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Bohemian Haven by Steffi Kammerer | 6. November 2024 | Lifestyle

Es gibt in Manhattan viele ikonische Hotels, aber es gibt nur eins, das so die Kultur geprägt hat wie dieses ewige Rock Chick, das Hotel Chelsea. Über ein Jahrzehnt war es wegen Umbau geschlossen, seit zwei Jahren feiert es sein fulminantes Comeback.

Renovierungen im großen Stil können furchtbar danebengehen, besonders bei Häusern mit Charakter. Ist es doch oft das Zusammenspiel vermeintlicher Mängel, die den Charme alter Gemäuer ausmachen. Als das „Hotel Chelsea“ in Manhattans 23. Straße im Sommer 2011 schloss, zum ersten Mal in seiner langen Geschichte, und Hotelgäste und Dauerbewohner Bauarbeitern weichen sollten, war es daher, als ginge eine Ära zu Ende: Das alte New York, so die vielen Abgesänge, sei nun wirklich am Ende, totsaniert, Luxusrenovierung statt Rock ’n’ Roll. Baulöwen würden, da war man sich einig, das ungezähmte Haus zerstören, ein einzigartiges Biotop, über Jahrzehnte gewachsen.

Denn das „Chelsea“ war so viel mehr als ein Hotel. Es war Lebenseinstellung und ein Refugium, kreativ und immer auch ein bisschen wahnsinnig. Zwölf Etagen in einem riesigen denkmalgeschützten Bau aus dem Jahr 1884. Ein Ort, der Gleichgesinnte anzog, Mavericks, Genies und alles dazwischen, auch den einen oder anderen Geist.

Die Liste der Bewohner liest sich wie das Who’s who der Popkultur, sie reicht von Bob Dylan, Julian Schnabel und Stanley Kubrick zu Ethan Hawke und der Warhol-Muse Edie Sedg­wick, die versehentlich ihr Zimmer in Brand setzte, William S. Burroughs schrieb hier „Naked Lunch“, Jack Kerouac „On the Road“. Viele blieben Monate und Jahre, manche Jahrzehnte.

Der Schriftsteller Arthur Miller zog 1961 ein, nach seiner Scheidung von Marilyn Monroe. Er hat mal beschrieben, wie man nur den Aufzug betreten musste, um high zu werden von den dicken Marihuanawolken. In Zimmer 100 soll Sid Vicious, Bassist der Sex Pistols, im Heroinrausch seine schlafende Freundin Nancy erstochen haben. Leo­nard Cohen verewigte das Hotel und eine Nacht mit Janis Joplin in einem seiner besten Songs: „… Giving me head on the unmade bed while the limou­sines wait in the street …“

Über Jahrzehnte war das Hotel erste Anlaufstelle für viele, die nach New York kamen, um berühmt zu werden, eine Verheißung, weil hier andere Regeln galten als überall sonst. Selbst der Name des Gebäudes tanzt aus der Reihe. Offiziell heißt es „Hotel Chelsea“, so steht es auf dem berühmten Neonschild an der Fassade. Aber Bewohner und New Yorker sagen unbeirrt „Chelsea Hotel“. Oder einfach „Chelsea“.

Dieses Haus mit seiner großen Gabe zur Improvisation also war nun zum Sinnbild der Gentrifizierung geworden. Ein Gerüst kam vor die alte Backsteinfassade, und dann passierte, womit keiner gerechnet hatte: Fast zehn Jahre nämlich ging nichts voran. Investoren warfen das Handtuch, neue Eigentümer stiegen ein und wieder aus, es gab Streitereien mit der Stadt um Genehmigungen, ein paar Dutzend Dauerbewohner zogen vor Gericht, um ein Bleiberecht durchzusetzen, all das legte die Baustelle lahm, das „Chelsea“ versank ins Wachkoma, kein Ende in Sicht.

Umso größer das Staunen, als das Hotel im Sommer vor zwei Jahren wieder eröffnete. Ein echtes Kunststück war gelungen: eine Renovierung an Haupt und Gliedern, die daherkam, als habe sich kaum etwas verändert.

Das „Chelsea“ war sich treu geblieben, hatte sich nur etwas frisch gemacht. Das Hotel hat nun einen Instagram- und einen Tiktok-Account, im französischen Café sitzen Influencerinnen.

Die abgewetzten Sofas und die abenteuerliche Elektrik sind ausgetauscht worden, auch die ewig gluckernden Heizungen. Der rot-weiß gestreifte Baldachin schwebt über dem Bürgersteig wie eh und je, die schmiedeeisernen Balkone sind erhalten geblieben, auch das legendäre spanische Restaurant „El Quijote“ hat ein zweites Leben bekommen, in wenigen Jahren feiert es seinen 100. Geburtstag.

Hinter der Wiedergeburt des „Hotel Chelsea“ steht das Team, das schon im „Jane Hotel“ und im „Bowery Hotel“ gezeigt hat, was es heißt, Orte mit Seele zu erschaffen: die Hoteliers Sean MacPherson, Ira Drukier und Richard Born. Die drei müssen auch di­plomatisches Geschick haben: 40 der Langzeitbewohner sind im „Chelsea“ geblieben.

Einem Mann haben die neuen Eigentümer ein kleines Denkmal gesetzt, dem langjährigen Manager und ehemaligen Teilhaber des Hotels nämlich: Stanley Bard. Der ist 2017 mit 82 Jahren in Florida gestorben, im „Chelsea Hotel“ haben sie ihm einen Saal gewidmet. Bard hatte das Management 1964 von seinem Vater übernommen, er war es, der die eigenwillige Künstlerkolonie hat entstehen lassen, er entschied, wer im „Chelsea“ ein Zimmer bekam und wer nicht. Wer die Miete nicht aufbringen konnte, durfte ihn in Bildern bezahlen.

Diese Gemälde sind zu einer beträchtlichen Sammlung angewachsen. Sie sind von unterschiedlicher Qualität, aber auch eher dilettantisch anmutende Bilder haben ihren Weg ins neue „Chelsea“ zurückgefunden, manche hängen in der renovierten Lobby und tragen dazu bei, dass das Hotel eben nicht aussieht wie jedes andere Luxushotel dieser Welt. Der Vibe ist unverändert, vielleicht ist er heute ein bisschen cooler geworden, aber nach wie vor stehen riesige Samtsofas bereit für Gespräche, die die Welt verändern. Nur das Kaputte und De­struktive, das das „Chelsea“ immer auch hatte, ist verschwunden. Auf dem Dach wartet nun ein Spa, himmlisch friedlich. Auf der Website schreiben die neuen Macher, sie definierten sich nicht bloß über die Historie des Hauses, „sondern über seine Andersartigkeit, die sich ständig weiterentwickelt. Solide und üppig, exzentrisch, aber wunderschön ist das Chelsea eine Welt für sich. Ein Palast der Besonderheit.“

IssueGG Magazine 03/24
City/CountryNew York City / USA
Photography-