see is what you get.

Issue04/23
City/CountryFlorence, Italy
PhotographyMattia Zoppellaro