Besser bunt by Silke Bender | 3. Juni 2022 | Personalities
Den Farbfilm vergessen hat sie nie: Die Architektin und Designerin India Mahdavi lässt unsere Welt fröhlicher aussehen und wurde damit weltberühmt. Sie ist sich sicher: Farben haben die Macht, uns glücklicher zu machen.
Sie ist das Gegenteil von Bauhaus: Mit ungewöhnlichen Farbeffekten, einer Portion Humor und Lust am Ornament bringt India Mahdavi seit über 20 Jahren den Spaß und den Willen zur Inszenierung ins Interieurdesign zurück und gilt heute als einer der Superstars der Branche. Gut aufgelegt, treffen wir die Architektin und Designerin zum Gespräch in ihrer Heimat Paris.
Welche Farbe hat Ihre Stimmung heute?
Gerade bin ich aus London zurückgekommen, wo ich die „Sketch Gallery“ in diesen neuen, sehr warmen Farben umgestaltet habe, und so fühle ich mich auch. Ich spüre immer noch das Leuchten von „Sketch“: Gold, Gelb und Champagner. Aber ich könnte auch antworten: Ich fühle Blau und Gelb wegen der Ukraine: die neue Flagge für Freiheit und Frieden.
Die „Sketch Gallery“ in London trägt nicht mehr ihr legendäres Rosa. In welche Atmosphäre wollen Sie die Gäste jetzt einladen?
Das Pink war so stark, und ich wollte nicht sagen: Oh, ich mache es einfach in einer anderen Farbe neu. Also habe ich zunächst mit dem afrikanischen Künstler Yinka Shonibare an verschiedenen Texturen gearbeitet: den wunderschönen, senegalesischen Stoffen der Textildesignerin Aissa Dione, den gewebten Wandleuchten von Inès Bressand aus Ghana, den Metalltapeten von Gournay, die das Licht in einem Champagnerfarbton reflektieren, den natürlichen Bast- und Korbwaren. Mit einer Decke, die in meiner Farbe „Mandarine au lait“ gestrichen ist. Die Synthese dieser unterschiedlichen Texturen und Gelbtöne ist Wärme pur. Wärme ist die neue Farbe von „Sketch“. Es geht um Zusammengehörigkeit, um die Freude an Berührungen. Es geht mehr um den Menschen, weniger um das Bild.
War es schwer für Sie, sich von einem Ihrer ikonischsten und meist geposteten Interieurs zu verabschieden?
Am Anfang war es nicht so leicht, aber jetzt fühle ich mich sehr wohl dabei, weil das Timing perfekt war. Das rosa „Sketch“ gehörte zur Epoche vor Covid. Und jetzt befinden wir uns in einer neuen Ära. Vor Covid war die Welt, waren unsere Gedanken heller und leichtlebiger. Mit der Pandemie wurde ein Kapitel geschlossen: Wir sind alle in diese digitale Art von Leben eingetreten. Wir waren nicht in der Lage, zusammen zu sein. Wir haben unser Leben über Bildschirme geteilt. Das rosa „Sketch“ war ein fantastischer Raum, aber ein großer Teil seines Erfolges hing auch mit seinem zweidimensionalen Bild in den sozialen Medien zusammen. Ich glaube, dass die Erfahrung von Berührung und Textur und die Freude am Zusammensein jetzt wichtiger geworden sind.
Das alte „Sketch“ hat auf andere Art überlebt …
Die ganze Idee war ursprünglich, dass sich die Einrichtung alle zwei, drei Jahre ändert. Der rosa Raum blieb aufgrund seines Erfolgs sieben Jahre lang bestehen. Weil es ein so ikonisches Interieur war, habe ich eine Miniatur davon angefertigt. Das Modell im Maßstab 1:10 ist jetzt im Restaurant zu sehen. Es ist eine Möglichkeit, den alten Raum zu bewahren, es ist ein Archiv und ein eigenständiges Objekt, das man sogar mit der Handykamera betreten kann. Das ist schön und macht Spaß!
Warum arbeiten Sie manchmal auch mit Massenmarken wie Monoprix und jetzt aktuell mit H&M Home zusammen?
Ich sehe darin eine Möglichkeit, meine Arbeit zu demokratisieren und die Grenzen zwischen dem High-End- und dem Low-End-Markt zu durchbrechen. Das Überwinden von Grenzen ist das, was ich mit meinem Beruf gern tue – das Springen von einer Disziplin zur anderen. Mit dieser Kollektion hat mir H&M die Möglichkeit gegeben, meine fröhliche Farbpalette auf internationaler Ebene zu verbreiten.
Was steckt hinter dem verschwommenen Schachbrettmuster in der H&M-Home-Kollektion?
Ich habe sie mitten in der Pandemie entworfen, einer Zeit, als keiner klar sehen konnte, was die Zukunft bringt. Daher die unscharfen grafischen Elemente und die verschwommenen bunten Farben, die ein bisschen Optimismus schenken sollen.
Wie oft geben Sie Ihrem eigenen Interieur zu Hause ein neues Make-up?
Nicht oft genug (lacht). Ich wohne seit 25 Jahren in meiner Wohnung, weil sie gleich um die Ecke von meinem Büro liegt. Das ist so praktisch. Vor Kurzem habe ich einen großen Teil der Wohnung renoviert, und es fühlte sich an wie ein Umzug, aber jetzt habe ich das Gefühl, dass ich wirklich woanders hinziehen sollte. Ich habe ein großes Haus in Arles gekauft, an dem ich zwei Jahre lang gearbeitet habe, um es zu meinem neuen Zuhause zu machen. Deshalb möchte ich mich in Paris verkleinern und etwas Kleineres und Konzentrierteres haben.
Welchen Stil und welche Farbe bevorzugen Sie im Pariser Zuhause?
Es ist nicht so farbenfroh. Es ist ein Zu hause, das sich ganz natürlich entwickelt hat, in dem sich die Schichten meines Lebens abgelagert haben. Die Farben kommen hauptsächlich von meinen Kunstwerken an den Wänden. Mein Schlafzimmer ist in einem gebrochenen Pink gehalten, die Küche ist bunt, ja. Die Möbel sind eine Mischung aus meinen Prototypen, Objekten von Ettore Sottsass oder Gio Ponti, meist italienischen Designern. Aber ich habe viele Farben in mein neues Haus in Arles gebracht!
Sie sind bekannt für Interieurs, in denen man sich wohlfühlt. Sind Sie von Natur aus ein fröhlicher Mensch oder nutzen Sie Farben als Therapie?
Ich habe mich schon immer zu Farben hingezogen gefühlt. Lange Zeit habe ich gar nicht gemerkt, dass es eine Art von Talent ist. Heute bin ich oft dunkelblau gekleidet, weil ich mich in einer neutralen Position befinden muss, um den ganzen Tag mit Farben jonglieren zu können. Zu den Farben kam ich als Kind, nachdem wir aus dem Iran in die Vereinigten Staaten gezogen waren und ich zum ersten Mal Farbfernsehen sah: Die Zeichentrickfilme von Walt Disney oder Tex Avery. Mitte der 60er-Jahre war man in Amerika wirklich verrückt nach Farben. Man denke nur an die Hollywood-Filme in Technicolor! Und mein Vater zeigte mir gerne Bücher über den Iran, ich war tief beeindruckt von der bunten Moschee von Isfahan. Bewusst oder unbewusst sind die Farben zum Material meiner Gefühle geworden.
Können Farben uns glücklicher machen?
Auf jeden Fall! Sie geben uns Energie und haben einen starken Einfluss auf unsere Stimmung. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Umgebung, in der wir leben, unsere Gefühle stark beeinflusst.
Was sind die Zutaten für ein fröhliches Interieur?
Betrachte Farben als deine Freunde. Und habe keine Angst, sie zu mischen. Betrachte dein Zuhause wie eine Dinnerparty: Es könnte langweilig werden, wenn du nur Leute einlädst, die das gleiche Alter und den gleichen Beruf haben. Lade auch Fremde ein, die neue Geschichten zu erzählen haben, und bringe dadurch interessante Gespräche in Gang.
Gibt es eine Farbkombination, die Sie niemals verwenden würden?
Ich würde niemals nie sagen, denn Farbe kommt nie allein. Sie hängt von Materialien und Texturen ab und ist immer Teil eines Kontextes. Ich könnte Ihnen sagen, dass ich kein großer Fan von sehr kontrastreichen Farben bin, wie Schwarz und Gelb – aber ich liebe diese Kombination auf einer Biene. Also, keine Regeln. Aufgeschlossen bleiben.
Sie haben sieben Jahre mit Christian Liaigre zusammengearbeitet – dem Meister des diskreten, zeitgenössischen französischen Stils, der mit sehr neutralen Tönen arbeitet. Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Stil um 180 Grad zu drehen, als Sie 1999 Ihre eigene Agentur gründeten?
Ich glaube nicht, dass ich meinen Stil geändert habe. Als ich für Christian gearbeitet habe, machte ich mir sein Vokabular zu eigen: Es ging um Proportionen, um einen gewissen Reichtum an Materialien, denn er hatte diese Besessenheit für schöne, natürliche Materialien und gutes Handwerk. Ich erinnere mich allerdings daran, dass ich, als ich mit ihm arbeitete, immer diejenige war, die Farbe hinzufügte (lacht). Und er sagte immer, dass er nur das macht, was er beherrscht. Als ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich genau dasselbe getan. Und ich hatte das Glück, dass mein erstes Projekt das „Townhouse Hotel“ in Miami war.
Warum?
Miami ist eine ganz andere Umgebung als Paris: Meer, Sex und Sonne. Wie kann man das in drei Dimensionen ausdrücken? Und ich begann, mit allen Farbspektren zu spielen. Das war damals sehr ungewöhnlich und gab dem Hotel eine sehr starke Identität. Die Dachterrasse mit ihren Wasserbetten zum Beispiel war ganz in Rot gehalten. Sie wurde oft fotografiert, weil sie so fotogen war.
Sie haben danach eine Reihe von Hotels entworfen. Aber Ihr letztes Hotel war das „L’Apogée“ in Courchevel, das 2013 fertiggestellt wurde – was hat Sie dazu bewogen, von dieser Tätigkeit zurückzutreten?
Als ich im Jahr 2000 anfing, war das Hotelgewerbe für Designer sehr interessant. Es gab diese neue Idee, ein Zuhause in der Ferne zu finden und Menschen auf dem ganzen Planeten zu verbinden. Dann wurde es zu einer rein kommerziellen Industrie. Die meisten Angebote, die mir danach gemacht wurden, ließen mir keine Freiheit mehr. Alles war bereits bis ins Detail geplant, und man bat mich lediglich, die Farben zu gestalten, um das Hotel mit meinem Namen zu vermarkten. Aber ich bin Architektin und Designerin, ich kann nicht einfach nur etwas dekorieren. Zum Glück bin ich heute in der Lage, nur Aufträge anzunehmen, die mir wirklich am Herzen liegen.
Sie haben auch ein Jahr lang in Deutschland gelebt, wie hat Sie das beeinflusst?
Wir kamen im Mai 1968 aus den USA nach Europa und wollten in Paris leben. Aber wegen der Studentenrevolution herrschte dort Chaos, und so landeten wir in Heidelberg. Und mein Leben wechselte von Technicolor zu schwarzweiß. Alles war grau für mich, der Himmel, die Gebäude, die Menschen. Es war wie ein Trauma für mich, die Farben zu verlieren. Ich habe dieses Bild vor Augen, da laufe ich mit meinem Vater wie in einem Schwarz-Weiß- Film die Einkaufsstraße entlang, und plötzlich sehe ich ein Paar leuchtend orangefarbene Schuhe im Schaufenster. Ich war so glücklich, als mein Vater sie mir kaufte! Dann zogen wir nach Südfrankreich, und die Sonne kam zurück.
Waren Sie nie von den Ideen des Bauhauses beeindruckt oder inspiriert, wie so viele andere Innenarchitekten?
Oh, ich liebe das Bauhaus, wirklich. Es war eine fantastische Bewegung! Konzeptuell und radikal – das ist fabelhaft. So zu denken und bis zum Äußersten zu gehen – ich schätze, ich bin dazu einfach nicht in der Lage. Ich bin nicht präzise genug. Mein Hintergrund ist ein anderer, ich denke eher kinematografisch: Ich möchte mehr wie ein Filmemacher sein: Geschichten erzählen, Charaktere in meine Kreationen einbauen, eine Handlung entwickeln.
Haben Sie ein Beispiel?
Als „Ladurée“ mich bat, das Ladeninterieur zu gestalten, sagte ich: „Sehen Sie, Sie haben eine Muse, nämlich Marie-Antoinette. Versailles. Denken Sie an den wunderschönen Garten von Versailles. Stellen Sie sich ,Ladurée‘ wie einen Garten für Süßigkeiten vor. Was würde mit Marie-Antoinette passieren, wenn man sie an diese verschiedenen Orte bringt, nach Genf, Beverly Hills oder Tokio?“ Dann habe ich angefangen zu kreieren, und alles kam zusammen: die Farben, die runden Formen wie die der Macaron-Leuchten.
Ist das bei der Gestaltung von Privathäusern anders?
Ja, natürlich. Bei Wohnhäusern geht es mehr um Porträts. Da muss man eher wie ein Fotograf denken. Man muss die Identität der Menschen einfangen. Ich mag es nicht, wenn man in privaten Häusern mit Design übertreibt, denn die Menschen sollten in der Lage sein, ihre Wohnung in Besitz zu nehmen. Da möchte ich nicht zu präsent sein. In öffentlichen Räumen kann ich etwas mutiger sein mit meinem Ausdruck.
Gibt es ein Projekt oder eine Aufgabe, von deren Verwirklichung Sie immer noch träumen?
Einige. Ich würde gern einen Zug entwerfen und mit Mobilität arbeiten. Ein Auto könnte auch interessant sein. Und ich würde gern einen Film drehen. Eine große Geschichte in großen Bildern. Der letzte Film, der mich umgehauen hat, war „The Last Duel“ von Ridley Scott.